„Junge Welt“, 02.09.2009
Krisenbekämpfung aktuell: Notenbanken finanzieren mit Steuergeldern neue Zockerrunde des Finanzkapitals. Die entstehende Blase dürfte größer werden als alle Vorgängerinnen
Die Krise scheint an den globalen Aktienmärkten längst überwunden. Nach seinem spektakulären Absturz auf 6400 Zähler im März diesen Jahres erholte sich der US-Leitindex Dow-Jones auf inzwischen 9400 Punkte. Der DAX konnte im selben Zeitraum um nahezu 2000 auf 5400 Punkte zulegen. Eine ähnliche Aufwärtsbewegung verzeichnete auch der japanische Nikkei-Index. Die Aktienmarkthausse erweckt den Anschein, als hätten die billionenschweren Stützungs- und Hilfsmaßnahmen für das Weltfinanzsystem tatsächlich ihren Zweck erfüllt.
In gewisser Weise trifft das auch zu. In einem vielbeachteten Bericht schrieb der Marktanalyst Andy Xie, daß die »Zentralbanken der Welt« vermittels ihrer expansiven Geldpolitik eine neue Liquiditätsblase geschaffen hätten. Die Blase manifestiere sich »zuerst in steigenden Rohstoffpreisen, dann in den Aktienmärkten und zuletzt in einigen Immobilienmärkten«, erläuterte Xie unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in China. Radikal gesenkte Leitzinsen, vor allem der US-Notenbank Fed, aber auch wegfallende Beschränkungen bei der Kreditvergabe in China, hätten zu diesem Boom maßgeblich beigetragen.
Dieser Kurs erinnert an die Reaktionen der Geldpolitik auf das Ende der Spekulation mit Hightech-Aktien 2001 (»Dot-Com-Blase«). Damals senkte die Fed massiv die Zinsen – mit dem Resultat, daß durch die so geschaffene Liquidität die Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt erzeugt wurde. Dieses geldpolitische Manöver wird inzwischen als der »Great Bubble Transfer«, der große Spekulationsblasen-Transfer bezeichnet, der in der gegenwärtigen Krise mündete.
Etwas Ähnliches scheint sich erneut anzubahnen. Nur sind diesmal die Staaten – hier vor allem die USA – treibende Kraft. Gerald Celente, Direktor des US-amerikanischen Trends Research Institute, bezeichnete das derzeitige Manöver im Gespräch mit dem Fernsehsender CNBC als eine durch die Rettungsmaßnahmen der Regierung initiierte Spekulation: »Wir sehen gerade eine Bailout-Blase, die viel größer als die Dot-Com-Blase und auch die Immobilienblase ist, aus der wir rauszukommen versuchen.« Das ganze ökonomische System werde derzeit umstrukturiert, die Politik habe »12,8 Billionen US-Dollar in der Pipeline, um ein scheiterndes System aufrechtzuerhalten«. Wenn diese Blase platze, »wird man sie nicht erneut inflationieren können, weil die Regierungsintervention so tief reicht«, befürchtet Celente.
Die nahezu 13000 Milliarden Dollar, die Regierung und Notenbank der USA in Form von Krediten und Garantien zur Stützung des Finanzsektors bislang aufgewendet haben, sind noch nicht einmal alles. Im Blog »wirtschaftsquerschuss« zitiert Marktbeobachter Steffen Bogs aus einem Bericht an den US-Kongreß. Darin wird ein theoretisch maximal mögliches staatliches Bruttoengagement der USA von sogar 23,7 Billionen Dollar genannt, das im Zuge der Krisenbekämpfungsmaßnahmen entstanden ist. So könnte das auf 700 Milliarden Dollar veranschlagte Programm zum Aufkauf fauler Kreditverbriefungen (TARP) sogar auf bis auf drei Billionen Dollar anwachsen. Der US-Einlagensicherungfonds müßte dem Bericht zufolge schlimmstenfalls 2,3 Billionen Dollar zum Schutz der Kundeneinlagen fallender Banken aufwenden, und im Dunstkreis des zusammengebrochenen Hypotheken- und Immobilienmarkts lauerten Risiken von zu zahlenden 7,2 Billionen US-Dollar.
Sicher werden diese Summen in ihrer Gänze niemals fällig. Diese von Neil Barofsky, dem Generalinspekteur des TARP-Programms, erstellte Berechnung, nennt die maximal mögliche Belastung in jedem durch staatliche Hilfsmaßnahmen gestützten Sektor. Die amtlich veranschlagten 12,8 Billionen Dollar, die bislang im Zusammenhang mit der Stabilisierung der Finanzmärkte genannt wurden, könnten indes leicht übertroffen werden.
Der Publizist Mike Whitney erläuterte in einem Beitrag auf dem Portal »Counterpunch«, wie all diese Hilfsmaßnahmen zur neuesten Börsenrallye beitrugen: »Die Fed hat toxische Kreditverbriefungen im Billionenwert in ihre Bilanzen aufgenommen, und dadurch die Finanzinstitutionen mit der Liquidität versorgt, die sie brauchen, um auf dem Aktienmarkt zu spekulieren.« Da die Märkte für Hypotheken und Kreditvertiefungen weiterhin »in Scherben« lägen, hätten die Banken weniger Möglichkeiten, ihre GewinnÂerwartungen zu realisieren. »Die Kreditvergabe ist gesunken, aber die Spekulation ist gestiegen. Sehr stark gestiegen«, so Whitney. Das gesamte Finanzsystem sei aber bankrott. Nun würden billionenschwere Wertpapiere und Derivate, unzählige zwielichtige Banken und Versicherungen durch die US-Steuerzahler gestützt. »Bernanke steht mit dem Rücken zur Wand. Das einzige, was er tun kann, besteht darin, noch mehr Geld zu drucken und es durch die Hintertür in die Aktienmärkte zu schaufeln«, umreißt Whitney den Handlungsspielraum des wieder für das Amt nominierten US-Notenbankchefs.
Mit einer weiteren Spekulationsblase soll schlicht der ökonomische Zusammenbruch verhindert werden, der aufgrund des aktuellen Crashs droht. Zudem seien viele durch Fed-Kredite vor dem Kollaps gerettete Finanzinstitute dazu übergegangen, auf den Aktienmärkten um ihr eigenes ökonomisches Überleben zu zocken: »Die Kredite der Fed werden durch Finanzinstitutionen auf die Aktienmärkte geworfen, die so die Münze um ihr eigenes Überleben werfen«, beschreibt der kritische Analyst die Situation. Ökonomische »Leichen auf Urlaub«, praktisch längst insolvente Finanzinstitutionen, die nur dank großzügig gelockerter Bilanzierungsregeln und staatlicher Kredite noch ein Scheinleben fristen, spielen im globalen Kasino ihre letzte Runde russisches Roulette – bis auch diese letzte Blase platzt.