Kapitulation vor dem Rassismus

„Junge Welt“, 19.06.2009
Studie kritisiert Untätigkeit der polnischen Regierung gegen neofaschistische Gewalt

Nach der Abwahl der rechtskonservativen Regierung von Jaroslaw finden Umtriebe polnischer Rechtsextremisten in polnischen oder gar westeuropäischen Medien kaum noch Beachtung. In der von der Kaczynski-Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) angeführten Regierungskoalition gab es auch populistische und rechtsextreme Gruppierungen, die beträchtlichen Einfluß auf Polens Medien- und Bildungspolitik gewinnen konnten. Mit dem Wahlsieg der neoliberalen »Bürgerplattform« (PO) um Premier Donald Tusk im Oktober 2007 brach ein großer Teil des parteipolitisch organisierten rechtsextremen Spektrums Polens zusammen. Parteien wie die Liga der polnischen Familien (LPR), die zuvor in der Kaczynski-Regierung das Bildungsministerium okkupieren konnte, fanden sich in der politischen Bedeutungslosigkeit wieder.

Daß der organisatorische Zusammenbruch der extremistischen Rechten Polens nicht mit einem Rückgang des rassistischen Ressentiments einherging, beweist eine jüngst publizierte Studie. Der von der polnischen antifaschistischen Vereinigung »Nigdy Wiecej« (Nie Wieder) in Kooperation mit der deutschen Vereinigung Opferperspektive herausgegebene Report kritisiert insbesondere die Untätigkeit der derzeitigen neoliberalen polnischen Regierung, die bislang keinerlei antirassistische Initiativen gestartet habe. Auch die polnischen Ermittlungsbehörden würden rassistische Verbrechen kaum systematisch verfolgen, so der Tenor des Berichts, der unter dem Titel »Hate Crime Monitoring and Victim Assistance in Poland and Germany« auf der Internetpräsenz von Nigdy Wiecej in englischer Sprache frei zugänglich ist.

In seinem Braunbuch hat Nigdy Wiecej beispielsweise allein für das Jahr 2007 an die 130 Fälle von rassistischen und antisemitischen Übergriffen oder Propagandadelikten festgehalten, bei denen es teilweise zu schwerer Körperverletzung kam. (In Ostdeutschland zählte die Opferperspektive im selben Zeitraum 861 Vorfälle »rechtsextremer Aggressionen« auf). Die polnischen Polizeibehörden würden aber diese Fälle nicht systematisch erfassen, monierte Nigdy Wiecej. In 2006 seien nur zwölf Übergriffe aus rassistischen Motiven offiziell festgestellt worden, für 2007 lägen sogar überhaupt keine Zahlen vor. In Polen würden hauptsächlich Roma, Homosexuelle, alternative Jugendliche und Aktivisten antirassistischer und progressiver Gruppen rechtsextremistischen Übergriffen zum Opfer fallen. Die staatlichen Stellen in Polen »wissen nicht, wie sie dem Rassismus und der Xenophobie in Polen begegnen sollen. Obwohl die Gesetzeslage den Kampf mit diesen Erscheinungen verlangt, wird dieser in der Praxis nicht geführt«, so das vernichtende Fazit von Nigdy Wiecej.

www.nigdywiecej.org

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