Auf Annäherungskurs

„Junge Welt“, 02.05.2009
Alarm in Aserbaidschan: Beziehungen zwischen Türkei und Armenien normalisieren sich

Die jahrelang verhärteten geopolitischen Frontverläufe im südlichen Kaukasus scheinen in Bewegung zu geraten. Insbesondere das einstmals besonders innige Bündnis zwischen der Türkei und dem rohstoffreichen Aserbaidschan wird derzeit auf eine harte Belastungsprobe gestellt. Am 25. April reagierten türkische Regierungsmitglieder mit Unverständnis auf Medienberichte, denen zufolge Aserbaidschan massive Preiserhöhungen für das in die Türkei exportierte Erdgas fordere. Ankaras Energieminister Hilmi Güler rief öffentlich Aserbaidschan dazu auf, »bestehende Verträge über Gaslieferungen einzuhalten«.

Weiteren Berichten zufolge soll Aserbaidschan sogar damit gedroht haben, im Falle einer Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien die Gaslieferungen an Ankara gänzlich zu stoppen. Damit wirft Baku sein gesamtes energiepolitisches Gewicht in die Waagschale, um die seit September vergangenen Jahres eingeleitete Normalisierung zwischen Armenien und der Türkei zu verhindern. Ankara brach 1993 jegliche Beziehungen mit Jerewan ab, nachdem sich die vornehmlich armenisch besiedelte Region Berg-Karabach aus dem aserbaidschanischen Staatsverband herausgelöst hatte.

Bislang machte Ankara eine Normalisierung der Beziehungen zu Jerewan von einer Lösung dieses Konflikts abhängig. Doch nachdem der türkische Präsident Abdullah Gül als erster Staatschef der Türkei überhaupt im September Armenien besuchte, scheinen beide Seiten auf einem Annäherungskurs. Der armenische Präsident Sersch Sargsjan hatte zuvor erklärt, die türkische Anerkennung eines Völkermordes an den Armeniern sei keine Voraussetzung für die Verbesserung der Beziehungen. Ein erster Durchbruch konnte am 24. April verzeichnet werden, nachdem man sich auf einen Zeitplan zur Normalisierung des Verhältnisses einigen konnte. Gemäß der inoffiziellen Vereinbarung sollen diplomatische Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien wieder aufgenommen, die Grenze beider Staaten schrittweise geöffnet und der Völkermord an den Armeniern durch eine gemeinsame Historikerkommission untersucht werden.
Für Aserbaidschan käme insbesondere eine Grenzöffnung zwischen der Türkei und Armenien einem außenpolitischen Fiasko gleich, da das landumschlossene Armenien derzeit nur mit Georgien und dem Iran Grenzübergänge unterhält. Des weiteren sind die Beziehungen zwischen Baku und Ankara aufgrund der harten Verhandlungshaltung der türkischen Regierung in bezug auf die westliche Nabucco-Pipeline angespannt, die aserbaidschanisches Erdgas über türkisches Territorium bis nach Europa transportieren soll. Die Türkei fordert, 15 Prozent des Erdgases für den Eigenbedarf aus der Pipeline abzweigen zu dürfen. Dieses Verlangen veranlaßte Baku dazu, mit Rußland einen Vorvertrag über den Verkauf von Erdgas zu unterschreiben – und somit die Realisierung der Nabucco-Pipeline in Frage zu stellen.

Tatsächlich wird die Annäherung zwischen der Türkei und Armenien nicht nur von Aserbaidschan, sondern auch von Rußland argwöhnisch beäugt. Moskau drohe bei einer Aussöhnung zwischen Jerewan und Ankara ein substantieller Einflußverlust im Südkaukasus, da nach der Öffnung der Grenze zur Türkei Armenien keine gewichtigen Gründe mehr haben werde, »sich in seiner Außenpolitik ausschließlich auf Rußland zu orientieren«, meldete die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Vielleicht erklärt gerade diese Perspektive die Unterstützung, die dieser türkisch-armenische Entspannungskurs seitens der USA erhält. Beide Länder sollen ihre Beziehungen »innerhalb eines vernünftigen Zeitraums« normalisieren, hieß es seitens des Außenministeriums in Washington.

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