Krise trifft Spätstarter

„Junge Welt“, 17.04.2009

Bulgarien hat als letztes osteuropäisches Land neoliberale Reformen durchgesetzt. Nach kurzem Boom stürzt die Wirtschaft jetzt in Rezession

Bulgariens Immobilienmarkt galt vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise als einer der gewinnträchtigsten Investitionsstandorte in Europa. Viele Angehörige der westeuropäischen Mittelklasse, insbesondere aus Großbritannien, konnten hier im mediterranen Ambiente Grundstücke und Häuser erwerben, die trotz stürmisch steigender Preise nur einen Bruchteil dessen kosteten, was in Südfrankreich, Italien oder Spanien fällig gewesen wäre. Wie in kaum einer anderen Region Mittelosteuropas gestaltete sich dieser Immobi­lienhype – mitsamt seiner Wirkung auf den Bausektor – binnen kürzester Zeit zu einem zentralen Konjunkturmotor, der den Wirtschaftsaufschwung dieser gerade mal 7,6 Millionen Einwohner zählenden Volkswirtschaft befeuerte.

In vielen Bereichen des bulgarischen Immobilienmarktes geht nun die Party zu Ende. Die Käufer aus Westeuropa bleiben aus. Obwohl die Preise für Wohneigentum in 2008 noch im Schnitt um 25 Prozent angestiegen waren, ist im letzten Quartal des vergangenen Jahres schon einen Rückgang von vier Prozent festgestellt worden. Die Umsätze gingen 2008 sogar um 40 Prozent zurück. Für dieses Jahr wird neuesten Prognosen zufolge ein weiteres Sinken des Preisniveaus um etwa 20 Prozent erwartet. Laut der Immobilienabteilung der österreichischen Raiffeisenbank sind die Preise für Wohneigentum in Bulgarien bereits auf das Niveau von 2007 gesunken, wobei einzig der Luxussektor eine weiterhin stabile Nachfrage aufweise.

Dabei hat das Land noch Glück im Unglück gehabt. Der Neoliberalismus hatte sich hier relativ spät durchgesetzt. Bulgarien sei das letzte ehemals kommunistische Land Osteuropas gewesen, in dem Ende der 90er Jahre die »Wirtschaft reformiert wurde«, bemerkte dazu die New York Times. Folglich sei auch der dortige Immobilienmarkt ein »Nachzügler«. Deshalb habe die internationale Finanzkrise die bulgarische Immobilienblase in einem frühen Stadium zum Platzen gebracht.

Der Boom war kurz und heftig, folglich ist dessen Ende für die bulgarische Baubranche besonders schlimm. Nikolaj Michajlow, Sprecher des Verbandes der bulgarischen Bauindustrie, forderte die Regierung in Sofia auf, sich verstärkt für die Freigabe von derzeit eingefrorenen EU-Mitteln Einzusetzen: »Die Regierung muß schnell Wege finden, das Geld freizugeben, um die großen Infrastrukturprojekte so schnell wie möglich angehen zu können.« Die Bauunternehmen seien besonders nervös, da »die Krise 75 Prozent von ihnen ohne Arbeit gelassen« habe, warnte Michajlow in bulgarischen Medien. Die Realisierung von Infrastrukturprojekten aus EU Mitteln sei nun »eine Frage des Überlebens« für die bulgarische Bauindustrie.

Die Brüsseler Bürokratie weigert sich bislang hartnäckig, die zugesagten Fördermittel an Sofia zu überweisen. Als Vorwand wird die ausufernde Korruption in Bulgarien herangezogen. Dabei könnten die vor allem für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur vorgesehenen Mittel im Rahmen eines klassischen Konjunkturprogramms die Auswirkungen der Krise mildern. Bei einem kürzlich abgehaltenen Kongreß in Sofia bettelte Simeon Peschow, Vorsitzender der bulgarischen Bauunternehmervereinigung, den EU-Kommissar für Regionalentwicklung, Carsten Ramussen, um Freigabe der EU-Mittel an. Doch dieser blieb laut Nachrichtenagentur AFP hart. Der Ausbau des bulgarischen Straßennetzes wird laut Brüsseler Beschluß nahezu gänzlich eingefroren und frühestens Ende 2009 wieder aufgenommen.

Bis dahin dürfte aber die bislang eher moderat steigende Arbeitslosigkeit rasant zunehmen. Im März 2009 konnte das bulgarische Arbeitsministerium einer Erwerbslosenquote von »weniger als sieben Prozent« melden. Dennoch ist auch in Bulgarien von einer »Frühjahrsbelebung« keine Spur zu sehen. Im Januar wurden offiziell 6,5 Prozent und im Februar 6,68 Prozent der Erwerbsfähigen als arbeitslos registriert.

Einbrüche gibt es hingegen bereits im Einzelhandel. Dessen Umsätze brachen im Februar um 10,1 Prozent gegenüber dem Vormonat ein. Noch dramatischer ist der Fall der bulgarischen Industrieproduktion. Diese sank im Februar um 17,7 Prozent, nachdem sie bereits im Januar um 18,4 Prozent geschrumpft war. Inzwischen können die ersten Unternehmen die Löhne nicht mehr auszahlen. Anfang April haben mehr als 1000 Arbeiter des Stahlwerks KMKV.BB in Sofia für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze sowie die Auszahlung der mitunter seit fünf Monaten nicht mehr erhaltenen Gehälter demonstriert.

Jeglicher Möglichkeiten zur Initiierung eines Konjunkturprogramms durch die Blockade seitens der EU-Bürokratie beraubt, sind die weiteren Aussichten Bulgariens düster: Einer neuesten Analyse der italienischen Bank Unicredit zufolge wird der Balkan­staat 2009 und 2010 eine Rezession durchzustehen haben, die zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu zwölf Prozent führen könnte. Als besonders verheerend werde sich die Abnahme der ausländischen Direktinvestitionen erweisen, deren Umfang von derzeit 16,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukte (BIP) auf gerade mal sechs Prozent 2010 fallen könne, hieß es in dem Bericht.

Selbst die zweifelhaften »Erfolge« neoliberaler Zurichtung Bulgariens – das Land hat rabiate Sozialkürzungen hinter sich und weist Europas niedrigste Flat-Tax von nur zehn Prozent auf – werden nun durch die Krise ad absurdum geführt. Der Haushaltsüberschuß von derzeitigen umgerechnet 380 Millionen US-Dollar wird sich neuesten Prognosen zufolge bereits in diesem Jahr aufgrund fallender Steuereinnahmen in ein knappes Haushaltsdefizit wandeln und 2010 bereits 1,5 Prozent des BIP erreichen. Internationaler Währungsfonds (IWF) und die Unternehmensverbände des Landes fordern von der Regierung bereits »einschneidende Sparmaßnahmen«. Neoliberale Hungerdiät statt keynesianischer Investitionsprogramme – so lauten die Vorgaben seitens Brüssels und des IWF für Bulgarien.

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