Kranker Musterknabe

„Junge Welt“, 23.02.2009
Polen: Dramatischer Wertverlust der Landeswährung. Immobilienblase erschüttert Bankensystem. Erwerbslosigkeit kräftig gestiegen

Die Gazeta Wyborcza wandte sich vor kurzem – mit einer bei diesem polnischen Leitmedium selten anzutreffenden Feinfühligkeit – einem besonders brisanten Thema zu. Die psychiatrischen Anstalten in den Städten Tworki und Lublinec seien gerade dabei, diskret neue Stationen für Manager zu eröffnen, die angesichts der voranschreitenden Wirtschaftskrise einen psychischen Zusammenbruch erlitten haben. Bartosz Loza, Direktor der Klinik in Tworki, versprach seinen vermögenden Patienten in der Zeitung »luxuriöse Bedingungen« in einer eigens gegründeten Abteilung. Die neuen Patienten haben in den letzten Jahren ihre Karriereleitern beständig erklommen und kämen mit der Krisensituation nicht klar, erläuterte der Vorsitzende der polnischen psychiatrischen Vereinigung, Prof. Aleksander Araszkiewicz: »So jemand gibt sein ganzes Geld aus, aber er geht nicht in ein gewöhnliches Krankenhaus, das wäre für ihn eine Ehrverletzung.«

Der rasante Krisenprozeß in Polen wird dafür sorgen, daß die neu eröffneten, »malerisch gelegenen« Anstalten keinen Mangel an Kundschaft haben werden. So konnte in der vergangenen Woche ein radikaler Verfall der polnischen Währung, des Zloty, nur knapp abgewendet werden. Nachdem sich sein Wert, der Mitte 2008 mit 3,19 für einen Euro seinen Höchststand erreicht hatte, nach massiven Spekulationen scheinbar unaufhaltsam der Fünf-Zloty-Marke genähert hatte, sah sich der polnische Regierungschef Donald Tusk am Mittwoch gezwungen, diese Marke als Interventionsgrenze festzuschreiben. Tatsächlich gingen die staatlich kontrollierten Banken BGK und BGZ bereits in der vergangenen Woche dazu über, größere Mengen Euro aufzukaufen, so daß der Kurs am Freitag bei 4,75 vorläufig stabilisiert werden konnte.

Der enorme Abzug von Kapital aus dem polnischen Markt laäßt auch den Aktienindex WIG 20 immer weiter fallen. Er hat binnen eines Jahres nahezu 60 Prozent seines Wertes eingebüßt. An die 30 Milliarden Zloty sind nach Berechnungen des ehemaligen stellvertretenden Finanzministers Stanisaw Gomuka in den vergangenen Monaten aus dem polnischen Finanzmarkt abgezogen worden. Für besondere Empörung sorgte in der dortigen Öffentlichkeit die im nachhinein publik gewordenen Beteiligung der US-Bank Goldman Sachs an den spekulativen Angriffen gegen den Zloty. »Ein paar Typen haben mit dem Leben von Millionen Menschen gespielt«, tobt jetzt selbst die bis vor kurzem als stramm neoliberal geltende Wyborcza.

Die »Millionen Menschen«, von denen die Zeitung spricht, das sind die Kreditnehmer Polens, die oftmals ihre Hypotheken oder Darlehen in Fremdwährung aufnahmen, da für sie niedrigere Zinsen zu zahlen waren. Zudem sank die finanzielle Belastung durch die Kredite, solange der Zloty im im Steigen begriffen war. Doch nun, angesichts des rapide verfallenden Kurses der eigenen Währung, können viele polnische Kreditnehmer ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Dabei ist die Bevölkerung Polens nicht so exzessiv verschuldet, wie beispielsweise die im Baltikum, wo die private Verschuldung ca. 100 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) entspricht. In Polen liegen die privaten Schulden noch unter 50 Prozent des BSP.

Ein erheblicher Teil der sich auf etwas mehr als 300 Milliarden Zloty belaufenden Kredite der Privathaushalte in Polen entfällt auf Hypotheken. Seit dem EU-Beitritt des Landes stiegen die Immobilienpreise stürmisch. In vielen Regionen des Landes verteuerten sich Häuser und Baugrund um mehr als 100 Prozent. Während dieses spekulativen Booms auf dem Immobilienmarkt gingen Baugesellschaften, Investoren und Banken dazu über, immer neue Bauprojekte einzuleiten und zu finanzieren. Diese finden nun keine Abnehmer mehr oder wurden gar nicht erst zu Ende gebaut. Zwischen Mitte und Ende 2008 sind die Preise für Neubauwohnungen in Warschau um 6,5, in Krakau um 13,4 und in Danzig um 15,6 Prozent eingebrochen. Dabei wird der eigentliche Abschwung auf dem Immobilienmarkt erst noch erwartet: »Manche Bauträger verkaufen derzeit eine oder zwei Wohnungen im Monat und bekommen langsam Liquiditätsprobleme. Schon in ein paar Monaten könnten sie sich gezwungen sehen, Wohnungen im Paket zu einem sehr viel niedrigeren Preis zu verkaufen«, erklärte Marcin Golebiowski von »Rednet Consulting« im Gespräch mit der Tageszeitung Rzeczpospolita. Laut Golebiowski könnten die Wohnungspreise in den großen Städten bis Mitte 2009 noch um bis zu 30 Prozent nachgeben.

Mit dem schwindsüchtigen Bausektor und der lahmenden Binnennachfrage brechen Polen die wichtigsten Stützen seiner Konjunktur weg. Konnte zwischen Oder und Bug 2008 noch ein Wirtschaftswachstum von mehr als vier Prozent erreicht werden, so korrigierte die polnische Regierung Ende Januar die Prognose für 2009 auf 1,7 Prozent. Allerdings dürfte sich auch diese Vorhersage als zu optimistisch erweisen. Die am 19. Februar veröffentlichten Zahlen des polnischen statistischen Amtes belegten einen Einbruch der Industrieproduktion um 14,9 Prozent im Januar gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Wie der Newsblog infoseite-polen.de bemerkt, nützt selbst der schwache Zloty dem verarbeitenden Gewerbe nichts, da auch die polnischen Exporte im Januar voraussichtlich um 25 Prozent zurückgingen. Dieser konjunkturelle Einbruch ließ bereits im Januar die Erwerbslosigkeit auf 10,5 Prozent steigen. Mitte 2008 waren offiziell acht Prozent der Bevölkerung arbeitslos. Neuesten Schätzungen zufolge könnte das Heer der Arbeitsuchenden in Polen binnen der nächsten zwei Jahre auf bis zu 17 Prozent anwachsen. Somit wäre das Land wieder dort, wo es vor dem Eintritt in die EU war, als die Erwerbslosenquote bei nahezu 20 Prozent lag.

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