Die Verbrechen des Bill Gates

Telepolis, 25.05.2020

Ein Blick hinter die Kulissen der Selbstdarstellungsshow des Microsoft-Milliardärs macht deutlich, wie Ideologie im Spätkapitalismus funktioniert

Die Versuchung ist groß, die Hassobjekte des um sich greifenden Wahns zu idealisieren. Doch auch wenn Millionen Wahnwichtel und Folienkartoffeln ihn zum neuen Oberbösewicht einer geheimen Weltregierung ernannt haben, ändert das nichts an der Tatsache, dass es sich bei Bill Gates um eine emeritierte Charaktermaske des Kapitals handelt, die nur deswegen zur Zielscheibe der abermals anschwellenden autoritären Revolte wurde, weil sie quasi in Rente ist.

Kritik an Gates‘ Machtfülle wäre in den vergangenen Jahrzehnten angebracht gewesen, als sein Aufstieg mit den üblichen rücksichtslosen Methoden bewerkstelligt wurde, die seine Milliarden nun vergessen machen lassen. Er mag sich ja hinter einer auf Hochglanz polierten Fassade seiner milliardenschweren Stiftung verstecken und den Mäzen und großen Philanthrop spielen, doch für jeden, der den Mut aufbringt, hinter die Kulissen der großen Gates-Show zu blicken, kommt der übliche kapitalistische Abgrund aus Durchschnittlichkeit, Rücksichtslosigkeit und Raffgier zum Vorschein, der selbst einem Reptiloiden das Blut zum Kochen brächte.

Winzigweich
Die Verbrechen des Bill Gates lassen sich ganz klar benennen. Sie tragen idiotische, von Innovationsfaulheit strotzende Namen wie „Windows 95“, „Windows 98“, „Windows ME“ oder „Windows Vista“. Allein schon der Klang dieser Betriebssystemnamen lässt bei Generationen von Computernutzern alte Traumata wieder aufbrechen. Mal ganz abgesehen vom millionenfachen menschlichen Leiden – es ist kaum zu ermessen, welchen Schaden das Monopol Microsofts der Entwicklung der Produktivkräfte im Bereich der Informationstechnik zufügte.

Zugleich machte Microsofts kometenhafter Aufstieg zum Monopolisten aber auch klar, dass weder Können, noch Genie oder Produktqualität ausschlaggebend für Markterfolg sind. Die kapitalistische Parole, wonach sich das bessere Produkt am Markt durchsetze, wurde durch das nimmermüde, unterdurchschnittliche Schaffen von Bill Gates, Steve Ballmer und Microsoft als Ideologie überführt. Übrigens, Bill Gates war auch ein durchschnittlicher Programmierer, sein opportunistisches Unternehmen hat die Visionen anderer IT-Akteure übernommen und miserable Kopien davon popularisiert.

Bill Gates ist kein Genie, er hat Glück gehabt. Möglich war der Aufstieg Microsofts nur durch einen Deal mit IBM, bei dem Gates & Co. das Betriebssystem für die IBM-PCs lieferte. Doch selbst dieses Betriebssystem, das später als MS-DOS berüchtigt wurde, ist nicht etwa von dem heutigen Philanthropen selbst entwickelt worden: Das „Genie“ musste es in aller Schnelle bei der Konkurrenz aufkaufen. Es handelte sich um eine unverschämte Kopie des damals verbreiteten CP/M von Seattle Computer Products. Laut Gerüchten hat Billy Boy übrigens den entscheidenden Vertrag mit IBM nur deswegen erhalten, weil seine Mama mit einem Konzernlenker von Big Blue bei einer Wohltätigkeitsorganisation eine Bekanntschaft unterhielt.

Das Geschäftsmodell von Microsoft beruhte in den darauf folgenden Jahrzehnten schlicht darauf, seine Monopolstellung auf dem Betriebssystemmarkt auszunutzen, um Konkurrenz auszuschalten und die Innovationen anderer Unternehmen in Form miserabler Kopien zu übernehmen. Immer kam Bill Gates als letzter zur Party, wobei ihm sein Monopol den Markterfolg garantierte. Der Internet Explorer hat sich nur deswegen gegen Netscape beim ersten großen Browserkrieg durchgesetzt, weil Microsoft es unmöglich machte, diese Zumutung zu deinstallieren. Während des entsprechenden Gerichtsverfahrens behauptete Microsoft in einem Anflug von Realsatire gar, durch das Deinstallieren des Browsers würde Windows langsam und instabil werden.

Die Gates-Foundation
Doch selbst die Gates-Foundation, das milliardenschwere „Hobby“ des emeritierten Monopolisten, fungiert de facto als ein Vehikel zur Verfestigung neoliberaler Strukturen und Politikrezepte im globalen Süden, wie Nichtregierungsorganisationen (NGO) schon seit längerer Zeit kritisieren. Bill Gates verfolge in dieser Hinsicht eine „ideologische“ Agenda, von der gerade auch Konzerne der Agrar- oder Pharmabranche profitierten, konstatierte etwa Global Justice schon 2016.

Die Stiftung würde nur „technologische Lösungen“ für Armut und Elend suchen, während Fragen der „sozialen und ökonomische Gerechtigkeit“ ausgeklammert würden. Zudem arbeitete die Stiftung eng mit den Konzernen der Pharmabranche zusammen – technologische Lösung ist somit einfach ein Code für neue Marktfelder. Zur Bekämpfung von Malaria oder Tuberkulose werden von der Gates Foundation sogenannte Public-Private-Partnerships aufgebaut, bei denen Unternehmen profitorientiert mitwirken – und dies wird zugleich als „Entwicklungshilfe“ ausgegeben. Zudem tauschte Bill Gates seine Marktmacht in der IT-Industrie schlicht gegen eine dominante Stellung bei den Fragen von Entwicklungspolitik, klagte Global Justice, sodass kaum noch relevante Akteure und NGOs bereit seien, die neoliberale Politik der Stiftung zu kritisieren.

Der neue deutsche Wahn, dem der deprimierend durchschnittliche Milliardär Gates als ein genialer Weltbösewicht erscheint, der mittels Impfkampagnen Milliarden Menschen umbringen und die Menschheit versklaven will, weist somit ein kleines Körnchen verzerrte Realität auf – allein durch den Umstand, dass die Gates-Stiftung tatsächlich eine kritikwürdige neoliberale Entwicklungspolitik betreibt, bei der aus einer ideologischen Motivation heraus der Versuch unternommen wird, Geschäftemacherei mit dem Kampf gegen Krankheiten zu verbinden.

Ähnlich verhält es sich mit den umstrittenen Bemerkungen Bill Gates‘ zu den Ursachen des kapitalistischen Elends in der „Dritten Welt“, speziell in Afrika, die von dem Milliardär – ganz im Einklang mit der Neuen Rechten – bei souveräner Ignorierung der evidenten Zusammenhänge auf die malthusianische Überbevölkerungsthese zurückgeführt werden.

Bill Gates und seine „Foundation“ sehen nicht im Kapitalismus, sondern im Bevölkerungswachstum die Ursache des Elends der „Dritten Welt“, was durch die von der Stiftung geförderte Verbreitung von Verhütungsmitteln und durch die Hebung der Gesundheitsstandards in der Peripherie bekämpft werden solle. Hierzu gehören auch die von der Stiftung unterstützten Impfungen, mit denen die Familienplanung im globalen Süden erleichtert werden solle.

Dieser problematische malthusianische Blick des Milliardärs auf die Dritte Welt, bei dem der weitaus größere Ressourcenverbrauch in den Zentren des Weltsystems (vor allem in den USA und der EU!) ausgeblendet wird, bildet somit den verzerrten wahren Kern, um den sich das wahnhafte Lügengebilde von Weltherrscher und Massenmörder Bill Gates ausformte.

Ideologie
Ideologie, auch in ihrer bizarren deutschen Coronaform, weist immer einen Anteil verzerrter Realität auf, der gerade auf die widerspruchsgeplagte Gesellschaft verweist, in deren Mitte sie ausgebrütet wird. Bei der Anhängerschaft der großen deutschen Verschwörungsbewegung handelt es sich ja gerade nicht um Außerirdische, es sind keine Reptiloiden. Die Massen, die ihren präfaschistischen Wahn offen zelebrieren, sind Fleisch vom verwesenden Fleisch des Spätkapitalismus, sie sind Personifizierungen der in der Krise offen zutage tretenden, autodestruktiven Irrationalität des Kapitals.

Dies wird etwa bei der bizarren „Impfangst“ evident, die diese neue deutsche Wahnwelle antreibt. Man glaubt sich als „Impfkritiker“ im Kampf gegen eine übermächtige Pharmalobby, die alle Welt todimpfen wolle mit ihren furchtbaren, in Spritzen abgefüllten und wohl auf Adrenochrom basierenden „Chemiewaffen“ – während die ja tatsächlich gegebene Pharmalobby nun wirklich alle Hebel in Bewegung setzt, um bloß keine Impfstoffe entwickeln zu müssen.

Es lohnt sich schlicht nicht, in Impfstoffe zu investieren, es ist ein schlechtes Geschäft, das vom kapitalistischen Markt schon seit Jahrzehnten vernachlässigt wird. Der Skandal besteht gerade darin, dass die hochprofitable Pharmabranche darin versagte, nennenswerte Mittel für die Erforschung von Impfstoffen aufzuwenden, da hier hohe Kosten großen Risiken gegenüber stehen. Es flossen seit dem Ausbruch der Sars-Epidemie so gut wie keine Mittel in die Erforschung der Coronaviren, obwohl die WHO darauf drängte, weil es sich hierbei um ein schlechtes Geschäft handelt.

Deutscher Wahn und globale kapitalistische Realität kollidieren somit gerade beim Thema Pharmaindustrie frontal. Während Wahnwichtel jedweder Couleur von einer Impfverschwörung schwadronieren, wollen hochprofitable Konzerne es vermeiden, zur kostspieligen Erforschung von Impfstoffen verpflichtet zu werden. Inzwischen diskutiert ja selbst die FAZ eine diesbezüglich staatliche Regulierung der Pharmabranche.

Damit betreibt der neue deutsche Wahn faktisch das Propagandageschäft der Pharmabranche, während er sich selber in Opposition zur mächtigen Weltverschwörung unter Schirmherrschaft der Gates-Foundation sieht. Übrigens hat die Gates-Foundation tatsächlich die Entwicklung von Impfstoffen gefördert, indem sie Mindestpreise für diese garantierte. Anders als durch „sozialistische“ Subventionen ist die segensspendende Hand des kapitalistischen Marktes nicht dazu zu bewegen, überlebensnotwendige Investitionen zu tätigen, die sich nicht ausreichend rechnen. Und genau dieses Verhalten der Gates-Stiftung, die sich bemühte, durch Subventionen notwendige Investitionen in Impfstoffe zu fördern, wurde als Teil einer Verschwörung in die Wahngebäude der „Impfkritiker“ eingebaut.

Diese ideologische Dynamik, bei der Momente einer widerspruchsgeladenen spätkapitalistischen Realität in Wahnsysteme eingebaut werden, die eben diese Realität letztendlich legitimieren, wird gerade bei dem oftmals belächelten Diktatur-Warnungen der Verschwörungsgläubigen evident. Der schleichende Abbau von Grundrechten, die Erosion bürgerliche Demokratie bildet den sehr realen Hintergrund, vor dem das unsinnige Gerede von der bereits realisierten Diktatur stattfindet.

Nicht nur die aktuellen staatlichen Corona-Maßnahmen, die vor allem in Bayern autoritäre Tendenzen offenbarten, auch die in den vergangenen Jahren durchgesetzten Landespolizeigesetze gehen mit einer postdemokratisch anmutenden Ausweitung der Befugnisse und Kompetenzen des Polizeiapparates einher, die sehr wohl Grund zur Sorge und entschiedener Opposition liefern.

Das Gerede der Verschwörungsgläubigen von der Diktatur in der „BRD-GmbH“ ist hingegen eine Adaption der neurechten Narrative, mit der die barbarische Enthemmung des öffentlichen Diskurses in den vergangenen Jahre forciert wurde, indem jede öffentliche Opposition gegen Hetze und zivilisatorische Tabubrüche der Neuen Rechten als Ausweis einer diktatorischen Maulkorbgesinnung verurteilt wurde, da man „nicht mehr offen reden könne“ – und es sind gerade diese präfaschistischen Argumentationsmuster, die auf die Dominanz der Neuen Rechten in der Verschwörungsbewegung hindeuten. Von der in Verschwörungsgebilde gekleideten Angst vor autoritären Tendenzen profitieren somit autoritäre Kräfte, die gerade besonders starken Rückhalt in den mit faschistischen Netzwerken durchsetzten Staatsapparat der Bundesrepublik haben.

Krise und Massenwahn
Den gemeinsamen, sehr reellen Nenner all dieser Wahngebilde bildet der neue kapitalistische Krisenschub, der durch die Pandemiebekämpfung ausgelöst wurde. Die Systemkrise des Kapitals, das an seinen inneren und äußeren Widersprüchen zerbricht, wird in der Bewegung vom Wahngebilde der Neuen Weltordnung (NWO) verzerrt reflektiert, die von der imaginierten Gates-Weltverschwörung angestrebt werde. Der voll einsetzende Krisenprozess des Kapitals kann somit nur als Verschwörung wahrgenommen werden.

Insofern ahnen Deutschlands Folienkartoffeln, die sich heiser Schreien im Schattenkampf gegen die NWO, dass ungeheure Erschütterungen auf das morsche spätkapitalistische System zukommen, dass das Kapital – im blinden Wachstumswahn verfangen – de facto seine Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft hat und der Menschheit die ökologischen Lebensgrundlagen entzieht (Dies ist die reelle Grundlage der apokalyptischen Bilder, die in dieser Bewegung auftauchen). Die Krise manifestiert sich somit als Angst, als ein unreflektiertes Bauchgefühl, dass die Bewegung irrational in den entsprechenden Verschwörungsnarrativen verarbeitet. Letztendlich sind folglich Deutschlands Wahnwichtel einen irrationalen Schritt weiter als all ihre Kritiker im „Mainstream“, die so tun, als ob alles in Ordnung wäre.

Es ist aber ein Schritt in die verkehrte, präfaschistische Richtung. Wiederum driftet hier die nur zu berechtigte, unverstandene Angst vor den Krisenfolgen ins Irrationale ab, um letztendlich eben das System zu rechtfertigen, das die Ursache der Verwerfungen und Ängste bildet. Was will die Bewegung? Ein Ende des Lockdowns, eine Rückkehr zur ideologisch als Naturzustand verklärten kapitalistischen „Normalität“, deren widersprüchlicher Wachstumszwang die Ursache der ökologischen wie ökonomischen Doppelkrise ist, mit der die Menschheit sich konfrontiert sieht.

Und eben dies krampfhafte Festhalten an dem, was zerfällt, stellt das ganze barbarische Verhängnis dar, dem Verschwörungsängste und Massenwahn im Rahmen dieser sich formenden präfaschistischen Ideologie zuarbeiten. Ideologie stellt somit eine verzerrte Wahrnehmung von unverstandener gesellschaftlicher Realität dar, die letztendlich dazu dient, das Bestehende allem Leiden zum Trotz zu rechtfertigen. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn sich der autochthone Massenwahn der autoritären Revolte und das Verwertungsinteresse des Kapitals überschneiden – etwa bei der Forderung nach dem Ende des „Lockdowns“.

Die Angst vor übermächtigen Verschwörungen, die diese öffentlichen Veitstänze antreibt, ist letztendlich Ausdruck des gesellschaftlichen Fetischismus, der subjektlosen Herrschaft des Kapitals als einer blind prozessierenden Verwertungsdynamik, die gerade in Krisenzeiten manifest wird. Ohnmächtig den unverstandenen Krisenfolgen ausgeliefert, wächst eine blinde Wut heran, die nach Hassobjekten sucht.

Die Erfahrung der Heteronomie unterm Kapital bildet die Brutstätte des Verschwörungswahns, der tendenziell in den Antisemitismus abdriftet. Die an den eskalierenden Widersprüchen des Kapitalverhältnisses irre gehenden Menschen suchen nach irgendwelchen Hintermännern, weil sie spüren, dass sie ihr eigenes Leben nicht unter Kontrolle haben, weil sie ahnen, dass die Menschheit ihre eigene Gesellschaft nicht kontrollieren kann, weil sie der blindwütigen Dynamik des amoklaufenden Kapitals ausgesetzt ist, die ganze Regionen, ja die ganze Welt sozial wie ökologisch verwüstet.

Es ist der Irrsinn einer irrationalen, an ihren Widersprüchen kollabierenden, spätkapitalistischen Welt, der im Massenwahn seinen politisch-ideologischen Ausdruck findet – und gerade dies verschafft dieser präfaschistischen Bewegung, dieser irren „neuen Mitte“ der Bundesrepublik, die eigentlich nur eine Mutation des braunen Pegida-Unrats ist, ihre ausgezeichneten Zukunftsaussichten.

Irgendwann ist der Verblendungsprozess nämlich so weit vorangeschritten, dass die Verschwörungsgebilde den Kontakt zur Realität vollauf verlieren, sich verselbstständigen und im Gestrüpp der Irrationalität ein irres Eigenleben entwickeln, das sich hermetisch gegen die Realität abkapselt. Ideologie geht dann in bloße Weltanschauung über, die kaum noch kritisiert werden kann. Wie soll man etwa dem QAnon Verschwörungskomplex, den Geschichten über unterirdische Kindergefängnisse, über Adenochrome und Trumps heldenhaften Kampf gegen die NWO begegnen? Irgendwann ist da eine Grenze überschritten, die eine Rückkehr aus dem La-La-Land unmöglich macht.

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