Tauziehen in Warschau vorbei

„Junge Welt“, 03.04.2008
Sejm ratifiziert EU-Reformvertrag. Etliche Gegenstimmen der Opposition

Mit 384 zu 56 Stimmen bei 12 Enthaltungen stimmte am Dienstag das polnische Parlament – der Sejm – dem EU-Reformvertrag zu. Dieser Zustimmung ging ein wochenlanges politisches Tauziehen zwischen der Regierung von Premier Donald Tusk und der rechtskonservativen Opposition voraus. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, wie auch sein Zwillingsbruder, Präsident Lech Kaczynski, drohten offen mit einer Ablehnung des Vertragswerks, das ohne die Stimmen ihrer Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) nicht die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Sejm erreicht hätte.

Die konservative Opposition beschuldigte die Regierung Tusk, die von der PiS-Führung während ihrer Regierungszeit mühsam erkämpften Zugeständnisse im EU-Vertrag aufgrund deutschen Drucks aufgeben zu wollen. Insbesondere die Beibehaltung des polnischen Vorbehaltes gegen die EU-Grundrechtecharta wurde von der PiS angemahnt, da ansonsten nach Meinung der Konservativen deutsche Umsiedler auf Rückgabe ihres Eigentums oder Entschädigung klagen könnten.

Der nun gefundene Kompromiß sieht vor, daß nach dieser Ratifizierung ein weiteres Gesetzespaket auf den parlamentarischen Weg gebracht wird, welches der polnischen Regierung verbietet, eigenständig Änderungen am Reformvertrag zuzustimmen. Zukünftig wird jedwede Modifikation des Vertragswerks der Zustimmung des polnischen Parlaments und Präsidenten bedürfen. Ein Teil der Parlamenta­rier der PiS sieht diese Regelungen als nicht hinreichend an und verweigerte sich der Zustimmung aus prinzipiellen Erwägungen. Die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza spekulierte bereits über eine Abspaltung dieses nationalistischen, euroskeptischen Flügels der PiS. Immerhin stimmten nur 89 von 157 Abgeordneten dieser Partei für die als »EU-Reformvertrag« reanimierte, bei etlichen Volksabstimmung wegen ihres neoliberalen und undemokratischen Charakters abgelehnte EU-Verfassung.

In der veröffentlichten Meinung Polens herrschte hingegen eine nahezu einmütige Freude über den errungenen Kompromiß. Diese Partylaune störten nur wenige Stimmen. Senator Ryszard Bender warnte am Mittwoch in der Debatte im Oberhaus des polnischen Parlaments, dem Senat, vor einer erneuten »Besatzung Polens«. Die EU wandle sich durch den Reformvertrag in einen Staat, und Polen werde eine seiner Provinzen, so Bender. Der PiS-Politiker appellierte an seine Amtskollegen kurz vor der Abstimmung im Oberhaus, den Vertrag nicht zu verabschieden und auf Neuverhandlungen zu drängen, da sonst Polen seine »Souveränität verlieren« werde. Der Appell verhallte größtenteils ungehört: 74 Senatoren stimmten für den Reformvertrag, 17 dagegen, sechs enthielten sich der Stimme.

Kritisch äußerte sich auch die konservative Zeitung Rzeczpospolita, die vor allem der PiS vorwarf, die während ihrer Regentschaft errungenen, marginalen Zugeständnisse im EU-Reformvertrag immer noch als einen »Erfolg« verkaufen zu wollen. Man müsse der Bevölkerung klar sagen, daß eine Ablehnung des EU-Reformvertrags faktisch den Ausschluß Polens aus der Europäischen Union zur Folge gehabt hätte, erklärte der Publizist Piotr Gabryel in einem Leitartikel, doch statt dessen habe die PiS »allen Kritikern die Lippen mit ihren unwahren Phrasen von einem historischen Erfolg Polens versiegelt«. Dabei sei doch klar, daß sich Deutschland in der Schlüsselfrage des Abstimmungsmodus im EU-Ministerrat, dem Machtzentrum der Europäischen Union, durchgesetzt habe.

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