Der alte Todesdrang der Neuen Rechten

Wie der Zivilisationsprozess in der sozioökologischen Krise des Spätkapitalismus in rechte Barbarei umzukippen droht. Kleine Psychopathologie der Neuen Rechten,

Telepolis, 30.08.2019

Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden. In diesem Bezug verdient vielleicht gerade die gegenwärtige Zeit ein besonderes Interesse. Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, daß sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung.“

Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur


„Wer Menschheit sagt, der will betrügen.“

Carl Schmitt, 1932, Der Begriff des Politischen

Die Effizienz kapitalistischer Vergesellschaftung, derer sich deren Apologeten rühmen, stellt eine bloße Oberflächenerscheinung dar. Im Kern ist das System irrational, widersprüchlich und hochgradig instabil. Der irrationale, fetischistische Selbstzweck der kapitalistischen Produktionsweise, die blinde und uferlose Akkumulation in der Warenproduktion verwerteter abstrakter Arbeit, wird nur mit rationalen, immer weiter perfektionierten Methoden vorangetrieben.

Irrationaler Verwertungszwang

An der konkreten Oberfläche der Gesellschaft scheint alles im Sinne der funktionellen kapitalistischen Rationalität geregelt zu sein, doch in ihrem real-abstrakten Inneren wird die Mehrwertmaschine durch einen irrationalen Verwertungszwang befeuert.

Diese immer weiter perfektionierte, kalte Effizienz der scheinrationalen kapitalistischen Warenproduktion, die der irrationalen Dynamik des Akkumulationsprozesses des Kapitals unterworfen ist, treibt in einem historischen Prozess auch dessen innere Widersprüche auf die Spitze. Dem Kapital als realabstraktes, nicht konkret greifbaren gesellschaftliches Produktionsverhältnis dient die konkrete Welt – Mensch, Natur, Maschinerie – als Material zur besagten tautologischen Selbstvermehrung durch Lohnarbeit.

Aus Geld soll mehr Geld werden, das wiederum noch mehr Geld produzieren soll – wobei das „Mehr“ letztendlich nur durch Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in der Warenproduktion akkumuliert werden kann. Die fetischistische Realabstraktion Kapital verheizt in einem tautologischen, uferlosen Verwertungsprozess konkrete Menschen, Rohstoffe und Energieträger als bloßen Rohstoff, um immer größere Quanta abstrakter Arbeit zu akkumulieren.

Doch zugleich untergräbt dieser durch Marktkonkurrenz durchgesetzte Zwang zur Rationalisierung und Automatisierung der Warenproduktion deren irrationalen Selbstzweck, indem er die Masse verausgabter Lohnarbeit immer weiter abschmelzen lässt. Die Folge ist das Aufkommen einer ökonomisch überflüssigen Menschheit, insbesondere in den unterlegenen Zusammenbruchgsebieten der Peripherie, in den „Failed States“, die die Ursprungsregionen der gegenwärtigen Flüchtlingskrise bilden.

Dieser derzeit zur historischen Reife gelangende innere Widerspruch des Kapitals (sein Drang zur „Entsubstanzialisierung“), der die innere Ursache der gegenwärtigen ökologischen wie ökonomischen Krisen bildet, lässt die dem System innewohnenden destruktiven und barbarischen Momente, die in Zeiten relativer Stabilität und Prosperität latent bleiben, offen zutage treten: Der Destruktionsdrang des Kapitals als unkontrollierbare fetischistische Dynamik, seine Flucht in Selbst- und Weltzerstörung, wird in der gegenwärtigen Krise manifest. Dies nicht nur in ökonomischer, sondern – vor dem Hintergrund der Klimakrise – vor allem in ökologischer Hinsicht.

Die konkrete Welt dient dem Kapital als bloßes Material, um in einem effizient organisierten Verwertungsprozess diese buchstäblich zu verheizen, damit der wesenseigene Wachstumszwang möglichst lange bei zunehmenden ökonomischen und ökologischen Friktionen aufrechterhalten werden kann.

Die Welt mag buchstäblich verbrennen und unbewohnbar werden, Generationen mögen in den Burnout getrieben werden, ganze Regionen mögen ökonomisch kollabieren, doch das Geld, das zu mehr Geld werden muss, ist als unkontrollierbare gesamtgesellschaftliche Dynamik diesen eskalierenden Krisenprozessen gegenüber blind. Es wird – allen Klimagipfeln zum Trotz – damit bis zur Weltzerstörung fortfahren, sollte es nicht bewusst emanzipatorisch überwunden werden.

Ein Überleben der Gattung Mensch ist nur jenseits des kapitalistischen Wachstumswahns denkbar, der letztendlich ein globales System effizienter Ressourcenvernichtung errichtet hat. Das Festhalten am Bestehenden, das im Zerfall begriffen ist, kommt somit einem Suizid nahe, einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod des Kapitals.

Globale „Selbstmordsekte“

Nicht nur die „Nebenwirkungen“ der „Entäußerungsbewegung“ des realabstrakten Kapitals sind ökologisch und sozial verheerend, gerade der leere Selbstzweck des Kapitals treibt mit zunehmender Produktivität die konkrete Welt in den sozialen wie ökologischen Kollaps, wie der Krisentheoretiker Robert Kurz ausführte. Dem individuellen Amoklauf auf der Mikro-Ebene entspreche die Gesamtbewegung der widerspruchsgetriebenen Krisendynamik:1

„Wenn jedoch der Verwertungsprozess an Grenzen stößt, wenn die realmetaphysische „Entäußerungs“-Bewegung nicht mehr gelingt und in der realen Welt kein regulärer Aggregatzustand des Kapitals mehr dargestellt werden kann, erscheinen die realen physischen und sozialen Gegenstände als lästige, ja feindliche Umwelt für diese Realmetaphysik. Nicht der leere Selbstzweck des Kapitals, sondern die Welt soll verschwinden, nämlich sich endgültig in das „leere Prinzip“ auflösen. Mit anderen Worten: Dieselbe Logik, die sich der Ebene von individuellen Amokläufern im Mikro-Bereich äußert, lauert auch auf der Makro-Ebene des Gesamtverhältnisses. Kapitalismus ist nicht nur ein schleichendes Weltvernichtungsprogramm durch seine Nebenwirkungen, sondern läuft auf eine finale Vernichtung und Selbstvernichtung durch seine eigenen Institutionen zu. Der subjektlose Vernichtungswille im leeren Zentrum des Kapitalverhältnisses, der sich auf verschiedenen Ebenen in das Zerstörungshandeln von individuellen und institutionellen Subjekten übersetzt, hat sich schon in der Vergangenheit periodisch in den kapitalistischen Gesellschafts- und Weltkatastrophen entladen. Da in der dritten industriellen Revolution die „Entäußerung“ der Wertabstraktion in die reale Welt endgültig an ihre Grenzen stößt, wird zwangsläufig das Weltvernichtungsprogramm ebenso final abgerufen.“

Robert Kurz

Der oberflächliche Augenschein, die Reproduktion der spätkapitalistischen Gesellschaften erfolge gemäß rationeller Macht-, Klassen- oder Herrschaftsinteressen, trügt folglich gewaltig. Die Gesellschaft ist unter dem Kapital nur ein rationell organisiertes Mittel, das einen tautologischen, irrationalen Zweck höchstmöglicher Kapitalakkumulation perpetuiert, der – blind gegenüber allen sozialen und ökologischen Folgen seiner Verwertungsdynamik – den Spätkapitalismus immer als eine Form finsterer säkularisierter Religion als eine Art globaler „Selbstmordsekte“ (Robert Kurz) erscheinen lässt.

Der dem Kapital latent innewohnende, in seiner letalen Krise manifest zutage tretende Todestrieb will die Welt ins Nichts überführen, in die gähnende Leere, die die konkrete Substanz der Realabstraktion Wert bildet. Es ist ein subjektloser Nihilismus, der sich krisenbedingt entfaltet: Die Welt soll dem schwarzen Auge der Wertform gleichgemacht werden, das sich im Zentrum des die Welt seit rund 300 Jahren verheerenden Wirbelsturms uferloser Akkumulation toter Lohnarbeit befindet.

Alles, was nicht in die Warenform gepresst und durch Verkauf auf dem Markt verwertet werden kann, wird folglich in Krisenzeiten eher der Vernichtung anheimgegeben, als dass der Zugriff der Weltwertungsmaschine auf Mensch und Natur gelockert würde. Die Vernichtung unverkäuflicher Waren in Krisenzeiten, von Autos, Statussymbolen, bis zu Lebensmitteln, die inzwischen immer öfter auch durch entsprechende rechtliche Regelungen dem Zugriff verarmter Menschen entzogen werden (etwa durch Gesetze gegen das „Containern“), bildet nur den offensichtlichen Ausfluss dieses Selbstvernichtungsdranges.

Hinzu kommt die soziale, in der Tendenz auch physische Vernichtung all jener anwachsenden Menschenmassen, insbesondere in der Peripherie des Weltsystems, die ökonomisch überflüssig sind – und die aus den Zusammenbruchgebieten des Weltmarktes in die Zentren zu fliehen versuchen.

Die dem System innewohnende, durch eskalierende innere Widersprüche angefachte Tendenz zur Selbstzerstörung manifestiert sich inzwischen auf allen Ebenen im Überbau der Wertvergesellschaftung – vom individuellen Amoklauf bis zum abermals drohenden globalen Weltenbrand. Es sind blinde Gewaltausbrüche, in denen der systemische Zug in die Autodestruktion sich manifestiert, wobei die Täter oftmals in der Grauzone zwischen rechten oder islamistischen Extremismus und manifester psychischer Erkrankung verfangen sind.

Unterm Kapital ist eher das Ende der Menschheit denkbar als das Ende des Kapitals. Die spätkapitalistische Kulturindustrie schwitzt die unbewusste Ahnung der binnenkapitalistisch unlösbaren, sozioökologischen Krisendynamik in einer Flut apokalyptischer Unterhaltungswaren aus, die nicht nur die Filmproduktion, sondern vor allem das Computerspiel als dem technisch avanciertesten Produkt fest dominieren – die Postapokalypse als Setting des Computerspiels ist längst zum Standard geworden.

Neue Rechte: Selbstvernichtung als politisches Programm

Im Folgenden soll argumentiert werden, dass mit der Neuen Rechten sich derzeit in den meisten kapitalistischen Kernländern eine politische Strömung etabliert, die diese krisenbedingte Tendenz des Spätkapitalismus zur Selbstvernichtung zu ihrem politischen Programm erhoben hat. Es ist ein Extremismus der Mitte, der seine Dynamik, seinen evidenten Erfolg der Überführung der eskalierenden sozialen Widersprüche in potenziell genozidale Ideologie verdankt.

Der dem System aufgrund seiner zunehmenden inneren Widersprüche objektiv innewohnende Selbstzerstörungsdrang, er findet somit in Krisenzeiten ideologisch verblendete Subjekte, die ihn im „Überbau“ der spätkapitalistischen Gesellschaften vollziehen, ihn in politische Taten „umsetzen“.

Das Festhalten am bestehenden Wachstumswahn ist angesichts der ökologischen Weltkrise einfach irre. Diese manifest werdende Irrationalität des Systems, der evidente Drang in die Selbstvernichtung, sie spülen auch das entsprechende Politpersonal nach oben. Schon der erste Augenschein auf die politische Borderliner wie Donald Trump, wie Bolsonaro, Duterte, Strache, Kaczynski, Orbán oder einem Großteil der AfD-Spitze lässt den um sich greifenden gesellschaftlichen Wahn erahnen, der sie trägt. Sie wirken wie gemeingefährliche Clowns, die einem Horrorfilm entsprungen sein könnten.

Die Rechte ist somit das von einer unbewussten Todeslust getriebene politische Subjekt, das unter Aufbietung von Krisenideologie diesen systemischen Weltvernichtungsdrang des Kapitals zu exekutieren bestrebt ist – diese These soll in den kommenden Ausführungen begründet werden. Die Rechte propagiert ein Festhalten am falschen Bestehenden, das krisenbedingt in Auflösung befindlich ist – auch um den Preis des Todes, der Weltvernichtung.

Der besagte Begriff des Extremismus der Mitte, der den durchschlagenden Erfolg der konformistischen Revolte des Faschismus in Krisenzeiten erhellt, kommt zu sich selbst, er tritt offen zutage: Das Verharren im Bestehenden, der Versuch, trotz Klimakrise an Ideologie und Praxis des fossilen Kapitalismus festzuhalten, er führt aus der Systemlogik heraus in die Barbarei, letztendlich in die Selbstvernichtung.

Überall, wo sie an die Macht kommen, setzten Rechtspopulisten und Rechtsextremisten alle Hebel in Bewegung, um die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit zu beschleunigen, das Bewusstsein über die Klimakrise zu verwirren und jedwede sinnvollen klimapolitischen Maßnahmen zu torpedieren.

In den USA führt die Trump-Administration einen regelrechten Kleinkrieg gegen die Klimawissenschaft. Brasiliens Rechtsextremist Bolsonaro geht gerade daran, den Amazonas zu vernichten, der als die grüne Lunge der Welt unersetzlich ist für die globale Klimastabilität – und das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation. Ohne Untertreibung kann konstatiert werden, dass das Bolsonaro-Regime hier de facto einen ökologischen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit führt.

In Europa sind es ebenfalls Akteure der Neuen Rechten, die den Klimakollaps vorantreiben. Schon bei ihrem Wahlsieg kündigten Polens Rechtspopulisten an, Initiativen zum Klimaschutz auf europäischer Ebene zu torpedieren – dies in inoffizieller Kooperation mit der industriehörigen Merkel-Regierung.

Die Neue Rechte mag sich zwar der üblichen ideologischen Rationalisierungen bedienen, mit denen die Klimazerstörung legitimiert wird, doch glaubt angesichts der offensichtlichen klimatischen Verwerfungen, der atemraubenden Dynamik des Klimaumschwungs, kaum noch jemand wirklich an diese Parolen. Alle bösartige, binnenkapitalistische Scheinrationalität („Unser Land zuerst!“, „Die Wirtschaft muss brummen!“, „Rettet die Arbeitsplätze!“, „Grenzen dicht!“, „Ausländer raus!“), derer sich Rechtspopulisten und Rechtsextremisten gerne bedienen, fungiert somit nur als ideologische Verkleidung des unbewusst wirkenden irrationalen Aggressions- und Todesdrangs, der in diesem Milieu um sich greift.

Und es sind geradezu die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche der kapitalistischen Vergesellschaftung, die in all jenen autoritär fixierten Individuen den unbewussten Todesdrang aufkommen lassen, die sich ein Auflehnen gegen die im Sterben lebende Welt nicht vorstellen können.

Manchmal tritt dieser dunkle, unbewusste Todesdrang der neuen Rechten grell zutage – etwa 2018 beim sogenannten Sommerinterview des ZDF mit dem AfD-Führer Alexander Gauland. Als er auf den Klimawandel angesprochen wurde, erklärte der AfDler, dass dieser nicht menschengemacht sei – und man folglich hier „keine Lösungsvorschläge bringen“ könne, da es schon immer Heißzeiten und Eiszeiten gegeben habe. Außerdem könne die Bundesrepublik da ohnehin nicht viel tun: „Wenn Sie sich Deutschland anschauen, dann sind wir für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich.“

Der Schutz von Menschen vor dem Klimawandel sei folglich „nicht machbar“, so der AfDler wörtlich. Was Gauland seinen „Volksgenossen“ angesichts der Klimakrise somit de facto ans braune Herz legt, ist die Resignation, es ist letztendlich die für den Faschismus charakteristische Hingabe an den Tod. Wie sehr muss man „sein“ Land insgeheim hassen, um so etwas zu wollen? Die Neue Rechte muss in den Menschen alle Hoffnung zerstören, die drohende Barbarei abzuwenden, um sie zur barbarischen Enthemmung zu konditionieren.

Allein schon der stumpfe Drang zur Regression in den nationalen Mief des 19. und 20. Jahrhunderts, der charakteristisch ist für die geistigen Absonderungen der Neuen Rechten, ist angesichts der globalen Klimakrise nur noch irre.

Diese Absurdität der von Todessehnsucht angetriebenen Ideologie der Neuen Rechten, die einerseits die anachronistische Rückkehr zur Nation propagiert, um dann jegliche wirksamen Klimaschutzmaßnahmen gerade unter Verweis auf die beschränkten Mittel nationaler Politik zu verwerfen, fällt auch kaum einem jener Journalisten und Meinungsmacher mehr auf, die verschiedentlich ein kumpelhaftes Verhältnis zu ihren rechten Partygästen pflegen.

Letztendlich sollen Resignation und Apathie angesichts der ungeheuren Dynamik des Klimawandels geschürt werden, um die Menschen zur Hinnahme des im Zerfall befindlichen Bestehenden, der krisenbedingten Faschisierung, der sich abzeichnenden Barbarei in einer buchstäblich aus den Fugen geratenen Welt zu bringen. Der drohende, genozidale Krieg gegen die künftigen Klimaflüchtlinge des globalen Südens, er kann von der Neuen Rechten des globalen Nordens nur dann durchgesetzt werden, wenn jede Hoffnung auf ein Abwenden der Klimakatastrophe von ihr zerstört wurde.

Es ist ein üblicher ideologischer Umbruch, ein dialektischer Umschlag, der sich hier abzeichnet. Die verbissene Leugnung des Klimawandels geht in Fatalismus und die Bereitschaft zum molekularen Bürgerkrieg, zum Kampf gegen alles „Artfremde“ über: heute sind es die „Wirtschafts-„, morgen die Klimaflüchtlinge.

Klimakrise als faschistisches „reinigendes Hitzegewitter“

Die Dialektik des Klimawandels – der nicht graduell und langfristig, sondern sprunghaft, plötzlich abläuft – hat die Neue Rechte und vor allem die AfD vollkommen unvorbereitet erwischt, die ja noch in ihrem Programmentwurf von 2016 mit infantil-reaktionären Humor das „Stigmatisieren des CO2 als Schadstoff“ beenden wollte.

Das Kalkül innerhalb dieses reaktionären Milieus in den USA und Europa bestand anfänglich darin, auf das übliche „nach mir die Sintflut“ zu setzen, einträglichen Lobbyismus für die fossile Industrie zu betreiben, und ideologisch-praktische Vorarbeit für die besagte Abschottung des Nordens gegenüber den kommenden Klimaflüchtlingen zu leisten.

Was der Rechten nun angesichts der zunehmenden Klimabewegung bleibt, ist die verbissene Leugnung des Offensichtlichen, sowie der irrationale Umschlag in Resignation und Defätismus aufgrund der eskalierenden Klimakrise – bei gleichzeitiger Mobilmachung für den molekularen Bürgerkrieg, wie sie die rechtsextremen Prepper-Netzwerke in- und außerhalb des deutschen Staatsapparates im Rahmen ihrer apokalyptischen Verschwörungsideologien bereits emsig betreiben.

An der üblichen, von ökonomischen und politischen Interessen geprägten Oberfläche kapitalistischer Vergesellschaftung handelt es sich bei den Ideologen der Neuen Rechten somit einfach um Mietmäuler und Hampelmänner der alten, fossilen Industrien: Trump setzt alles daran, um Big-Oil möglichst alle umweltpolitischen Hürden aus dem Weg zu räumen, Bolsonaro wirft den Amazonas der brasilianischen Agraroligarchie zum Fraß vor, die Kaczynski-Partei agiert als politisches Exekutivorgan der polnischen Kohleindustrie, die AfD will Merkel als Erfüllungsgehilfen der Autoindustrie beerben.

Die Tatsache, dass diese Kooperation zwischen den reaktionärsten Teilen des Kapitals und der faschistischen Rechten so gut funktioniert, deutet aber eben auch darauf hin, dass neue, ökologische Industrien, die als Gegengewichte agieren können, sich angesichts des global erreichten Produktivitätsniveaus kaum durchsetzen können. Allein schon die weiterhin bestehende Dominanz alter, fossiler Industriezweige verweist auf die Strukturkrise des Spätkapitalismus, der an seiner Hyperproduktivität erstickt.

Ideologisch betrachtet bildet der Klimawandel für die Neue Rechte aber ein Vehikel, um deren alte, sozialdarwinistische und kulturpessimistische Fieberphantasien zu reaktivieren, die immer wieder in Krisenzeiten um sich greifen. Die spätkapitalistischen Gesellschaften werden als verweichlicht, dekadent, unrein, von kulturfremden oder artfremden Elementen zersetzt angesehen. Somit werden die evidenten Krisentendenzen des Kapitalismus als eine Folge von Dekadenz, von der Abkehr von den kulturalistisch, autoritär oder rassisch definierten „reinen“ Werten einer verklärten Vergangenheit imaginiert.

Der Klimakrise fällt in diesen Wahngebäuden im 21. Jahrhundert dieselbe ideologische Funktion zu, wie sie dem großen Krieg im 20. Jahrhundert zukam: sie ist das „reinigende Stahlgewitter“, in dem alles Minderwertige, Artfremde, Inferiore und Schwache unterzugehen hat. Die „morschen Knochen der alten Welt“ sollen in dem drohenden Klimachaos zermahlen werden, in dem „alles in Scherben“ fallen solle. Die damit einhergenden gesellschaftlichen Kämpfe und Auseinandersetzungen sollen bis zum Exzess, bis zum Bürgerkrieg getrieben werden, in dessen Verlauf die Neue Rechte die dekadente Gesellschaft vom „unwerten Leben“ reinigen und rassisch erneuern will.

Das unaufhörliche Beschwören des Bürgerkrieges, es ist somit eine simple unbewusste Projektion der eigenen Untergangs- und Vernichungsphantasien, wie sie Deutschlands Neue Rechte ausbrüten. Diese apokalyptisch aufgeladene Hoffnung auf das reinigende „Hitzegewitter“ ist, wie erwähnt, keine bloße Fieberphantasie – es ist die Grundlage ganz konkreter Strategien der extremen Rechten, die sich ja konkret – innerhalb wie außerhalb des bundesrepublikanischen Staatsapparates – auf den Bürgerkrieg und auf Massenmord vorbereiten.

Todestrieb und Triebverzicht

Es ist der unbewusste Hass auf die Zivilisation, speziell auf die zunehmenden Widersprüche spätkapitalistischer Vergesellschaftung, geboren aus der Unterwerfung unter diese Verhältnisse, der die barbarische Wut, die Todessehnsucht der Neuen Rechten – die sie mit dem Islamismus als einer eng verwandten Krisenideologie teilt – hervorbringt.

Zentral für das Verständnis dieser faschistischen Todessehnsucht ist die freudsche Psychoanalyse, die nicht umsonst von der alten wie neuen Rechten mit unbändigem Hass bedacht wird. Das irrationale ES des Faschismus muss sich der bewussten Selbstreflexion verweigern – genauso wie die fetischistische Dynamik des Kapitals, die sich „hinter dem Rücken der Marktsubjekte“ herstellt, als gesellschaftlich Unbewusstes nicht reflektiert werden darf, um weiterhin die Personifizierung der systemischen Krisenursachen in Sündenböcken leisten zu können (siehe Ich will, wo Es ist. Versuch einer Psychopathologie der Neuen Deutschen Rechten, Teil 1).

In der Spätphase seiner Schaffenszeit hat sich Sigmund Freud zunehmend sozialwissenschaftlichen Themen zugewandt, um hierbei den gesellschaftlichen Ursachen des individuellen psychischen Leidens auf die Spur zu kommen. Der Fokus der Freudschen Theorie verschob sich somit von der Natur- zur Geisteswissenschaft.

In seiner Spätschrift „Das Unbehagen in der Kultur“ argumentierte Freud, dass es eben der Zivilisationsprozess selber sei, der die irrationalen Kräfte hervorbringt, die ihn bedrohen. Die Kultur sei ein „besonderer Prozess“, der „über die Menschen abläuft“ und diese in immer größeren gesellschaftlichen Einheiten, in der weltgeschichtlichen Tendenz zu „einer großen Einheit, der Menschheit, zusammenfassen wolle“.

Dieser Zivilisationsprozess gehe aber mit zunehmendem Triebverzicht einher, der die Quelle des titelgebenden „Unbehagens an der Kultur“ sei. Je dichter die Vergesellschaftung des Individuums in den immer größer werdenden Gesellschaftsformationen, desto stärker wirkt die soziale Tendenz zur Triebunterdrückung, desto größer der unbewusste Hass auf die Zivilisation, der in Aggression und Zerstörungswut sein Ventil findet. Für Freud ist die „Kulturentwicklung“ somit durch einen „Kampf zwischen Eros und Tod, Lebenstrieb und Destruktionstrieb“ gekennzeichnet, wie er sich „an der Menschenart“ vollziehe.

Diesen widersprüchlichen, fetischistischen Charakter des Kapitalismus beschrieb auch – in enger Anlehnung an Freud – Theodor W. Adorno in seiner Schrift Erziehung nach Auschwitz:

„Man kann von der Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt reden, einem Gefühl des Eingesperrtseins in einem durch und durch vergesellschafteten, netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz, desto mehr will man heraus, während gerade seine Dichte verwehrt, daß man herauskann. Das verstärkt die Wut gegen die Zivilisation. Gewalttätig und irrational wird gegen sie aufbegehrt.“

Theodor W. Adorno

Die Menschheit scheint somit gewissermaßen „gefangen“ in einer gesamtgesellschaftlichen fetischistischen Dynamik, die „über die Menschen abläuft“, obwohl gerade die Menschen sie unbewusst selber als Staats- und Marktsubjekte alltäglich hervorbringen, buchstäblich erarbeiten.

Das Unbehagen am Kapitalismus

Freud ahnte somit, dass der Kapitalismus von einer unkontrollbaren Eigendynamik angetrieben wird, er konnte sich im Rahmen seiner kulturtheoretischen Betrachtungen aber nicht anders helfen, als diesen gesellschaftlichen Fetischismus und die daraus resultierenden Widersprüche durch die Einführung eines neuen Triebes, des „Todestriebes“, zu erklären.

Die Widersprüche der Triebregungen im Menschen werden so zur Quelle der Widersprüche der kapitalistischen Vergesellschaftung erklärt. Die Kulturentwicklung erscheint so als ein Kampf zwischen zwei mächtigen Triebenergien des Menschen, wie Freud fälschlich behauptete:

„Und nun, meine ich, ist uns der Sinn der Kulturentwicklung nicht mehr dunkel. Sie muß uns den Kampf zwischen Eros und Tod, Lebenstrieb und Destruktionstrieb zeigen, wie er sich an der Menschenart vollzieht. Dieser Kampf ist der wesentliche Inhalt des Lebens überhaupt, und darum ist die Kulturentwicklung kurzweg zu bezeichnen als der Lebenskampf der Menschenart.

Sigmund Freud, Das Unbehagen an der Kultur

Die Aggressionsneigung als eine „ursprüngliche, selbstständige Triebanlage des Menschen“ sei laut Freud das größte Hindernis der Kulturentwicklung. Der Zivilisationsprozess als das Werk des Lebenstriebs, der die Menschen zur „einer großen Einheit, der Menschheit, zusammenfassen“ wolle, sei permanent bedroht durch den Todestrieb, der in Auflösung, ins Partikulare, Anorganische strebe.

Und scheinbar gibt ja die Neue Rechte dem Psychoanalytiker auch hier recht, deren Akteure sprechen es inzwischen ja offen aus, dass sie nicht Teil der Menschheit sein wollen. Der Wahn tritt inzwischen offen zutage, der Psychoanalytiker muss nicht mal mehr groß analysieren. Alexander Gauland hat das in einem realsatirischen Anfall von Ehrlichkeit im September 2018 ausgesprochen: „Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben.“

Die Rechte als Verkörperung, als Exekutor des dem Menschen innewohnenden Todestriebes? Das Problem an dieser Sichtweise, die Freud vor allem in Abgrenzung zu der damals aufkommenden marxistischen Psychoanalyse wählte, besteht darin, dass er das reale Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Aggressionsneigung auf den Kopf stellte. Der Todeswunsch der Neuen Rechten ist nicht Ausdruck eines ewigen Todestriebes, der die Welt verehrt, sondern Folge der gesellschaftlichen Widersprüche im Kapitalismus, die in dem Menschen die Aggressionslust steigern, ihm das Leben zur Hölle machen.

Es ist der Triebverzicht, breiter formuliert: die Versagungen oder die Existenzbedrohung in Gefolge gesellschaftlicher Verwerfungen, die die Aggression aufkommen lassen. Dies ist auch Freud an vielen Stellen seiner Schrift klar, in denen er sich selbst widerspricht – etwa, wenn er auf ein „erhebliches Maß von Aggressionsneigung“ bei Kindern verweist, das sich gegen Autoritäten wende, die Befriedigungen unterbinden.

Triebversagung, bedingt durch gesellschaftliche Widersprüche oder Machtverhältnisse, ist somit die Quelle der Aggressionsneigung und des von Freud konstatierten Todesdrangs, und nicht umgekehrt. Problematisch an Freuds sozialpsychologischen Vorstellungen ist sein Bestreben, die vorgefundenen gesellschaftlichen Konflikte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zum psychologischen Wesensmerkmal der „Menschenart“ zu deklarieren.

Auch das Ausmaß und die Art der durch den Zivilisationsprozess dem Menschen auferlegten Versagungen wandelt sich mit der Zeit. Evident wird dies an den Beispielen, die Freud selber für die kulturbedingten Triebversagungen wählte, die den Kulturpessimismus der Neuen Rechten antreiben; etwa die „Einschränkung der Kindersterblichkeit“, die den Bürger doch nur zur äußersten „Zurückhaltung in der Kinderzeugung“ nötige und sein „Sexualleben in der Ehe unter schwierige Bedingungen“ stelle. Diese kulturelle Einschränkung ist doch offensichtlich dem Mangel an effizienten Verhütungsmitteln im frühen 20. Jahrhundert geschuldet.

Auch wenn Freud somit immer wieder in schlechter bürgerlicher Tradition dazu tendierte, historisch bedingte Widersprüche, die auch ihren Niederschlag im Seelenleben der kapitalistischen Menschen finden, zu biologischen Konstanten des Menschen schlechthin zu ideologisieren, so ist der psychoanalytische Erklärungsansatz doch entscheidend: nicht zur Klärung des menschlichen Wesens schlechthin, sondern zur Aufklärung über den Zustand des Menschen unterm Kapital.

Identifikation mit Herrschaft

Freud erhellt nämlich auch den zentralen psychologischen Mechanismus, der die irrationale Genese der Neuen Rechten als einen politischen Exekutor der systemischen Selbstzerstörungstendenzen des Spätkapitalismus erklärt. Zentral hierbei ist der frühkindliche Mechanismus, mit dem Triebversagungen infolge elterlicher Verbote zur Aufrichtung des Gewissens, des Über-Ichs, beitragen. Dies geschieht durch das „Verinnerlichen“ der äußeren Autorität, wie Freud erkannte:

„Welcher Mittel bedient sich die Kultur, um die ihr entgegenstehende Aggression zu hemmen, unschädlich zu machen, vielleicht auszuschalten? … Wir können sie an der Entwicklungsgeschichte des Einzelnen studieren. Was geht mit ihm vor, um seine Aggressionslust unschädlich zu machen? Etwas sehr Merkwürdiges, das wir nicht erraten hätten und das doch so naheliegt. Die Aggression wird introjiziert, verinnerlicht, eigentlich aber dorthin zurückgeschickt, woher sie gekommen ist, also gegen das eigene Ich gewendet. Dort wird sie von einem Anteil des Ichs übernommen, das sich als Über-Ich dem übrigen entgegenstellt und nun als „Gewissen“ gegen das Ich dieselbe strenge Aggressionsbereitschaft ausübt, die das Ich gerne an anderen, fremden Individuen befriedigt hätte. Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewußtsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis.“

Sigmund Freud, Das Unbehagen an der Kultur

Hier wird ja nicht nur der Prozess der Aufrichtung des Über-Ich, des unbewussten psychischen Mechanismus der Identifikation mit Autorität, mit dem äußeren Zwang dargelegt, der inneres Leiden verursacht. Jedes Herrschaftssystem nutzt dies – auch das subjektlose Machtsystem des Kapitalismus. Der Faschismus kann in seiner Eigenschaft als Extremismus der Mitte in Krisenzeiten nicht nur die ideologischen Kontinuitätslinien zum Kapitalismus fortführen, etwa durch Sozialdarwinismus und Konkurrenzzwang, auch die Verinnerlichung gesellschaftlicher Zwänge durch die Identifikation mit Herrschaft wird von der Neuen wie Alten Rechten ins Extrem getrieben.

Es ist ein Irrtum der linken Aufklärung zu glauben, dass die Entlarvung mächtiger Akteure, die den Faschismus fördern, diesen auch schwächen würde. Die AfD als Mövenpick-Partei, die von reaktionären Schweizer Milliardären finanziert wird, übt gerade eine starke Anziehungskraft für autoritäre Charaktere in ihrer konformistischen Pseudorevolte aus: Sie spüren, dass bei ihrer Hetze die Macht letztendlich auf ihrer Seite steht. Dasselbe gilt für die Unterstützer und Förderer der Neuen Rechten im Staatsapparat.

Diese Erkenntnis der in der Erziehung eingeübten Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft, mit der Freud in seiner Spätschrift noch rang, wurde von der Kritischen Theorie aufgegriffen. In den berühmten Studien zum autoritären Charakter, die sich vor allem mit den psychologischen Aspekten des Faschismus befassten, wurde hierfür der Begriff der autoritären Aggression geprägt. Die „Zeichen sozialer Unterdrückung“ seien auch in der „Psyche des Einzelnen“ zurückgeblieben, hieß es in der Schrift.

Das Individuum, das zum „Verzicht auf fundamentale Wünsche“ genötigt werde und in einem „System strenger Selbstbeherrschung“ leben müsse, entwickle „feindliche Gefühle gegen die Autoritären der Bezugsgruppe“. Diese werden aber beim autoritären Charakter verinnerlicht, was zur Aufrichtung der untertanenhaften Identifikation mit dem bestehenden Herrschaftssystem, zur Verinnerlichung gesellschaftlichen Zwanges führt. Folglich fühle sich der Untertan stets „betrogen“, wobei er nach Objekten sucht, an denen er „sich schadlos halten“ könne, da sie „besser wegkommen“.

Feindseligkeit gegen „Hassfiguren“

Die Autoren der Studie schlussfolgerten, dass „in der autoritären Aggression die ursprünglich gegen Autoritäten der Eigengruppe erweckte und gegen sie gerichtete Feindseligkeit auf die Fremdgruppe verdrängt“ werde. Dies sei aber mehr als eine bloße Sündenbocksuche, die sich ja aus Unkenntnis der Ursachen gesellschaftlichen Leidens speise, da der autoritäre Charakter seine Aggression aus einer „inneren Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten“ müsse: „Er muss es, weniger aus Unwissenheit in Bezug auf die Ursache seiner Frustration, als vielmehr seiner psychischen Unfähigkeit zufolge, Autoritäten der Eigengruppe anzugreifen.“

In hündischer Ergebenheit gegen Machstrukturen verfangen, muss der autoritäre Untertan Wege finden, den von oben kommenden Druck nach unten weiterzuleiten. Der Sadomasochismus der Alten wie Neuen Rechten tritt hier klar zutage, die masochistische Unterwerfung unter das falsche Bestehende, sie geht mit einem sadistischen Strafbedürfnis einher. Diese sadistische Untertanenwut richte sich „vor allem gegen die, welche man als gesellschaftlich schwach und zugleich – mit Recht oder Unrecht – als glücklich empfindet“, so Adorno in seiner Schrift Erziehung nach Auschwitz. Alle sollen so unglücklich sein, wie es der angehende Faschist ist.

Der Flüchtling mit dem Smartphone während der Flüchtlingskrise, der faule und glückliche Südeuropäer während der Eurokrise, der arbeitsscheue Arbeitslose bei der Durchsetzung von Hartz IV – dies sind die aus dem Mainstream der deutschen Gesellschaft hervorgegangenen Hassfiguren, die den Aufstieg der Neuen deutschen Rechten im 21. Jahrhundert begleiteten.

Im Land der Arbeitshetze und des Burnouts

Nirgends lässt sich die Stichhaltigkeit der Psychopathologie der Neuen Rechten so gut nachvollziehen wie in der Hartz-IV-Republik Deutschland, im Land der Arbeitshetze und des Burnouts, dessen Lohnabhängige Sparsadisten wie Wolfgang Schäuble gerade deswegen zu beliebtesten Politikern erkoren, weil sie den Südeuropäern genau dieselben Schmerzen bereiteten, die sie untertänig in Gestalt der Agenda 2010 hinnahmen. Sein Masochismus verschafft dem Untertanen seinen Anspruch, anderen Schmerzen zuzufügen.

Die charakterliche Verkommenheit vieler Akteure der Neuen Rechten tritt hier krass zutage: Der krisenbedingt zunehmende Druck der widersprüchlichen kapitalistischen Vergesellschaftung, er wird auf die schwächsten, marginalisierten Gesellschaftsmitglieder projiziert, die als Feindbilder dienen. Dies geschieht mitunter bewusst – die Hetzer wissen in hellen Momenten durchaus, dass ihre Hetze keine Basis in der Realität hat.

Eine Ahnung dessen blitzte etwa während der pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz auf, als Spiegel-Reporter sich bemühten, die Bürgerinnen, die mit den Nazis marschierten und dabei beteuerten, keine Nazis zu sein, nach ihrer Motivation zu fragen.

Eine am braunen Treiben beteiligte Kleinbürgerin machte gegenüber Spiegel-Online in entwaffnender Offenheit klar, was die Anziehungskraft faschistischer Bewegungen ausmacht. Auf die Nachfrage des Reporters, wieso ihre Klage über die soziale Spaltung des Landes nicht zu einem Engagement für „Umverteilung“ führe, sondern sich im Hass auf Ausländer und Flüchtlinge entlade, antwortete die Teilnehmerin des Naziaufmarsches wörtlich: „Weil man ja gegen irgendwen sein muss, und mit denen ist es einfach.“

Es ist einfach, Faschist zu sein, man riskiert nichts. Wieso sollte man sich mit der deutschen Oligarchie anlegen, die kaum noch Steuern zahlt, wenn es Flüchtlinge gibt? Dabei gibt es einen relativ zuverlässigen Indikator für den krisenbedingt zunehmenden Druck auf die Lohnabhängigen im Spätkapitalmus: Es ist die Zunahme der psychischen Erkrankungen, die insbesondere mit der Lohnarbeit in Zusammenhang stehen.

Der Kapitalismus ist in seiner letalen Krise dermaßen „unnatürlich“, er lässt immer mehr Menschen psychisch zusammenbrechen. In Deutschland, wo das sadistische Strafbedürfnis gegenüber „faulen“ Südeuropäern in der Eurokrise besonders groß war, hat sich die Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit 2007 verdoppelt.

Avantgarde der Barbarei

Die Zumutungen, die Anforderungen des Systems steigen, die Gratifikationen fallen weg: Die autoritäre Aggression, die das spätkapitalistische System mit zunehmender Dichte der repressiven Vergesellschaftung ausbrütet, schlägt in der Tendenz in gesellschaftliche Desintegration um, wie Adorno in der „Erziehung nach Auschwitz“ prophezeite. Die kapitalistischen Gesellschaften würden, während sie sich immer mehr integrierten, zugleich „Zerfallstendenzen“ ausbrüten.

„Diese Zerfallstendenzen sind, dicht unter der Oberfläche des geordneten, zivilisatorischen Lebens, äußerst weit fortgeschritten. Der Druck des herrschenden Allgemeinen auf alles Besondere, die einzelnen Menschen und die einzelnen Institutionen, hat eine Tendenz, das Besondere und Einzelne samt seiner Widerstandskraft zu zertrümmern. Mit ihrer Identität und mit ihrer Widerstandskraft büßen die Menschen auch die Qualitäten ein, kraft deren sie es vermöchten, dem sich entgegenzustemmen, was zu irgendeiner Zeit wieder zur Untat lockt.“

Theodor W. Adorno

Diese Zerfallstendenzen treten nun offen zutage – gerade die vom Kapital verehrten und „entkernten“ Subjekthüllen, die sich in der Neuen Rechten sammeln, sind Träger dieser Bewegung. Geschichte wiederholt sich nämlich nicht: Das, was die rechte Krisenideologie, die von einer Reanimierung der verwesenden völkischen Leichen des frühen 20. Jahrhunderts träumt, reell vorantreibt, ist nicht die nationale Formierung der Gesellschaft, sondern deren soziale Desintegration.

Mögen gerade die Mitglieder der extremen Rechten von einer nationalen Erneuerung eines rassereinen Deutschland träumen, ihre konkrete Praxis erinnert jetzt schon an die Milizbildung in den „failed States“ der Zusammenbruchsgebiete des Weltmarktes.

Das von Todessehnsucht getriebene islamistische Racket ist hier auch ganz konkret Vorbild für die unzähligen „Prepper“ innerhalb des Staatsapparates, die plötzlich anfangen, die Machtmittel und die Infrastruktur des Staates zu nutzen, um sich auf den Massenmord im Gefolge des gesellschaftlichen Zusammenbruchs vorzubereiten.

Diese rechtsextremen Kreise, die doch nur ihr „Deutschland“ zu retten glauben, leisten somit ironischerweise dem Staatszerfall Vorschub, indem sie den Staatsapparat zum Kampffeld von Partikularinteressen machen. Und eben dieser Prozess stand am Anfang des Staatszerfalls in den ökonomisch am Weltmarkt gescheiterten Staaten der Peripherie.

Diese rechtsextremen Seilschaften sind somit ganz konkret Exekutoren der gesellschaftlichen Desintegration, von dem sie beständig im Zuge der Flüchtlingskrise fabulieren. Die Neue Rechte ist nicht mehr in der Lage, „im Gleichschritt zu marschieren“, wie es Robert Kurz formulierte. Dominant sind nicht national organisierte Terrortruppen nach dem Vorbild der SA, sondern lokale Netzwerke und Gruppen, die „ihre“ Territorien erobern und halten wollen.

Die „Prepper“ mit ihrer Abkapslung und ihren Todeslisten, die Nazis, die sich in Ostdeutschland in Wehrdörfern organisieren, um sich separatistischen Spinnereien hinzugeben – sie sind Avantgarde der objektiv aus der kapitalistischen Systemkrise entsprungenen gesellschaftlichen Zerfallstendenzen.

Während die Klimakrise geleugnet und nach Kräften weiter angeheizt wird, bereitet sich die Neue Rechte auf den molekularen Bürgerkrieg vor, den sie beim nächsten Krisenschub entfachen will. Deutschlands Nazi-Rackets wollen somit das realisieren, was die islamistischen Zusammenbruchsmilizen in der Peripherie des Weltmarktes schon längst praktizieren.

Es ist, als ob die extreme Rechte die postapokalyptischen Produkte der Kulturindustrie für bare Münze nehmen würde, als ob man im Mecklenburg-Vorpommern oder im Erzgebirge als Mad Max zu sich selbst kommen möchte. Während der Verwertungszwang des Kapitals die Welt buchstäblich verbrennt, greift eine faschistische Milizlogik in der Neuen Rechten um sich, die Massenmord an politischen Gegnern mit der Eroberung lokaler Enklaven kombiniert, um so die Bühne zu bereiten für einen apokalyptischen molekularen Bürgerkrieg.

Objektiv verkommen die Akteure dieser rechtsextremen Szene zur Avantgarde der Barbarei, die dem Krisenprozess innewohnt

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