Zeit der Heuchler

„Junge Welt“, 15.10.2007
Im Endspurt des polnischen Wahlkampfs ziehen Führer von Regierung und Opposition alle Register des Populismus

Die von den Zwillingen Lech und Jaroslaw Kaczynski geführte rechtskonservative Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) wird bei den Parlamentswahlen am 21. Oktober aller Voraussicht nach eine historische Leistung vollbringen. Bislang wurden alle an Regierungskoalitionen beteiligten Parteien nach einer Amtszeit vom polnischen Wähler gnadenlos abgestraft. Teilweise – wie 2001 die rechte »Wahlaktion Solidarnosc« (AWS) – zogen sie nicht einmal mehr ins Parlament ein.

Eine Blamage wie der AWS, bei der die Kaczynskis ebenfalls politisch aktiv waren, blüht der PiS trotz einer zweijährigen Regierungszeit nicht. Es könnte sein, daß sie sogar als stärkste Kraft aus den verbittert geführten Wahlkampf hervorgeht. Die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza publizierte am Samstag eine Umfrage, nach der die PiS mit 38 Prozent weit vor der wirtschaftsliberalen Konkurrenz der Bürgerplattform PO (33 Prozent) liegt. Dagegen sieht eine für das konservative Springerblatt Dziennik durchgeführte Wählerbefragung die PO mit 39 Prozent klar vor der PiS mit 33 Prozent. Die ehemaligen Koalitionspartner der PiS, die rechtsradikale »Liga der Polnischen Familien« (LPR) und die populistische Samoobrona (Selbstverteidigung), könnten hingegen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Den neoliberal gewendeten Sozialdemokraten der LiD (Linke und Demokraten) werden zwischen 13 und 15 Prozent prognostiziert.

Es sind nicht nur der ökonomische Aufschwung und die leicht entspannte soziale Lage, die den Kaczynskis ihre anhaltende Popularität sichern. Die erzkonservativen Zwillinge sind wahre Meister der Demagogie, die sich als aufrechte Kämpfer für den »kleinen Mann« zu inszenieren wissen. Bei kaum einem Wahlkampfauftritt versäumt es Premier Jaroslaw Kaczynski, seinen Kampf gegen »privilegierte Gruppen« ins rechte Licht zu rücken. Präsident Lech Ka­czynski machte jüngst klar, daß Polen »Kein Land für Bonzen« sei. Die Kaczynskis hätten den »Reichen den Krieg erklärt«, lamentierte unlängst die sozialdemokratische Wochenzeitung Przeglad. Justizapparat und Sicherheitsorgane Polens würden sich »dessen schon annehmen« – und tatsächlich erhob die polnische Staatsanwaltschaft im Wahlkampf gegen den flüchtigen polnischen Milliardär Ryszard Krauze Anklage. Diesem werden kriminelle Machenschaften und Einflußnahme auf Regierungsmitglieder vorgeworfen.

Die soziale Lage der polnischen Arbeiterschaft verbessern weder derartige spektakuläre Anklagen noch die Rhetorik der Kaczynskis. Wie die Wochenzeitung Przeglad berichtet, ging das stetige Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre insbesondere an der Arbeiterschaft vorbei. Die Einkünfte der polnischen Arbeiter stagnierten und lägen um mehr als 25 Prozent unterhalb des Durchschnittseinkommens, so Przeglad. Polens Unternehmer können sich hingegen über eine Steigerung ihrer Profite um 30 Prozent in den Jahren 2005 und 2006 freuen.

Angespornt vom Erfolg der Kaczynskis, schwenkte ihr rechtsliberaler Herausforderer, der PO-Vorsitzende Donald Tusk, ebenfalls auf eine demagogische Linie. Wohl wissend um die überwältigende Ablehnung jeglicher Beteiligung an der militärischen Besetzung Iraks innerhalb der Bevölkerung Polens stellte Tusk die Okkupationspolitik offen in Frage: »Was gibt Ihnen und Ihrem Bruder das Recht, die Mission im Irak zu verlängern… und das Leben polnischer Soldaten zu gefährden?« fragte der liberale Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski während einer Fernsehdebatte am vergangenen Freitag. Polen habe von seinem Engagement nicht profitiert, so Tusk. Der PO-Chef vertrat überdies die Ansicht, daß Polen seine Beziehungen zu Deutschland und Rußland verbessern müsse. Eine enge Allianz mit den USA dagegen sei auf Dauer »illusorisch«.

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