Wahlniederlage für Merkel

Junge Welt, 04.03.2013
Politische Konstellation in Italien kommt Berlins Plänen zur Neuordnung Europas in die Quere. Südeuropäer rebellieren gegen das deutsche Spardiktat

Der Wahlausgang in Italien läßt die Fliehkräfte innerhalb des »Europäischen Hauses« erneut zur Entfaltung gelangen. Das parlamentarische Patt zwischen der gemäßigten Linken sowie den Rechten und populistischen Kräften in Rom führte zu ersten kurzfristigen Kursstürzen auf den europäischen Aktienmärkten und zu einer Erhöhung der Zinsbelastung der meisten südeuropäischen Krisenstaaten. Mit Empörung und wütenden Angriffen reagierten insbesondere deutsche Massenmedien und Politiker auf das politische Comeback Silvio Berlusconis, sowie den Aufstieg des Populisten Beppe Grillo. Die Spannungen zwischen Rom und Berlin gipfelten in einem diplomatischen Eklat, bei dem der italienische Präsident Giorgio Napolitano ein Treffen mit dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück kurzfristig absagte, nachdem dieser Berlusconi und Grillo als »Clowns« bezeichnet hatte.

Die gegenwärtige antiitalienische Stimmungsmache in der deutschen Öffentlichkeit gründet nicht etwa in der Kritik der reaktionären Politik eines Berlusconi – da Berlin mit Rechtsauslegern wie etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sehr gut zusammenarbeiten kann. Berlusconi und Grillo konnten mit antideutscher und antieuropäischer Rhetorik punkten, wobei sie mit jeweils anderer Schwerpunktsetzung das von Berlin und Brüssel den europäischen Krisenländern verordnete Spardiktat kritisierten, das in Italien von der »Technokratenregierung« des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti umgesetzt wurde. Als »eine Gefahr« bezeichnete etwa die deutsch-italienische Parlamentsabgeordnete Laura Garavini die »antieuropäischen, die antideutschen Äußerungen Berlusconis« gegenüber AFP. Die Deutschen kehrten nun »zurück, nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Euro«, hieß es etwa in einem Kommentar der Berlusconi-Zeitung Giornale, die vor einem deutschen »Vierten Reich« warnte.

Die Wiederauferstehung des Politzombies Berlusconi und der kometenhafte Aufstieg Grillos wären aber nicht möglich gewesen, hätte das deutsche Spardiktat in Südeuropa auch nur die bescheidensten ökonomischen Erfolge erzielt. Alle südeuropäischen Krisenstaaten befinden sich in einer ökonomischen Abwärtsspirale, bei der die diversen Kahlschlagsprogramme zu Nachfrage- und Konjunktureinbrüchen führten, die wiederum die Arbeitslosigkeit ansteigen und Steuereinnahmen abschmelzen ließen – was eine Haushaltskonsolidierung vollends unmöglich macht.

Italien befindet sich aufgrund des Merkelschen Spardiktats seit 18 Monaten in einer sich verstärkenden Rezession. Im vierten Quartal 2012 ging das Bruttoinlandsprodukt in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück, nach 2,4 Prozent im Vorquartal. Die Arbeitslosenquote stieg im vergangen Dezember mit 11,2 Prozent auf den höchsten Wert seit 2004, wobei sie binnen des vergangenen Jahres um 1,8 Prozent zulegte. Der Abschwung wird von der starken Kontraktion der Industrieproduktion befeuert, die allein im Dezember um sechs Prozent schrumpfte. Der italienische Industrieproduktionsindex ist gegenüber seinem Hoch im August 2007 um 26 Prozent gefallen und befindet sich auf dem Niveau des Jahres 1987. Ein Ende dieser Abwärtsspirale ist nicht im Sicht, da aufgrund der Sparmaßnahmen die Inlandsaufträge der Industrie im Dezember um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurückgingen. Besonders dramatisch ist die Lage des italienischen Automobilsektors, dessen Produktion 2012 um 18,3 Prozent auf nur noch knapp 400000 PKW zurückging. Der Niedergang der italienischen Autoindustrie wird aber erst aus längerfristiger Perspektive voll erfaßbar: Gegenüber dem Hoch 1989 ging deren Output inzwischen um nahezu 80 Prozent zurück.

Offensichtlich befindet sich Italien am Beginn einer ähnlichen Talfahrt, wie sie schon die anderen südeuropäischen Krisenländer voll erfaßt hat. Aus denen werden nahezu im Wochenrhythmus ähnliche Desasterzahlen gemeldet: Im sparwütigen Portugal ist etwa die Staatsverschuldung inzwischen auf einen neuen historischen Höchstwert von 115,1 Prozent des BIP geklettert, während die Arbeitslosenquote mit 16,9 Prozent ebenfalls einen neuen historischen Rekord einstellte. Griechenland – dessen BIP im Krisenverlauf bereits um 23,4 Prozent kontrahierte – meldete jüngst eine neue Rekordarbeitslosenquote von 27 Prozent. Neue Verschuldungsrekorde werden auch aus Spanien gemeldet, wo trotz eines drakonischen Sparprogramms die Staatsschuld auf den höchsten Wert seit 1910 anschwoll – auf 84 Prozent des BIP.

Angesichts dieser Einbrüche bleibt den Südeuropäern schlicht keine andere Wahl, als unter Hinnahme aller drakonischen Konsequenzen gegen dieses deutsche Spardiktat zu rebellieren. Im gegenwärtigen »deutschen Europa« bleibt dessen Peripherie nur die Perspektive des sozioökonomischen Zusammenbruchs. Italien ist aber wirtschaftlich zu bedeutend, um ähnlich von Berlin plattgemacht werden zu können wie Griechenland. Deswegen deute der Wahlausgang dort auf eine »sich abzeichnende Herausforderung der deutschen Führung« in Europa, bemerkte etwa der Nachrichtendienst Stratfor in einer Analyse. Dies ist auch der wahre Grund der deutschen Empörung über die Wahlergebnisse in Italien. Berlin wird sich mittelfristig zwischen einem Zusammenbruch der Eurozone oder einer Lockerung seines Spardiktats entscheiden müssen.

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