Nächster Schurkenstaat

leicht gekürzt in „Junge Welt“, 23.06.2007
Was deutsche Leitartikler schon immer über Polen dachten und sich bislang nicht zu sagen trauten

Als die taz vor Jahresfrist in ihrer Satirereihe »Schurken, die die Welt beherrschen wollen« die Kaczynski-Zwillinge in eine Reihe mit dem belorussischen Präsidenten Lukaschenko stellte, konnte man über den mühsam in der »Satire« kaschierten Chauvinismus und die überzogenen Reaktionen aus Warschau nur den Kopf schütteln. Es war vor allem die Gleichsetzung der Kaczynski-Administration mit dem auch in Polen als »Schurkenstaat« verpönten Belarus, die die polnischen Konservativen vor Wut schäumen ließ. Nachdem Polen sein »Nie!« zur von Deutschland forcierten EU-Verfassung bekräftigt hat, scheinen nun aber alle Dämme gebrochen. Der in den letzten Tagen anschwellende, antipolnische Sturm im deutschen Blätterwald belegt eindrucksvoll, daß inzwischen selbst die absurdesten Phantasien deutscher Satiriker zur Realität gerinnen können – inzwischen muss man die Leitartikler mit der Lupe suchen, die den Kaczynskis noch nicht den Schurkenstatus verpasst haben.
Der zu seinen Wurzeln zurückkehrende, wieder sehr um nationale Gesinnung bemühte Spiegel läßt die Kaczynski-Brüder auf Angela Merkel reiten und ganz Europa »nerven«. In der Titelstory dürfen die Autoren auch eine der nervigsten Neurosen des neudeutschen Geschichtsrevisionismus, den deutschen Opfermythos, pflegen. Viele Feinde habe das »Polen der Kaczynskis«: neben Homosexuellen, Postkommunisten, Papstkritikern oder Journalisten seien dies vor allem »die Deutschen«. Während bekennende Schwule, regierungskritische Journalisten oder ehemalige Funktionsträger der VR Polen tatsächlich mit z. T. schwerwiegenden Repressalien zu rechnen haben, stellt sich die Frage, welche Rechte Bürgern der BRD durch das »Kaczynski-Regime« – diese Formulierung dürfte inzwischen konsensfähig sein – vorenthalten werden. Es sei denn, die Spiegel-Autoren meinen Eigentumsrechte deutscher Berufsvertriebener.
Die FAZ übt sich bereits in apokalyptischer Rhetorik, die standesgemäß – man hat ja sein kleines Latinum – in dem Begriff des »Finis Poloniae«, dem Ende Polens, gipfelt. Sollte Warschau dem von Deutschland im Ministerrat der EU propagierten Abstimmungsmodus der »doppelten Mehrheit« nicht zustimmen und tatsächlich auf dem Brüsseler Gipfel sein Veto einlegen, so käme dies einer »Selbstvernichtung« gleich, orakelte die »Zeitung für Deutschland« am 17. Juni. Polen würde »wieder zum Spielball fremder Mächte«. Immerhin ist die Frankfurter Allgemeine mittlerweile so frei, die Motivation der Kaczynskis zu benennen: »Sie wollen um jeden Preis verhindern, daß Berlin in Europa zu mächtig wird« – dem widerspricht das Hausblatt der deutschen Bourgeoisie nicht mehr.
Ein gewendeter 68er dürfte für eine im Jargon alter RAF-Komandoerklärungen gehaltene Drohung in der Süddeutschen vom 18. Juni verantwortlich sein, laut der für »den Rest«, also so ziemlich alles, was noch kommen mag, »allein die Regierung in Warschau die Verantwortung trägt. Sie sollte dafür einen Preis zahlen müssen«.
Beliebt ist natürlich auch das Bild des parasitären und undankbaren Polens. Kaum ein Kommentator vergißt zu erwähnen, daß Polen bis 2013 rund 67,2 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt erhält. Und kaum ein Kommentator erwähnt aus Gründen der Rücksichtnahme auf die Anzeigenabteilung seines Blattes, daß insbesondere das deutsche Kapital dank stürmischer Expansion in manchem osteuropäischen Markt eine monopolartige Stellung hat. Es reicht ein Blick auf einen polnischen, mit Springer-Blättern vollgestopften Zeitungsstand, oder ein Einkaufsbummel durch Plus, Kaufland, Real oder Media Markt Polska, um zu erkennen, daß vor allem das deutsche Kapital von der EU-Erweiterung profitiert.
Der deutsche Leitartikler sieht mal wieder nur den hinterrücks ausgeführten Dolchstoß. Die Märkische Allgemeine (18. Juni) hält es für »einem Skandal«, daß Polen, angeblich von Deutschland »mehrfach vor Diskriminierung geschützt«, nun »zum Dank (…) als energischer Bremser« hervortrete. Für die Dresdner Neusten Nachrichten (ebenfalls 18.6.) ist die »Dankbarkeit« ein in der Politik »aussterbender Wert«, immerhin sei »Deutschland einer der größten Fürsprecher für den EU-Beitritt Polens« gewesen.
Gern stellen Deutschlands Meinungsmacher die böse, euroskeptische Kaczynski-Regierung dem braven, eurofreundlichen, polnischen Volk gegenüber und mahnen einen Regierungswechsel an. Sie übersehen dabei, daß mit Ausnahme der marginalisierten Sozialdemokraten alle im Parlament vertretenen Parteien der »Kaczynski-Administration« in dieser Frage den Rücken gestärkt haben.
Um es klarzustellen: Polen wird von einer erzreaktionären, ins Rechtsradikale tendierenden Koalition regiert. Erst am Mittwoch ließ Premier Kaczynski eine Demonstration streikender Krankenschwestern brutal von der Polizei auseinanderprügeln. Vor kurzem wurde publik, daß die polnische Polizei – nach dem Vorbild der deutschen »Rosa Listen« – die Eckdaten bekennender Schwuler in einer zentralen Datei speichert. Es ist deprimierend, daß ausgerechnet solche Politgestalten als einzige nennenswerte Kraft dem deutschen Hegemonialstreben und der imperialistischen Formierung der EU im Weg stehen.

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