Boom der Angst

„Junge Welt“, 30.03.2012
Die Wohlhabenden, ihr Geld und »sichere Häfen«: In Deutschland steigen Immobilienpreise und Mieten teilweise rasant. Das verschärft soziale Probleme

Das Wall Street Journal (WSJ) dürfte schon aus heimischer Erfahrung ein feines Näschen für Immobilienblasen haben. Das der US-Finanzbranche innigst verbundene Wirtschaftsblatt berichtete jüngst über den Boom auf dem BRD-Immobilienmarkt. Der steht damit im krassen Gegensatz zu den in Depression versinkenden entsprechenden Geschäften des Großteils der Euro-Zone. Während viele Staaten des Währungsraumes mit »hohen Schulden, Rezessionen und geplatzten Kreditblasen« zu kämpfen hätten, weise der deutsche Immobilienhandel erste »Anzeichen eines Überschäumens« auf, so das Fazit des WSJ.

Zwischen 1975 und 2008 stagnierte der BRD-Wohnungsmarkt. Jährliche Preissteigerungen von etwas weniger als zwei Prozent hielten sich unter der Inflationsrate. Doch im vergangenen Jahr sind die Immobilienpreise bundesweit um fünf Prozent angestiegen. Das gibt allerdings die Entwicklung nur verzerrt wieder, da sie in vielen Regionen weiterhin stagnieren. In zahlreichen Ballungszentren wurden dagegen zweistellige Preissprünge regietriert.

Noch sei der Markt nicht von einer Spekulationsblase erfaßt worden, zitierte das WSJ einen Analysten. Doch es wachse die Gefahr: Unter Berücksichtigung der Entwicklung der letzten Jahre sei es »keine große Kunst, um beim weiteren Preisanstieg von 20 Prozent eine Blasenbildung« zu prognostizieren, erklärte der Immobilienanalyst Andrew Groom gegenüber dem Blatt.

Tatsächlich ist der deutsche Boom von starken regionalen Unterschieden gekennzeichnet. Viel Geld wird vor allem in Großstadtprojekte gepumpt, wo die Wohnungen sich im Bundesdurchschnitt sogar um sieben Prozent verteuerten, wie das Handelsblatt berichtete. Und auch da ist die Entwicklung sehr uneinheitlich. In Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, München, Stuttgart, Köln und Düsseldorf zogen die Preise im zweistelligen Bereich an, währen sie in Städten wirtschaftlich abgeschlagener Regionen des Ruhrgebiets oder Nord- und Ostdeutschlands weiterhin stagnieren. Dieser selektive Boom verstärkt somit die ohnehin zunehmenden sozioökonomischen Unterschiede zwischen wirtschaftlich aufstrebenden und im Niedergang begriffenen Regionen in Deutschland – wie auch zwischen gentrifizierten Stadtteilen der Ober- und Mittelklasse und den sich zu Ghettos wandelnden Problembezirken.

In Hamburg etwa herrsche »Immobilienfieber«, so das Springer-Blatt Die Welt. Der Umsatz mit Wohnungen und Miethäusern sei im vergangenen Jahr stark angestiegen, in Hessen wurde sogar ein Umsatzplus mit von 30 Prozent verzeichnet. Die Preise in den Toplagen Hamburgs, Berlins und Münchens – die mit bis zu 20000 Euro pro Quadratmeter neue Rekordwerte erreichten – konnten zumeist um mehr als 20 Prozent zulegen. Man müsse sich »den Berliner Immobilienmakler im Jahre 2012 als einen glücklichen Menschen vorstellen«, kommentierte Die Welt. Für die Mieter der oftmals zu Spekulationszwecken erworbenen Immobilien wird sich dieses Glück vor allem in stärkerem Verteibungsdruck wegen rapide kletternder Wohnkosten manifestieren.

Was treibt diese Rallye an? Es ist eine Mischung aus der Geldflut von der Europäischen Zentralbank (EZB) und zugleich der Furcht vor dieser Liquiditätsschwemme. »Die Angst vor Inflation und Euro-Krise gibt immer mehr Bürgern Anlaß, die Anschaffung einer eigenen Immobilie zu planen«, erklärte beispielsweise der Vorsitzende der Bundesvereinigung Bauwirtschaft, Karl-Heinz Schneider, Mitte März. Haus oder Wohnung werden als eine krisensichere Anlageform wahrgenommen. Die Baubranche profitiere Schneider zufolge bereits von dieser Angstblase und dem Trend zum »Betongold«, mit einem Umsatzplus von 18 Prozent im vergangenen Jahr.

Die Niedrigstzinsen der EZB, sollten vor allem Kredite für die strauchelnden südeuropäischen Volkswirtschaften ermöglichen. Nun aber nehmen auch Teile der deutschen Mittelschicht Hypotheken auf, die sich das zuvor nicht leisten konnten: »Wer einen 200000-Euro-Kredit vor zehn Jahren noch mit mehr als 1000 Euro im Monat bedienen mußte, schafft das nun mit 600 Euro«, freute sich Die Welt. Es sei genau diese »Kombination aus Inflationsangst und niedrigen Zinsen«, die verstärkt »Investitionen in Wohnimmobilien« lenke, betonte auch Analyst Groom. Ironischerweise ist es die in der BRD-Mittelschicht tief eingeprägte Angst vor Spekulation und Geldentwertung, die zu der Blasenbildung und inflationären Immobilienpreisen beiträgt. Überdies haben die Geldspritzen der EZB an den Finanzsektor von rund einer Billion Euro zu der lockereren Kreditvergabepraxis in der BRD beigetragen. Es sei wahrscheinlich, daß ein Teil dieser Mittel der EZB »in den Wohnungsmarkt geht und dort eine Blase schafft«, warnte der Ökonom Kai Carstensen gegenüber dem WSJ.

Auch wohlhabende Europäer flüchten verstärkt in deutsche Immobilien, da sie das Land als eine Art »sicheren Hafen« wähnen. Rund 20 Prozent der Umsätze auf dem Berliner Wohnungsmarkt werden von Ausländern bestritten, die »die Angst davor umtreibt, daß die Euro-Krise doch noch ausarten könnte. Daß Währungen fallen und Konten plötzlich gesperrt sind«, wie es Die Welt formulierte. Schließlich beschleunigt auch die verfehlte Sozialpolitik der vergangenen Jahre – als insbesondere in den Ballungszentren zu wenig Wohnraum geschaffen wurde – den gegenwärtigen Preisauftrieb. In Berlin etwa wurde laut WSJ der Wohnraumbestand zwischen 2005 und 2011 mit einer Rate von 0,9 Prozent erweitert, während 4,8 Prozent neuer Haushalte einer Bleibe suchten.

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