Rom, das Spardiktat sitzt

„Junge Welt“, 05.11.2011

Für Europas Politelite scheint das Leben ein einziger Krisengipfel zu werden. Das europäische Führungsduo Merkel-Sarkozy brachte im Rahmen des G-20-Gipfels in Cannes unter Einsatz von Drohungen und Erpressungen renitente Schuldenstaaten wieder auf Linie. Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou wurden die demokratischen Flausen mit der Drohung ausgetrieben, sein Land notfalls aus der Euro-Zone zu werfen, obwohl es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Damit wurde amtlich, was längst offenbar war: Die griechische Regierung hat nicht nur die Souveränität über ihren Haushalt verloren, sondern ist auch bei einer essentiellen Entscheidung wie der über ein Referendum de facto entmachtet worden. Athen muß nun ohne Volksbefragung das dritte rabiate Kahlschlagprogramm seit 2010 verwirklichen, obwohl die beiden bisherigen »Sparpakete« offensichtlich ohne Erfolg blieben und das Land in den Wirtschaftskollaps trieben.

Einer ähnlichen Entmündigung wurde in Cannes nun auch Italien unterworfen. Merkel und Sarkozy nötigten Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, seine Finanz- und Haushaltspolitik unter Beobachtung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu stellen. Auf dem Krisengipfel in der vergangenen Woche stimmte Rom bereits einer Überwachung durch die EU-Kommission zu. Italien hat bereits Kürzungen im Umfang von rund 55 Milliarden Euro beschlossen, was die bereits einsetzende Rezession südlich der Alpen vertieft. Zusätzlich drängen nun Berlin und Paris die italienische Regierung zur Anhebung des Renteneintrittsalters und zu einer »Arbeitsmarktreform«, die einer weiteren Prekarisierung zwischen Mailand und Palermo Vorschub leisten soll. Berlusconis Koalitionspartner Umberto Bossi von der Lega Nord jammerte noch vor kurzem, er könne nicht einfach das Rentenalter anheben, »nur um den Deutschen einen Gefallen zu tun«.

Dabei sitzt die Regierungskoalition in Rom bereits in einer Falle, der sie mit dem Instrumentarium kapitalistischer Krisenpolitik nicht mehr entkommen kann. Die Zinslast für zehnjährige italienische Staatsanleihen bleibt mit mehr als sechs Prozent auf einem Niveau, das langfristig für die drittstärkste Ökonomie der Euro-Zone nicht zu stemmen ist. Die Sparmaßnahmen und die Überwachung Italiens durch IWF und EU sollen nun zur »Vertrauensbildung« auf den Finanzmärkten beitragen und zu einem sinkenden Zinsniveau für das Land führen. »Wir müssen sicherstellen, daß es Glaubwürdigkeit gibt bei Italiens Zielen«, rechtfertigte Berlusconi die Einschränkung nationaler Souveränität.

Zugleich verstärkt sich der wirtschaftliche Abwärtssog in Italien, das sich mit einer Wachstumsprognose von weniger als einem Prozent offiziell in Stagnation befindet. Ein zuverlässiger konjunktureller Frühindikator, der Markit-Einkaufsmanager­index, fiel in Italien im vergangenen Oktober um fünf Prozentpunkte auf 43,3 Prozent. Alle Werte unterhalb von 50 Prozent deuten auf eine Rezession hin. Laut dem Finanzdienstleister Markit lassen die jetzigen Daten den heftigsten Einbruch seit Beginn der Indexerhebungen in den 90er Jahren erwarten. Somit befindet sich das Land in Wirklichkeit bereits seit zwei Monaten in einer an Intensität gewinnenden Rezession, die durch die nun eingeleiteten Sparmaßnahmen verstärkt werden dürfte.

Das in diesem Teufelskreis gefangene Italien wird nun von Paris und Berlin in die Zange genommen und derselben verheerenden Roßkur unterworfen wie Griechenland und Portugal.

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