Nukleares Standortroulette

„Junge Welt“, 29.10.2011
Polens Atomlobby konkretisiert die Pläne für den Einstieg in die Kernenergie

Polens Atomlobbyisten können sich über randvolle Terminkalender freuen. In Medienauftritten und Werbekampagnen preisen Vertreter der Energiewirtschaft in einer landesweiten Kampagne die Vorteile des Einstiegs ins Atomzeitalter. So konnte etwa Tomasz Zadroga, Chef des polnischen Energieversorgers Polska Grupa Energetyczna (PGE), im Interview mit der Tageszeitung Polska ausführen, daß »Kernkraftwerke billigen und sauberen« Strom produzierten und Polen diese schlicht »bauen muß«, da es hierzu »keine Alternativen« gebe. Bei lokalen Diskussionsveranstaltungen, wie etwa am 26. Oktober in Gdansk, sprechen Atomlobbyisten von neuesten Sicherheitsstandards, die Polens künftige Atommeiler sogar erdbebenfest machen sollen. »Wir können uns sicher fühlen«, lautete das Fazit der Veranstalter dieser Werbetour unter dem Titel »Aufgeklärtes Atom – Kernkraft in Polen«.

Die PGE ist als Polens führender Energieversorger für den Bau des ersten Atomreaktors in Polen verantwortlich und investiert in den kommenden zwei Jahren mehre Millionen Euro, um in einer »Marketing- und Informationskampagne« die polnische Bevölkerung von den angeblichen Vorzügen der Atomkraft zu überzeugen. Diese Werbeaufwendungen scheinen auch bitter nötig, da sich inzwischen auch in Polen die Stimmung gewandelt hat. Selbst der PGE-Chef mußte im Gespräch mit der Polska eingestehen, daß inzwischen die Mehrheit der Polen den Bau eines Nuklearkraftwerkes ablehne, doch hielt Zadroga diese Ablehnungsfront für ein »momentanes Phänomen«, das durch den Super-GAU im japanischen Fukushima ausgelöst wurde. Inzwischen formieren sich erste Protestinitiativen an den potentiellen Standorten des ersten polnischen Atommeilers, wie etwa in der Ortschaften Wicie und Darlowo in der Nähe von Kopan unweit der polnischen Ostseeküste, wo Einwohner eine Plakataktion gegen Atomkraft organisierten.

Mittlerweile haben sich vier potentielle Standorte herauskristallisiert, die für den Bau des ersten polnischen Atomkraftwerks in Frage kommen. Neben dem rund 350 Kilometer von Berlin entfernten Kopan ist mit Zarnociec bei Gdansk ein zweiter Ostseestandort im Gespräch. In die engere Auswahl kommen noch das in Zentralpolen gelegene Nowe Miasto sowie das westpolnische Klempicz, rund 280 Kilometer östlich von Berlin. Mitte September trafen sich Vertreter der PGE mit Delegationen französischer (Areva), US-amerikanischer (Westinghouse) und japanischer Atomkonzerne (GE Hitachi), um erste konkrete Angebote entgegenzunehmen. Areva und Westinghouse schicken hierbei Druckwasserreaktoren mit einer Leistungen von 1100 bis 1650 MW ins Rennen, während GE Hitachi einen Siedewasserreaktor von 1600 MW errichten will. Bis Ende dieses Jahres will die PGE die Ausschreibung offiziell initiieren. Die Entscheidung über den Kraftwerkstyp wird spätestens 2013 fallen – und ab 2020 soll in Polen der erste Atomstrom fließen. Seit Anfang Oktober können auch interessierte Bundesbürger in den grenznahen Behörden Sachsens und Brandenburgs die polnischen Pläne einsehen und Stellungnahmen an das Umweltressort des polnischen Wirtschaftsministeriums schicken.

In Polen wird der Einstieg in eine strahlende Energiezukunft aber nicht nur unter rein ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert. Von Atomlobbyisten wird immer wieder das Argument ins Feld geführt, daß derartiger Strom Polen dabei helfen könne, seine Abhängigkeit von Energieimporten aus Rußland zu reduzieren. Insbesondere seit der Fertigstellung der Ostseepipeline, die russisches Erdgas unter Umgehung der mittelosteuropäischen Transitländer direkt nach Deutschland liefert, bemühen Befürworter verstärkt das Argument, wonach Polen durch die Atomkraft ein Stück energetischer Unabhängigkeit gewinnen würde. Die Forcierung der Atomkraft ist eine der Antworten Warschaus auf die energiepolitische Allianz zwischen Berlin und Moskau. Diese Bemühungen Warschaus zur Stärkung der energetischen Souveränität Polen liegen auch Plänen zugrunde, im Land großflächig mit der ökologisch desaströsen Förderung von Schiefergas zu beginnen.

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