In der Falle

„Junge Welt“, 02.09.2011
Mit einer restriktiven Haushaltspolitik will Japan die Krise nach Tsunami und AKW-Katastrophe überwinden. Wiederaufbaukosten könnten Überschuldung auslösen

Schon in seiner Antrittsrede machte Japans neuer Ministerpräsident Yoshihiko Noda klar, wo er die Prioritäten seiner Regierung sieht. Sein Kabinett werde einen »sorgsamen Umgang mit der Wirtschaft und den öffentlichen Finanzen« anstreben, und die »sicheren Kernkraftwerke«, die nach der Atomkatastrophe von Fukushima abgeschaltet wurden, wieder ans Netz lassen. Der zum rechten Flügel der regierenden Demokratischen Partei DPJ zählende Noda grenzte sich somit demonstrativ von seinem Amtsvorgänger Naoto Kan ab, der sich im Kampf mit der übermächtigen japanischen Atomlobby aufrieb und letztendlich jeglichen Rückhalt verlor.

Die Bürger Japans können sich zudem auf Steuererhöhungen einstellen. Mitte August erklärte der damalige Finanzminister Noda, daß die Regierung die Anhebung der »Konsum-Einkommens- und Unternehmenssteuern« zur Bewältigung der Folgen der japanischen Doppelkatastrophe aus Erdbeben und Atom-GAU erwägen solle. Zudem sollten die Regierenden nicht vor der Durchsetzung von Haushaltsdisziplin zurückschrecken, postulierte Noda am 18. August. Dem neuen Ministerpräsidenten schwebt ein ausgeglichener Staatshaushalt in zehn bis 15 Jahren vor. Nodas unterlegener Mitbewerber um den Posten des Regierungschefs, Industrie- und Handelsminister Banri Kaieda, sprach sich noch Ende August für die Ausgabe zusätzlicher Staatsanleihen aus, um die »Infrastruktur in den Katastrophenzonen« wiederherstellen zu können.

Die restriktive Haushaltspolitik könnte vom neuen japanischen Regierungschef zur Unzeit auf die Tagesordnung gesetzt worden sein, da Japan sich erneut in einem konjunkturellen Abschwung befindet, der die ohnehin schleppend verlaufende Wirtschaftserholung nach der Katastrophe vom März gefährdet. Belastungen, wie die von Noda angedachte Verdopplung der japanischen Konsumsteuer von fünf auf zehn Prozent, dürften aufgrund der hierdurch wegbrechenden Nachfrage diesen Abwärtstrend rasch verstärken. Die ohnehin magere Binnenachfrage lag im Juli immer noch 2,1 Prozent unter den Vorjahreswerten. Zudem stieg die japanische Industrieproduktion im vergangenen Juli nur noch um 0,6 Prozent gegenüber dem Vormonat, während die Prognosen von Ökonomen von einem Wachstum von 1,4 bis 1,5 Prozent ausgingen. Der Juli markiert somit den niedrigsten monatlichen Anstieg der Industrieproduktion in Nippon seit dem Katastrophenmonat März. Prognosen des japanischen Wirtschaftsministeriums gehen zwar von einer Expansion der Industrieproduktion von 2,8 Prozent im August aus, doch schon im September wird eine Kontraktion von 2,4 Prozent erwartet.

Ähnlich verhält es sich mit den japanischen Exporten, die im Juli immer noch um 3,3 Prozent unter den Werten des Vorjahresmonats lagen, obwohl das exportfixierte Land seit zwei Monaten wieder leichte Handelsüberschüsse erwirtschaftet. Die Industrieproduktion in Nippon hat im Juli aber immerhin schon 95 Prozent des Niveaus erreicht, daß im vergangenen März kurz vor Krisenausbruch herrschte. Die Produzenten »haben nahezu aufgeholt«, erläuterte der USB-Ökonom Takuji Aida gegenüber dem Wall Street Journal, nun sei der »wichtigste Faktor die globale Ökonomie«, und die prognostizierte Schrumpfung der Industrieproduktion unterstreiche die vorsichtige Haltung der japanischen Unternehmer. Die exportorientierte japanische Industrie drohe zu dem Zeitpunkt in eine Kontraktion überzugehen, da »die Schuldenkrise in Europa und der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA die globale Zuversicht und Nachfrage untergraben«, konstatierte die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das verheerende Erdbeben vom März verhinderte aufgrund des enormen Wirtschaftseinbruchs auch eine Annäherung an das Niveau der Industrieproduktion, die vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise erreicht wurde: Der Index der japanischen Industrieproduktion liegt immer noch gut 20 Prozentpunkte unter dem Höchstwert vom März 2008.

Während Japans Industrie kurz davor steht, die früheren Produktionskapazitäten zu erreichen, müssen viele von der Katastrophe betroffenen Menschen – rund 100000 – immer noch in provisorischen Notunterkünften leben. Viele vom Tsunami heimgesuchte Landstriche im Nordosten Japans gleichen immer noch Trümmerwüsten. Die japanische Regierung geht davon aus, daß der Wiederaufbau dieser Regionen gut zehn Jahre in Anspruch nehmen wird. Tokio will in diesem Zeitraum umgerechnet 171 Milliarden Euro für diesen Kraftakt mobilisieren, doch scheint das exorbitant überschuldete Land nun an seine Grenzen zu stoßen. Den gigantischen Schuldenberg von gut 218 Prozent des japanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), der aufgrund eines prognostizierten Haushaltsdefizits vor circa 12 Prozent des BIP auch in diesem Jahr munter wachsen wird, nahm Ende August die Ratingagentur Moody´s zum Anlaß, um die Kreditwürdigkeit des mit den Katastrophenfolgen ringenden Landes zu senken. Dieser Schritt hatte nur deswegen keinerlei Konsequenzen, da Nippon in erster Linie bei seinen Bürgern verschuldet ist und aufgrund der fortdauernden deflationären Tendenzen sich äußerst günstig refinanzieren kann. Dieser japanische Schuldenturmbau zu Babel droht aber zusammenzubrechen, da die Staatsschulden Tokios bald das private Finanzvermögen in Japan übersteigen werden, wodurch das Land auf die Finanzierung auf den Weltfinanzmärkten angewiesen wäre.

Genau hier setzt Nodas Austeritätsprogramm an, das er noch während seiner Zeit als Finanzminister vorstellte, und das Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen in Höhe von 10,3 Billionen Yen sowie Ausgabenkürzungen von 2,4 Billionen Yen vorsieht. Dieses ehrgeizige Vorhaben dürfte aber kaum realisierbar sein, da die zusätzlichen Belastungen und Ausgabenkürzungen zu einer kräftigen Rezession führen dürften.

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