US-Raketenabwehr sorgt für Unsicherheit

„Junge Welt“, 08.01.2007
Heftige Kritik Rußlands an Plänen Washingtons für neue Militärbasis in Osteuropa. Bevölkerung Polens und Tschechiens steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber

Einem Bericht des polnischen Rundfunks zufolge steht die Entscheidung der USA über die Stationierung eines Systems zur Raketenabwehr in Osteuropa unmittelbar bevor. Laut Radio Polonia soll noch im Januar bekanntgegeben werden, ob die entsprechende US-amerikanische Militärbasis mitsamt Abfangraketen in Polen oder in Tschechien gebaut wird. An die 350 Militärs und Zivilangestellte der US Air Force würden auf der Basis arbeiten. Seit 2004 befinden sich die Vereinigten Staaten in Verhandlungen mit den beiden Ländern, um in Osteuropa einen weiteren Teil eines globalen Systems der Raketenabwehr zu errichten, das vorgeblich dazu dienen soll, von sogenannten Schurkenstaaten abgefeuerte ballistische Raketen abzufangen.

Diese inzwischen konkreten Pläne Washingtons stoßen auf massive Kritik Rußlands. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein russischer Politiker den osteuropäischen »Raketenschirm« heftig kritisiert. Am 22. Dezember erklärte der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow, daß der Aufbau der Raketenabfangbasis in Osteuropa »keinerlei politischen oder militärischen Sinn« habe, da weder nordkoreanische noch iranische Raketensysteme in der Lage wären, Europa tatsächlich zu bedrohen. Um einiges deutlicher benannte der Chef der strategischen Raketentruppen die konkreten Bedenken Rußlands. Nikolai Solowzow erklärte am 4. Januar, daß die Russische Föderation die geeigneten politischen und militärischen Maßnahmen ergreifen werde, um eine adäquate Antwort auf die »ausländischen Antiraketensysteme zu finden, die in der Nähe unserer Grenzen errichtet werden sollen«.

In dem Interview mit dem russischen Auslandssender »Stimme Rußlands« betonte Solowzow, daß die von den USA geplante globale Raketenabwehr bis spätestens 2020 durch die meisten russischen Raketen überwunden werden könne. Zudem solle den russischen Truppen mit der neuen Topol-M eine ballistische Rakete zur Verfügung stehen, die nicht aufzuhalten sei. Die mobile, mit Feststoff betriebene Topol-M-Interkontinentalrakete ist tatsächlich in der Lage, nach dem Start von einer ballistischen in eine semiballistische Flugbahn zu wechseln und so einen Abschuß durch Raketenabwehrsysteme nahezu unmöglich zu machen.

Die Bevölkerung Polens und Tschechiens steht dem Raketenschutzschirm der USA ebenfalls überwiegend skeptisch gegenüber. In der Öffentlichkeit beider Staaten werden zunehmend Stimmen laut, die eine Verschlechterung der Sicherheitslage ihrer Länder erwarten, sollte die Raketenbasis auf ihrem Territorium realisiert werden. In einer jüngst von der Tageszeitung Mlada fronta Dnes publizierten Umfrage sprachen sich 65 Prozent der befragten Tschechen gegen die Errichtung der US-Basis in ihrem Land aus. In Polen überwiegt ebenfalls eine negative Einschätzung der US-Pläne. Inzwischen wird über eine »Aufteilung« der Basis spekuliert. So könnten Radarstation und Silos mit den Abfang­raketen in beiden Länder eingerichtet werden, um die Größe des Vorhabens zu minimieren – und damit auch den Widerstand.

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