Rotstift im Armenhaus

„Neues Deutschland“, 17.05.2010

Auch die bulgarische Regierung setzt ein Sparprogramm um

Die Finanzlage Bulgariens ist im EU-Vergleich günstig – doch auch das südosteuropäische Land muss die Ausgaben massiv zusammenstreichen.

Wieder mal werden die Lohnabhängigen Bulgariens den Gürtel enger schnallen müssen. Um gut 20 Prozent sollen die öffentlichen Ausgaben des 7,6 Millionen Einwohner zählenden südosteuropäischen Landes beschnitten werden, kündigte Finanzminister Simeon Djankow kürzlich an. Der Rotstift soll in der Verwaltung, dem Bildungswesen, im Pensionssystem und dem Gesundheitswesen angesetzt werden. Durch dieses drakonische Sparprogramm sollen im Jahr 2010 umgerechnet 460 Millionen Euro eingespart werden.
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Somit sehen sich die Lohnabhängigen Bulgariens nach dem rabiaten Austeritätsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende der 1990er Jahre mit einer zweiten Welle sozialer Kahlschlagpolitik konfrontiert. Der IWF hatte im Rahmen seiner Strukturanpassungsprogramme den Balkanstaat einer weitgehenden neoliberalen Transformation unterzogen. So verfügt Bulgarien beispielsweise über den niedrigsten linearen Steuersatz – »Flat-Tax« – Europas von nur zehn Prozent. Und mit einem Durchschnittsgehalt von 302 Euro im Monat wird das Lohnniveau nur von Albanien unterboten. Laut Gewerkschaftsangaben lebt jeder fünfte Bulgare unter der offiziellen Armutsgrenze von monatlich 95 Euro.

Die Krise machte die bescheidenen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte des 2007 der EU beigetretenen Landes zunichte. Im vergangenen Jahr sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,1 Prozent und die offiziell registrierte Arbeitslosenquote stieg auf mehr als zehn Prozent. Dies zerschlug auch alle Hoffnungen auf eine Angleichung des Lohnniveaus innerhalb der Europäischen Union. Im Dezember 2009 verfügte laut dem statistischen Amt jeder Haushalt im Schnitt nur noch über monatliche Einkünfte von 425 Euro (Vorjahr: 485 Euro). Einer Studie des Gewerkschaftsdachverbandes KNSB zufolge muss eine vierköpfige Familie aber monatlich 980 Euro zur Deckung der wichtigsten Ausgaben aufwenden – nur elf Prozent der Haushalte verfügen über die entsprechenden Einkünfte.

Wie in der östlichen Peripherie der EU inzwischen üblich, löste ein Verstoß gegen die Euro-Stabilitätskriterien die jüngste Kürzungswelle aus. Alle osteuropäischen EU-Länder mussten sich verpflichten, den Beitritt zur Eurozone finanzpolitisch anzustreben. Laut Maastricht-Kriterien darf beispielsweise die Neuverschuldung drei Prozent des BIP nicht überschreiten. Im Falle Bulgariens reichte ein Anstieg des Haushaltsdefizits auf 3,7 Prozent im Jahr 2009 aus, um das Sparprogramm zu initiieren. Dabei weist das Land eine der niedrigsten Staatsverschuldungen in der EU von nur 16 Prozent des BIP aus. Nach Implementierung der neuesten Kürzungen geht die EU-Kommission davon aus, dass das Land sein Haushaltsdefizit auf 2,8 Prozent des BIP bis zum Jahresende senken wird.

Inzwischen hat Sofia die Notbremse gezogen und den Beitritt zur Eurozone auf unbestimmte Zeit verschoben. Ursprünglich wollte Bulgarien 2010 dem Europäischen Wechselkurssystem und 2013 der Eurozone beitreten. Man wolle auf einen Euro-Beitritt »vorerst verzichten«, da Bulgarien nicht die erforderlichen Kriterien erfülle, erklärte Ministerpräsident Boiko Borissow Mitte April. Der Krise fiel inzwischen auch das ehrgeizigste energiepolitische Projekt des Landes zum Opfer: Anfang Mai kündigte Borissow an, die Arbeiten am Atommeiler Belene einstellen zu lassen, da »das Land kein Geld für ein Atomkraftwerk« habe.

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