Aus für »Septemberkönig«

„Junge Welt“ 05.10.06
War die Niederlage der konservativen Minderheitsregierung Topolanek bei der Vertrauensfrage geplant?

Tschechiens konservative Minderheitsregierung unter Premier Mirek Topolanek stellte am Mittwoch im Prager Parlament die Vertrauensfrage – und scheiterte. Lediglich 96 der 200 Abgeordneten stimmten für das Kabinett des Vorsitzenden der ODS (Demokratische Bürgerpartei), 99 votierten dagegen. Fünf Mandatsträger blieben der Abstimmung fern. Bemerkenswert ist vor allem, daß sich drei von insgesamt 13 christdemokratischen Abgeordneten (KDU-CSL) der Stimme enthielten, unter ihnen deren ehemaliger Vorsitzender Miroslav Kalousek, der im August abgesetzt wurde, als er eine von den Kommunisten (KSCM) tolerierte Koalition mit den Sozialdemokraten (CSSD) eingehen wollte. Topolanek selber blieb der Abstimmung ebenfalls fern, da ein sozialdemokratischer Abgeordneter krankheitsbedingt ausfiel und der ODS-Chef hier einen »guten Beitrag zur politischen Kultur des Landes« leisten wollte.

Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Konservativen schon im vorhinein mit ihrer Niederlage bei der Vertrauensfrage rechneten, zumal in den Vorgesprächen nur 97 Abgeordnete ihre Unterstützung für Topolanek fest zusagten. Somit befindet sich die tschechische Politik wieder dort, wo sich sich am Wahlabend des 4. Juni befand: Beim Stimmenpatt zwischen den Lagern. Sowohl Sozialdemokraten und Kommunisten, wie auch Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Grüne halten jeweils 100 Parlamentsstize. Eigentlich war die jetzige Niederlage der Konservativen bereits klar, als Topolanek feierlich vom Staatspräsidenten Vaclav Klaus (ebenfalls ODS) Anfang September zum Premier ernannt wurde. Er fühle sich wie Neil Amstrong, hatte Topolanek damals kurz nach seiner Ernennung kommentiert: Dieser sei auch nur ganz kurz auf dem Mond gewesen, und trotzdem seien »seine Spuren unauslöschlich«. Seine Regierung hätte ohnehin ein nur begrenztes Mandat und solle das Land auf baldige Neuwahlen vorbereiten. »Spuren« hinterließ hingegen die von der Regierung Topolanek im September durchgeführte Säuberungswelle, die sich gegen Sozialdemokraten im Staatsapparat des Landes richtete. Prominenteste Opfer waren der Chef des tschechischen Verfassungsschutzes und der Intendant des Nationaltheaters.

Der von Spöttern als »Septemberkönig« betitelte Topolanek ist trotz der Abstimmungsniederlage seinem Ziel, der Ausrufung von vorgezogenen Wahlen, ein Stück näher gekommen. Laut tschechischer Verfassung muß der Präsident Neuwahlen ausrufen, sollte eine Regierungsbildung dreimal scheitern. Einem Bericht der tschechischen Tageszeitung Mladá fronta Dnes vom Mittwoch zufolge will Topolanek nun nach der Abstimmungsniederlage umgehend zurücktreten, vom Präsidenten erneut mit der Regierungsbildung beauftragt werden, mit derselben Regierungmannschaft so oft bei der Vertauensfrage scheitern, bis Neuwahlen ausgerufen werden müssen. »Man müßte da gar nicht die möglichen 30 Tage abwarten, die Regierung würde sich kommende Woche der zweiten Vertrauensabstimmung stellen«, so Topolanek gegenüber der Mladá fronta Dnes.

Doch auch die Sozialdemokraten sehen noch Chancen für eine Regierungsbildung. Einer der dissidenten Christdemokraten, die Topolanek ihre Stimme bei der Vertrauensfrage verweigerten, deutete jüngst an, unter bestimmten Umständen auch eine sozialdemokratische Regierung zu unterstützen. Hierzu müßte deren Vorsitzender Jiri Paroubek von Präsident Klaus mit der Regierungsbildung beauftragt werden. »Wenn sich eine Alternative abzeichnete, die eine stabile Regierung garantierte, so wäre ich ihr nicht abgeneigt«, erklärte der Christdemokrat Libor Ambrozek. Die Front der Rechten begänne dann vielleicht zu bröckeln, und eine von den Kommunisten tolerierte CSSD käme doch noch in die Regierung.

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