Freiheit für die Lieferkette

Die FDP hat die europäische Lieferkettenrichtlinie erfolgreich sabotiert.

jungle world, 15.02.202

Deutschlands Wirtschaftsverbände haben mal wieder ihre Interessen auf EU-Ebene durchsetzen können. Das Votum über das Lieferkettengesetz der EU, über das nach langwierigen Verhandlungen am 9. Februar im Rat der Europäischen Union abgestimmt werden sollte, wurde verschoben. Nachdem Deutschland angekündigt hatte, dem Gesetz nicht zuzustimmen, hatten mehrere Länder Zweifel bekommen. Daher galt eine Mehrheit für das Gesetz als nicht mehr sicher.

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Die seit Jahren in Arbeit befindliche Richtlinie, die europäischen Unternehmen verbindliche zivilisatorische Mindeststandards bei der Rohstoffbeschaffung und Herstellung von Vorprodukten im außereuropäischen Ausland vorschreiben sollte, hatte schon den Europäischen Rat, die EU-Kommission und das Europaparlament passiert, bevor sie an einem Einspruch von FDP-Ministern scheiterte.

Die Enthaltung Deutschlands, die dieselbe Wirkung hat wie eine Ablehnung, ist Folge eines Koalitionsstreits, der im Januar entbrannte. Die FDP-Minister Christian Lindner (Finanzen) und Marco Buschmann (Justiz) sprachen sich gegen die neue EU-Richtlinie aus, da sie ihrer Meinung nach Nachteile für die deutsche Wirtschaft nach sich zöge. Mit ihr seien zu viel Bürokratie und Rechtsunsicherheit verbunden, die man sich wegen der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche in Deutschland nicht leisten könne, hieß es aus dem Parteipräsidium der FDP.

Die Liberalen befinden sich damit ganz auf der Linie der deutschen Wirtschaftsverbände, die »massiv« gegen die EU-Richtlinie protestieren, so das Handelsblatt. Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Drogeriemarktkette DM, bezeichnete das Gesetzesvorhaben im Interview mit N-TV gar als »übergriffig«.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die das EU-Gesetz unterstützten, hatten zuvor Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, von seiner Richt­linienkompetenz Gebrauch zu machen und ein »Machtwort« zu sprechen – vergebens. Auch der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), forderte dies und warnte vor einem europäischen Ansehensverlust für Deutschland: »Es kann nicht sein, dass sich Deutschland wiederholt bei wichtigen europäischen Entscheidungen in letzter Minute enthält.« Scholz müsse derlei künftig verhindern, forderte Hofreiter.

Doch bereits am 7. Februar kündigte die FDP an, auch eine fertig ausgehandelte EU-Regelung über CO2-Sparziele bei LKW und Bussen in letzter Minute zu blockieren, so dass die Abstimmung, die als reine Formsache galt, kurzfristig verschoben werden musste. Eine ähnlich obstruktive Interessenpolitik betrieben allerdings auch frühere Bundesregierungen. Zum Beispiel wurden unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jahrelang CO2-Grenzwerte für PKW zugunsten der deutschen Autowirtschaft aufgeweicht.

Die Zeit äußerte die Einschätzung, das Vorgehen der FDP komme Kanzler Scholz gelegen, da auch ihm die EU-Lieferkettenrichtlinie zu weit gehe. Scholz könne darauf spekulieren, die liberalen Quertreiber würden die EU-Richtlinie so weit aufweichen, dass sie dem entsprechenden deutschen Lieferkettengesetz nahekomme.

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz, mit dem die deutsche Wirtschaft sehr gut leben kann. Denn wenn sich irgendwo im Globalen Süden innerhalb einer Lieferkette Kinder bei der Rohstoffförderung totgearbeitet haben oder ganze Landstriche vergiftet werden, dann liefert das deutsche Gesetz den Betroffenen keine Grundlage dafür, Schadenersatz von den deutschen Unternehmen einzuklagen.

Dies sollte aber bei der EU-Richtlinie der Fall sein, wie die FDP monierte. Carl-Julius Cronenberg, Mittelstandssprecher der FDP-Bundestagsfraktion, forderte im Handelsblatt eine »Safe-Harbour-Regelung« für die deutsche Wirtschaft, mit der die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen deutlich reduziert würde – womit die EU-Lieferkettenrichtlinie ähnlich wirkungslos wäre wie das deutsche Lieferketten­gesetz.

Das 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten und seit diesem Jahr mit 1.000 Beschäftigen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards, wobei diese »Sorgfaltspflichten« viele Lücken und Schlupflöcher aufweisen – vor allem hinsichtlich der Biodiversität und des Klimaschutzes. Allerdings kann das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Konzerne, die Milliardenumsätze machen, bei Zuwiderhandlung mit Bußgeldern belegen. Bei Verstößen mit einer Bußgeldhöhe von mindestens 175.000 Euro ist sogar ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorgesehen. Gegenüber T-Online sagte Lindner vergangene Woche, dass er auch das deutsche Lieferkettengesetz künftig lockern wolle.

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