Das Steppenland von nebenan

Die Klimakrise hat Polen bereits voll erfasst: Es herrschen eine langanhaltende Dürre und Wasserknappheit. Die rechte Regierung hat die Probleme jahrelang durch ihre auf Kohle fußenden Energiepolitik verschärft und will nun mit Hilfsprogrammen gegensteuern.

jungle World, 21.09.2023

Polen leidet unter einer langanhaltenden Dürre, die – mit kurzen Unterbrechungen – schon seit 2015 insbesondere der Agrarbranche zu schaffen macht. Die ausgiebigen Regenfälle im August dieses Jahres haben der polnischen Landwirtschaft zwar eine Atempause verschafft und das Thema aus den Schlagzeilen verdrängt, doch ist die Wasserkrise damit keineswegs aus der Welt geschafft. Die Niederschläge hätten die Dürre nur „gemildert“, hieß es in polnischen Medien. Nach Jahren extremen Niederschlagsmangels seien Bodenschichten in einer Tiefe von mehr als 28 Zentimetern vielerorts immer noch ausgetrocknet. Vor den extremen Niederschlägen Anfang August, die in Österreich und Slowenien Überschwemmungen verursachten, meldeten nahezu 200 Messstationen niedrige Pegelstände an Polens Flüssen, Mitte August wurde Niedrigwasser immer noch an rund 100 Messpunkten konstatiert – was weiterhin einen sehr hohen Wert darstellt.

Die Klimakrise, die sich in der Häufung von einstmals extremen Wetterlagen manifestiert, lässt sich in Polen empirisch nachweisen. So ist die durchschnittliche Anzahl der jährlichen Hitzetage mit Höchsttemperaturen über 30 Grad Celsius von vier in den siebziger Jahren auf 13 in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts angestiegen. Prognosen gehen davon aus, dass es in Polen faktisch künftig nur noch zwei Jahreszeiten geben werde: einen trockenen und heißen Sommer und einen schneefreien, nassen Winter. Die schwachen Frostperioden und das immer öfter drohende Ausbleiben einer nennenswerten Frühjahrsschmelze sind sowohl für die polnischen Flüsse, die hiervon stark abhängen, als auch für die Bodenfeuchtigkeit und den Grundwasserspiegel verheerend.

Tatsächlich ergibt es kaum noch Sinn, von einer „Dürre“ zu sprechen, da hierunter ein abnormes, zeitlich begrenztes Wetterphänomen zu verstehen ist. Der langanhaltende Niederschlagsmangel zwischen Oder und Bug deutet eher auf eine neue Normalität hin, auf die der voll einsetzenden Klimakrise.

Dabei zählt Polen ohnehin mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 650 Millimeter jährlich zu den niederschlagsärmeren Ländern Europas. In Deutschland beträgt dieser Wert knapp 800 Millimeter, in Frankreich sind es etwas mehr als 800 Millimeter. Somit ist auch die Trinkwasserversorgung in Polen zu 70 Prozent von der Grundwasserentnahme abhängig, während es etwa in Deutschland nur 61 Prozent sind. Die sich verstärkende Wasserknappheit und die prekäre hydrologische Lage östlich von Oder und Neiße werden anhand des erneuerbaren Süßwasservorrats je Einwohner deutlich, der nach Regierungsangaben bei 1 600 Kubikmetern liegt. Im europäischen Durchschnitt sind es hingegen 4 500 Kubikmeter. Polens Wasserbestand lasse sich durchaus mit dem Spaniens vergleichen, warnte der Hydrologe Paweł Rowiński schon vor Jahren.

Ein Blick auf die aktuellen Dürrekarten des Instituts für Bodenkunde und Pflanzenzucht IUNG (Instytut Uprawy Nawożenia i Gleboznawstwa) offenbart, dass die meisten Regionen Polens von Trockenheit geplagt werden, die mitunter – von Westpolen und dem Großraum Posen bis zur Grenzregion östlich von Warschau – dramatische Ausmaße angenommen hat. Bis zu 80 Prozent der Bodenflächen sind dort ausgetrocknet. Gerade hier sind viele landwirtschaftliche Nutzflächen betroffen.

Insgesamt war im Juli ein Drittel der Anbauflächen betroffen, so dass die Ernte von Sommer- und Wintergetreide bis zu 20 Prozent geringer ausfallen soll als sonst. Zwölf der 16 Woiwodschaften haben eine hydrologische Dürre ausgerufen, in 280 der knapp 2 500 Gemeinden sind Beschränkungen der Wasserentnahme erlassen worden. Nur Teile der im gebirgigen Süden gelegenen Woiwodschaften, von Niederschlesien bis Kleinpolen, weisen noch Landstriche auf, die von der Dauerdürre kaum betroffen sind.

Die andauernde Wasserknappheit treibt nicht nur die Landwirte zur Verzweiflung, auch die Industrie ist bedroht – insbesondere die Energieerzeugung aus Kohle. Zum einen lässt der Kohlebergbau den Grundwasserspiegel absinken, zum anderen benötigen Kohlekraftwerke Unmengen an Süßwasser zur Kühlung – nach Regierungsangaben sind es drei bis vier Kubikmeter pro Megawattstunde. Polens Energie stammt immer noch zu 90 Prozent aus Kohlekraftwerken, wobei 38 Prozent sogar durch die besonders klimaschädliche Braunkohle generiert wird.

Extreme Dürreperioden können somit künftig auch mit Energiemangel einhergehen, was negative Auswirkungen auf den Industriesektor hätte. In offiziellen Stellungnahmen warnen Regierungsstellen vor drohenden dürrebedingten „Engpässen“ oder gar dem „gänzlichen Einstellen“ von Teilen der Energieproduktion. Sie gestehen damit implizit das Scheitern der eigenen, auf Kohle fußenden Energiepolitik ein.

Für die Regierung in Warschau stellt diese Situation – gerade vor der anstehenden Parlamentswahl im Oktober – ein ernsthaftes Problem dar. Die im Bündnis mit kleineren rechten Parteien regierende rechtspopulistische Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit) steht vor den Trümmern ihrer fossilen Energiepolitik. Jahrelang hat die Regierung die Kohle als billigen, das Wirtschaftswachstum stützenden Energieträger propagiert, während sie die Klimakrise bagatellisierte und verharmloste. 2021 haben Aktivisten die PiS-Regierung wegen ihrer Untätigkeit in Klimafragen sogar verklagt.

Auch auf EU-Ebene agierte die Regierung unter der PiS häufig als klimapolitischer Bremsklotz. Doch die verstärkt unter der Klimakrise leidende polnische Bauernschaft gehört zu ihrer Kernwählerschaft, deren sich verschlechternde ökonomische Lage sie gerade im Wahljahr 2023 nicht ignorieren kann. Die Regierung reagiert auf die Ertragseinbrüche in der Landwirtschaft mit Subventionen und Beihilfen für die Bauern, um die ökonomischen Einbußen in Grenzen zu halten – und eventuellen Protesten der Bauernschaft im Vorwahlkampf entgegenzuwirken.

Mitte Juni klagten Bauernverbände in einem Schreiben an den polnischen Landwirtschaftsminister, dass die diesjährige Trockenheit rekordverdächtige Ausmaße annehme. Die Landwirte hätten „seit Langem keine solch großen Probleme mit Wassermangel“ wie in der ersten Junihälfte gehabt. Bereits im Mai hatte der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, ein Hilfspaket von sechs Milliarden Złoty (circa 1,3 Milliarden Euro) beschlossen, um Landwirten Beihilfen im Fall „widriger Witterungsverhältnisse“ auszahlen zu können. Das von der EU-Kommission abgesegnete Programm soll 2027 auslaufen.

Zudem wurden Anfang August weitere Soforthilfen in Höhe von 1,5 Milliarden Złoty bewilligt. Dennoch fanden im August vereinzelte Protestaktionen von Landwirten statt, die bessere Kompensation für die Dürreschäden und höhere Aufkaufpreise ihrer Produkte forderten. Schätzungen für dieses Jahr gehen davon aus, dass die Einkommensverluste der Landwirte in etwa das Vierfache der zugesagten Dürrehilfen ausmachen.

Zudem scheint die Regierung nun bestrebt, bislang aufgeschobene Programme zum Dürreschutz und zur Regenwasserrückhaltung in Angriff zu nehmen. Investitionen in die Infrastruktur und Wassersparmaßnehmen sollen weitere Abhilfe schaffen. Der Gewässerverwaltung Wody Polskie (WP) stehen dieses Jahr umgerechnet 276 Millionen Euro zur Verfügung, um etwa den Hochwasserschutz zu verbessern. Hierzu gehören auch Überlegungen, die Flussbegradigungen der vergangenen Dekaden zu revidieren.

Ein zentrales Projekt besteht aus einem umgerechnet 2,3 Milliarden Euro umfassenden Investitionsprogramm, in dessen Rahmen Rückhaltebecken und Staustufen errichtet werden sollen, damit Regenwasser weniger schnell abfließt. Das Investitionsprogramm sollte bereits 2022 verabschiedet werden. Nach Verzögerungen will es die Regierung bis Ende dieses Jahres auf den Weg bringen. Landesweit sollen 19 Auffangbecken und drei Staustufen entstehen. So soll Wasser möglichst lange gebunden werden, um es besser nutzen zu können. Erste zaghafte Schritte in diese Richtung sind durch die Errichtung von Wehren und Toren in bestehenden Kanälen unternommen worden.

In Polens Wirtschaftstätigkeit spielten ökologische Gesichtspunkte jahrzehntelang kaum eine Rolle. Das hat dazu geführt, dass das Land eine sehr geringe Wasserbindungsfähigkeit – von Hydrologen als Retention bezeichnet – aufweist. Das heißt, die Wirkung von Regelfällen verpufft viel schneller als in Ländern mit einem hohen Retentionswert. Allein der Anteil der Feuchtgebiete ging in den vergangenen Jahrzehnten von 15 auf sechs Prozent der Landesfläche zurück. Besonders ausgeprägt sind diese Verhältnisse im ökonomisch stärker erschlossenen Westen des Landes.

Polens Retentionswert, der den gebundenen Anteil des Regenwassers angibt, ist einer der niedrigsten in der EU. Er konnte in den vergangenen Jahren zwar von 6,5 auf rund 7,5 Prozent gesteigert werden, liegt aber weit unter dem EU-Durchschnitt von 20 Prozent. Die Regierung hofft, mittels des Investitionsprogramms den Retentionswert auf 15 Prozent anheben zu können.

Der marode Zustand der Wasser- und Abwassernetze in vielen Städten und Regionen Polens könnte aber diese Pläne durchkreuzen. Trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung Polens seit dem EU-Beitritt 2004 besteht ein riesiger Investitionsbedarf in die Wassernetze, die zumeist noch im Realsozialismus errichtet und kaum gewartet wurden. Viele Leitungen, gerade in der Peripherie abseits der boomenden Ballungszentren, sind schlicht undicht. Seit dem Frühjahr 2022 läuft sogar ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Polen, da auf dem Land immer noch mehr als 1 000 Gemeinden ihre Abwässer ohne Kanalisation einfach in die Flüsse einleiten. Ein neues Wasserschutzgesetz soll dieser Praxis, die gegen EU-Richtlinien verstößt, bis 2027 ein Ende setzen.

Zur Modernisierung des Abwasser- und Wassernetzes wären weitere Milliardeninvestitionen notwendig, die kaum aufgebracht werden können. Polens gute Wirtschaftsentwicklung beruhte nicht nur auf dem – immer noch gegebenen – Lohngefälle zum Westen, sondern auch auf billiger Kohleenergie und geringen Ausgaben für die Infrastruktur. Da die PiS höhere Abgaben und Steuern für die Unternehmen aus Furcht vor Produktionsverlagerungen nicht in Erwägung zieht, müssten für die Modernisierung des Wassernetzes vor allem die Lohnabhängigen mittels steigender Wasserpreise aufkommen. Zumindest im Wahlkampf ist für die Rechtspopulisten der PiS auch diese Option tabu.

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