Der Staat soll’s richten

Geopolitische Spannungen und der Klimawandel führen zu einer Renaissance staatlicher Interventionen und Industriepolitik. Das zeigte zuletzt die Debatte über den Einstieg eines chinesischen Staatskonzerns beim Hamburger Hafen.

Tomasz Konicz, Jungle World, 25.05.2023

Globalisierung, freier Warenverkehr, Investitionsfreiheit – die Säulen des Neoliberalismus scheinen seit einiger Zeit zu wanken. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes, wie die berühmte Metapher von Adam Smith lautet, wird wieder öfter durch staatliche Interventionen gelenkt, oft aus sicherheits- und geopolitischen Motiven. Die Bundesrepublik hat als ehemaliger langjähriger Exportweltmeister wie kaum ein anderer Standort von den freien Kapital- und Warenströmen profitiert. Doch auch hierzulande herrscht längst wieder der protektionistische Ton vor. Das zeigte sich zuletzt beim Fall des Hamburger Hafens.

Der chinesische Staatskonzern Cosco will einen Minderheitsanteil an Tollerort (CTT), der Betriebsgesellschaft des kleinsten der vier Hamburger Containerterminals, erwerben. Die Terminals hat die Bundesregierung als kritische Infrastruktur eingestuft, weshalb die Regierung den Verkauf genehmigen muss.

Der geplante Einstieg von Cosco löste eine heftige Kontroverse aus. Die Zeit kritisierte Ende April die „alte Kaufmannsdenke“ in der Hamburger Bürgerschaft und im Senat, weil diese für die Übernahme offen seien. Nicht alles, was umsatzfördernd sei, sei auch „politisch richtig oder nachhaltig“, so das Hamburger Wochenblatt. Cosco sei Teil einer Gruppe von rund 100 Staatskonzernen, die ganz im Sinne der chinesischen Staatspartei und letztlich „des Staatschefs Xi Jinping handelten“, wobei sie „zuallererst den Einfluss des autoritären Regimes“ mehren sollen. Zwar würde Cosco mit der Beteiligung an CTT keinen direkten Zugriff auf die Infrastruktur des Hafens erhalten, doch würden dem chinesischen Unternehmen auch im Fall einer Minderheitsbeteiligung sensible Daten zur Verfügung stehen. Und es wäre „töricht zu glauben“, dass der Staatskonzern diese Interna nicht an die Staatsregierung in Peking weiterreichte oder bei wirtschaftlichen Entscheidungen „nicht im Sinne der Partei“ agierte, dozierte die Zeit.

Die Gegenposition brachte Mitte Mai der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zum Ausdruck, der die Differenzen zwischen der Bundesregierung und dem chinesischen Regime auf „Moralpolitik“ reduzierte. Dies sei ein „Holzweg“, den man mit Blick auf „unseren größten Wirtschaftspartner“ nicht beschreiten sollte. Deutschland täte gut daran, “unseren chinesischen Partnern immer wieder zu beteuern, dass wir zu unserer Freundschaft stehen”, forderte Dulger.

Diese Widersprüche in der deutschen China-Strategie, die sich grob als Konflikt zwischen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen beschreiben lassen, finden sich auch in der Bundesregierung. Im Prinzip sind sich die Koalitionspartner darüber einig, dass die Abhängigkeit von der Volksrepublik reduziert werden soll, doch gehen insbesondere vielen Sozialdemokraten die Abgrenzungsbemühungen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu weit. Bei ihrer kürzlichen China-Reise hatte Baerbock deutliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen geübt. Der chinesische Außenminister Qin Gang hatte daraufhin mitgeteilt, China brauche keinen „Lehrmeister aus dem Westen“, jedes Land habe seine eigenen kulturellen und historischen Hintergründe, es gebe keine „einheitlichen Standards in der Welt“.

Im Fall des Hamburger Hafens scheint nun das Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen gesiegt zu haben. Am 10. Mai wurde bekannt, dass Cosco einen Minderheitsanteil von 24,9 Prozent an der Betriebsgesellschaft CTT erwerben darf. Dennoch ist der fundamentale Wandel der öffentlichen Debatte unübersehbar: in der Bundesrepublik, deren Exportindustrie in den vergangenen Jahrzehnten ganze Industriezweige in Mittelosteuropa übernahm, um sie in ihre globalen Produktionsketten einzugliedern, sind inzwischen ausländische Minderheitsbeteiligungen an relativ unbedeutenden Container-Betriebsgesellschaften umstritten.

Eine ähnliche Kontroverse löste der Verkauf des Heizungsherstellers Viessmann an den US-amerikanischen Kälteanlagenkonzern Carrier Global aus. Der Focus sprach vom „Herz des deutschen Mittelstands“, das sich nun unter US-Kontrolle befinde, verwies aber auch auf die Innovationsfaulheit der deutschen Branche. Die ausländische Konkurrenz sei auf dem innovativen Markt für Wärmepumpen deutlich weiter als die deutschen Hersteller, die es sich mit der alten Technologie der Gasheizungen „lange gemütlich gemacht“ hätten.

Hintergrund der Übernahme war tatsächlich die technologische Stagnation bei den deutschen Heizungsbauern um Bosch, Viessmann und Valliant. Die investitionsscheuen deutschen Konzerne haben jahrelang in Berlin gegen die nun erzwungene Einführung der Wärmepumpe Lobbyarbeit betrieben. Das berichtete im April die Zeit unter Berufung auf hochrangige Brancheninsider. Die deutschen Heizungsbauer verfügen über große alte Produktionsstätten, deren Investitionskosten sich längst amortisiert haben, so dass mit der Produktion von Gasheizungen viel Geld verdient wurde. Neue Investitionen in die Entwicklung und Fertigung von Wärmepumpen hätten diese Profite geschmälert und wurden deshalb kaum getätigt. Deshalb sind deutsche Firmen wie Viessmann bei Wärmepumpen nicht in der Lage, mit der günstigen US-amerikanischen und asiatischen Konkurrenz mitzuhalten.

Der deutsche Staat hat in dem Fall offenbar in seiner Rolle als ideeller Gesamtkapitalist versagt. Er hätte durch gesetzliche Vorschriften solch kurzfristiges Profitdenken unterbinden können, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu schützen. Die Parallelen zur Autoindustrie sind offensichtlich. Die deutschen Autokonzerne haben durch erfolgreiche Lobby-Politik die frühzeitige Durchsetzung der Elektromobilität sabotiert – inzwischen drohen sie, auf diesem Technologiefeld ins Hintertreffen zu geraten.

Damit das nicht geschieht, subventionieren Deutschland und andere EU-Staaten unter anderem die Produktion von Batteriezellen mit Milliardenbeträgen. Sie konkurrieren dabei mit den USA, die ebenfalls mit Milliardensubventionen die heimische Batterieproduktion ausbauen wollen.

Nicht nur in diesem Bereich verfolgt die EU inzwischen eine aktive Industriepolitik. Damit will sie die Abhängigkeit von den im neoliberalen Zeitalter ausgeprägten globalen Produktionsketten reduzieren, insbesondere bei der Hightech- und Chipindustrie, deren Zentren im kriegsgefährdeten Südostasien liegen. Taiwan produziert derzeit den Großteil der weltweit hergestellten hochentwickelten Mikrochips.

Weil die geopolitischen Spannungen zunehmen, wollen die Industrieländer zukünftig möglichst wenig auf importierte Chips angewiesen sein. Die USA, China und andere Staaten konkurrieren in einem kostspieligen Subventionswettlauf darum, eine heimische Chipindustrie aufzubauen. Auch die EU-Kommission will die Halbleiterbranche zu einer Schlüsselindustrie Europas entwickeln. Der Weltmarktanteil der EU soll durch gezielte Industriepolitik bis 2030 auf 20 Prozent verdoppelt werden.

In Dresden wurde zum Beispiel gerade mit dem Bau eines neuen Werks des süddeutschen Halbleiterherstellers Infineon-begonnen. Die Investition von insgesamt fünf Milliarden Euro werde mit rund einer Milliarde Euro staatlich bezuschusst, schrieb die FAZ; damit werde das Ziel verfolgt, “die Lücke zu den großen Herstellern in Asien und Amerika” zumindest zu verringern und die “technologische Souveränität Europas” aufrechtzuerhalten.

Die staatliche Investitionspolitik zielt bei allen Konkurrenten nicht nur auf die Hightech-Industrie, sondern auch auf die von der Politik zumindest postulierte ökologische Transformation des Kapitalismus. Das Ziel ist, bei den zukünftig wahrscheinlich dominierenden Technologien das Rennen zu machen – bei erneuerbaren Energien, E-Autos, Batterien, „grüne“ Industrieanlagen, Wasserstofftechnologien und dergleichen.

Zu diesem Zweck plant die US-Regierung im Zuge des Inflation Reduction Act rund 375 Milliarden US-Dollar zu investieren. In der EU sollen weitreichende Industriesubventionen, wie sie das Regelwerk des gemeinsamen EU-Binnenmarkts eigentlich verbietet, im Rahmen des Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) forciert werden. Die Förderbedingungen für Investitionen in „Transformationstechnologien“ sollen leichter erfüllbar werden, um die Produktion von Batterien, Solaranlagen, Windturbinen und Wärmepumpen zu beschleunigen.

Dass diese staatskapitalistische Logik aus der sich verschärfenden Krise resultiert, macht der Fall des US-Halbleiterherstellers Intel deutlich. Der Konzern plant ein Werk in Magdeburg und will dort etwa 17 Milliarden Euro investieren. Der führende Prozessorhersteller, der bei hochentwickelten Mikrochips allerdings nicht mehr mit der südostasiatischen Konkurrenz mithalten kann, verzeichnete jüngst einen Rekordverlust – und forderte Ende April noch höhere Subventionen für das Werk in Magdeburg. Bislang wurden schon sieben Milliarden Euro staatliche Hilfen gewährt.

Schon zuvor hatte es Kritik an den Subventionen gegeben. „Wir werfen das Geld zum Fenster raus“, sagte im Februar Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Inhaber eines Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, der Süddeutschen Zeitung. Denn damit würden „Werke, die mit alter Technologie produzieren“, gefördert, statt Forschung und Entwicklung. Außerdem bestehe das Risiko, dass durch die vielen subventionierten Investitionen globale Überkapazitäten aufgebaut würden und es in der Chip-Branche zu einer Krise kommt. Diese Argumente entsprechen der üblichen wirtschaftsliberalen Kritik an staatlicher Industriepolitik. Diese behauptet, dass staatliche Subventionen veraltete Industrien und Technologien schützten beziehungsweise zum Preisverfall der entsprechenden Produkte beitrügen und damit Renditen senkten. Offensichtlich finden diese Warnungen immer weniger Gehör.

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