Schreiben wie ein Internettroll

Erschien leicht gekürzt in Konkret 06/21

Es ist zu befürchten, dass Sahra Wagenknecht selbst mit dem jüngsten Rechtsruck noch nicht ihre finale Form erreicht hat.


Dies Buch ist eine Zumutung. Nicht nur des Inhalts, sondern auch der Form wegen, die dieser annimmt. Vieles scheint mit der Intention geschrieben worden zu sein, möglichst mehrdeutig zu sein. Wagenknecht bedient sich einer scheinbar einfach und allgemeinverständlich gehaltenen Sprache, die aber manipulativ ist, voller absurder Wortungetüme wie dem eines „linken Konservatismus“, die jegliche eigenständige Reflexion, jegliches selbstständige Nach- und Weiterdenken vereiteln. Das Buch ist voll von schwammigen Begriffen und Formulierungen wie „Gemeinsinn“ oder „Maß und Mitte“, die zweideutig gehalten werden, oftmals einfach nur bestimmte Stimmungen und Assoziationen beim Leser erzeugen sollen, um Interpretationsräume offenzuhalten.

Für nahezu jede postlinke Behauptung Wagenknechts, für viele ihrer rechten „Tabubrüche“ lassen sich im Text problemlos Passagen finden, die diese abschwächen, oder in ihr Gegenteil verkehren. Die kalkulierten Provokationen, die Wagenknecht im Text platzierte, sind somit mit argumentativen Rückzugsoptionen versehen worden, wenn etwa eine Verharmlosung der AfD mit dem Verweis darauf eingeleitet wird, dass man selbstverständlich „den Anfängen wehren“ solle. Die Uneindeutigkeit des Buches verweist eigentlich darauf, dass es auch als eine Provokation konzipiert war. Als ob ein Internettroll ein Buch geschrieben hätte.

Zum Inhalt: Wagenknechts Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der Abrechnung mit einer linksliberalen „Lifestyle-Linken“ und ihrer „Identitätspolitik“ folgt ein bieder sozialdemokratisches, mit nationalliberalen Momenten angerichtetes Gegenprogramm, das eigentlich eine Rückkehr in die idealisierte Bundesrepublik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts propagiert. Diese Orientierung auf den Ordoliberalismus und eine – größtenteils imaginierte – „heile Vergangenheit“ der Wirtschaftswunder-BRD wird mit dem Oxymoron „linkskonservativ“ belegt, womit die Essenz linker Politik, ihre Fortschrittlichkeit, bei Beibehaltung der Worthülse faktisch verworfen wird. Wagenknecht will eigentlich in die BRD vor der 68er-Bewegung zurück, die sie für die Abkehr der Linken von der (deutschen) Arbeiterschaft verantwortlich macht.

Dabei scheint die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Nordrheinwestfalen den Retortenbegriff des Postfaktischen mit Leben zu erfüllen: Marginale Phänomene in der linken Szene, wie eine sozial ignorante und auf Exklusion abzielende Sprachpolizei, werden von Wagenknecht zum linken Mainstream aufgebauscht. Gegen ihre Pappkameraden, gegen diesen Popanz führt sie ihren national-sozialen Kampf, der eigentlich nur die Logik der linksliberalen „Identitätspolitik“ umkehrt: Während Wagenknechts größtenteils imaginierte „Lifestyle-Linke“ die benachteiligten deutschen Lohnabhängigen zugunsten „skurriler Minderheiten“ vernachlässigen solle, will die Autorin sich auf sozial benachteiligte oder marginalisierte Inländer konzentrieren. Aus dieser weitgehend konstruierten innerlinken Frontstellung, die eher bei den Grünen verortet werden kann, erwächst der von Wagenknecht propagierte Widerspruch von inländischen Lohnabhängigen und Ausländern, Migranten und sonstigen Minderheiten.

Die Selbstverständlichkeit linker Politik, den Kampf um soziale Emanzipation mit dem Kampf gegen die Exklusion und Benachteiligung von Minderheiten zu verknüpfen, ist im Buch nicht mehr auffindbar. Stattdessen wird die Konkurrenz zwischen Lohnabhängigen in der BRD und Migranten, Ausländern und sonstigen Minderheiten betont, um als Gegenentwurf eine homogene Gesellschaft zu propagieren. Zuwanderung untergräbt Sozialpolitik – dies ist die Kernaussage dieses nationalsozialen Argumentationsstranges. Dabei greift Wagenknecht auf den neurechten Kulturalismus und den konservativen Werte-Diskurs zurück, da deutsche Kultur und gemeinsame „Werte“ wie Fleiß, Disziplin, Ordnung, Sicherheit das Fundament einer neu-alten nationalen Leistungsgesellschaft bilden sollten. Zudem erfindet Frau Wagenknecht gewissermaßen die falsche Unterscheidung zwischen dem bösen „raffenden“ und dem „guten“ schaffenden kapital neu, indem sie zwischen den Unternehmern, die Unternehmen „groß machen“, und Kapitalisten, die Rendite sehen wollen, unterscheiden will.

Die Krise, in der sich das gesamte Weltsystem befindet, wird in Wagenkenchts Gegenprogramm kaum reflektiert, oder sie wird fehlinterpretiert. Der Klimakrise will Wagenknecht mit einer Verlängerung der Garantiezeiten von Waren begegnen, der Neoliberalismus samt sozialer Ungleichheit, der längst dem Linksliberalismus als zentrales Feindbild Platz machte, ist nichts weiter als Resultat „politischer Weichenstellungen“, der Globalisierung soll mit einer De-Globalisierung und zunehmender Abschottung (zum Schutz der nationalen Industrie) begegnet werden. Um „Leistungseigentum“ zu fördern, sollen Unternehmen in Stiftungen überführt werden. Ansätze sozialdemokratischer Umverteilung sind höchstens bei der Bekämpfung der ausartenden Staatsverschuldung zu finden. Es ist ein opportunistisches Programm, das im Mittelstand und bei Kleinunternehmern auf Interesse stoßen könnte – und dass keinen Juso hinter den Offen hervorlocken würde.

Die Veröffentlichung dieses Buches ging einher mit der üblichen Runde Wagenknechts durch konservative, AfD-nahe und rechtspopulistischen Blätter, die begeistert die Angriffe der konservativen Linken auf Linke mittrugen – und die Wagenknecht einen neuen Aufmerksammkeitsschub verpassten (FAZ, Springers Welt, der Focus, Weltwoche). Wagenknechts politisches Geschäftsmodell, das sie zur bekanntesten Pseudo-Linken Deutschlands machte, beruht aber schon seit der Flüchtlingskrise nicht nur darauf, die Linke in den Massenmedien anzugreifen, um so letztendlich die Diskurshegemonie der Neuen Rechten zu festigen. Ihre national-sozialen Vorstöße richten sich auch an die Teile der Linken, die anfällig sind für die Ideologie der Neuen Rechten. Wagenknecht verpackt rechte Ressentiments in Linke Rhetorik, um die entsprechenden reaktionären Stimmungen in der Linken zu bedienen.

Inzwischen scheint es Wagenknecht bei ihren Machwerken nur noch darum zu gehen, möglichst viele ihrer Genossen auf ihren Weg in die Querfront mitzunehmen. Die Sprache, die Mischung aus linker Regression und verkürzter Kapitalismuskritik, der Rückgriff auf reaktionäre und konservative Diskurse, sie erinnern an das wirre Gerede eines Jürgen Elsässer, als er von Konkret, über die junge Welt und das Neue Deutschland seinen Abstieg in die Wahnräume der Neuen Rechten antrat: Die nationale Identität bezeichnet Wagenknecht als einen „Zivilisationsgewinn“, sie will „Weisheit in den Traditionen“ verorten, die mal wieder an die berüchtigten deutschen Sekundärtugenden erinnern, mit denen auch ein KZ gut betrieben werden könne, wie es ihr Gatte in einem seiner wenigen lichten Momente formulierte: „Anstand, Maßhalten, Zurückhaltung, Zuverlässigkeit oder Treue… Leistungsbereitschaft und Disziplin, Fleiß und Anstrengung, Professionalität und Genauigkeit“

Wie man etwa das „Grenzen Dicht!“ der Neuen Rechten in pseudo-linke Forderungen überführt, macht Wagenknecht im Unterkapitel „Schutzräume“ deutlich, wo die erodierenden Nationalstaaten zu eben diesen erklärt werden, während ein „entscheidender Unterschied“ zwischen dem gegen Afroamerikaner gerichteten Rassismus in den USA und dem deutschen „Unmut über eine wachsende Zahl zugewanderter Hartz-IV-Bezieher“ konstruiert wird. Das Deutsche „Grenzen Dicht!“ sei kein Rassismus, da die Migranten – im Gegensatz zu Afroamerikanern – nicht in dem Migrationsland geboren seien, folglich keine Pflichten übernommen hätten, die einen Anspruch auf Rechte garantierten, und überdies nicht dieselben Werte teilten wie die Inländer. Zudem hätten alle Nationen in ihrer Eigenschaft als Schutzräume das Recht, zu bestimmen, wer dazu gehören solle, und wer nicht.

Somit betreibt die Lieblingslinke der deutschen Rechten selber reaktionäre Identitätspolitik. Das identitäre Angebot, das Wagenknecht ihrer Anhängerschaft hier konkret macht, besteht somit darin, die Forderungen der Neuen Rechten zu übernehmen und eine weitere Abschottung der massenmörderischen Festung Europa zu befürworten, während man zugleich seinen Antiamerikanismus pflegt und sich über den Rassismus in den USA empört. Die Krise spiegelt sich somit indirekt in den Wagenknechtschen Machwerk: Die Nation wird als eine Art Bunker verstanden, in dem man sich abkapselt, in der irrigen Hoffnung, diese so „draußen“ halten zu können.

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