Konkret, 01/2019
Die Diskussion über den sogenannten Migrationspakt zeigt, wie weit der Einfluss der neuen Nazis hierzulande bereits reicht.
Von Tomasz Konicz
Die AfD hat ein Problem: Nahezu alle ihre Forderungen sind mittlerweile von den Parteien der sogenannten Mitte übernommen und im wesentlichen realisiert worden. Die europäischen Außengrenzen sind längst weitgehend dicht. Der braune Pegida-Mob, der in Dresden lautstark forderte, Flüchtlinge müsse man »absaufen lassen«, hinkt nicht nur der »Zeit« hinterher, die kürzlich Pro und Contra der Seenotrettung ernsthaft diskutieren ließ, sondern auch der Realität an der europäischen Südgrenze. Für die toten Flüchtlinge, die sich der Mob wünscht, hat die Abschottungspolitik der EU unter tätiger Mithilfe von bezahlten Foltermilizen, wie der sogenannten libyschen Küstenwache, längst gesorgt.
Was bleibt den braunen Hetzern, wenn ihnen langsam das Material ausgeht? Selbstverständlich muss dann der Wahnsinn noch gesteigert werden. Zum Beispiel durch eine Verschwörungstheorie zum UN-Migrationspakt, die die AfD samt ihrem propagandistischen Umfeld öffentlichkeitswirksam präsentierte. Eine internationale PR-Maßnahme zum Kernthema der öffentlichen Debatte in der Bundesrepublik zu machen – dazu gehörten auch eine gehörige Portion Dummheit und Kooperationsbereitschaft mit den neuen Nazis auf seiten des Mainstream-Journalismus.
Laut AfD und Anhang im Netz handelt es sich beim Migrationspakt um eine Verschwörung, die nichts weniger als die Auslöschung Deutschlands und Europas zum Ziel habe. Der AfD-Politiker Jörg Meuthen sprach von einem »versteckten Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge«, das durch den Migrationspakt realisiert würde. Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative bezeichnen die Konferenz in Marrakesch, auf der der Pakt Mitte Dezember (also nach Redaktionsschluss dieses Heftes) verabschiedet werden soll(te), als »finale Phase unserer Ausrottung«. Es sei ein Komplott der »globalen Eliten«, ersonnen von hinter den Kulissen agierenden »Globalisten« wie George Soros oder der Uno, die eine »Umvolkung« der Länder des Nordens planten, so der Tenor der rechten Medienmeute auf ihren Propagandaportalen und Hass-Netzwerken im Internet.
Beim UN-Migrationspakt handelt es sich um eine reine Absichtserklärung, um eine Gelegenheit für die 192 beteiligten Staaten, das eigene Image aufzupolieren, indem Migranten grundlegende Menschenrechte, der Schutz vor Diskriminierung oder der Zugang zu Sozialleistungen zugesprochen werden. Es handelt sich allerdings um »ein nicht verbindliches Dokument«, wie der Völkerrechtler Helmut Aust erklärt. Die Unterzeichnerstaaten behalten selbstverständlich das Recht, ihre eigene Migrationspolitik zu verfolgen. Dieser sogenannte Pakt wird das Schicksal all jener Just-Publicity-Verträge teilen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf internationaler Bühne geschlossen wurden: Sie sind Material für Sonntagsreden.
Das Erfolgsgeheimnis des UN-Pakts besteht darin, dass der Vertragstext so schwammig formuliert ist, dass alle Unterzeichner aus ihm herauslesen können, was ihren Interessen entspricht. Neben dem Hinweis auf »wirtschaftliche und kulturelle Potentiale« der Migration finden sich Passagen, in denen ein besserer Grenzschutz, die Bekämpfung der Schleuser und erleichterte Abschiebungen unerwünschter Migranten gefordert werden. Den unterzeichnenden Staaten wird ausdrücklich das Recht zugebilligt, zwischen erwünschter und unerwünschter Migration zu unterscheiden.
Gegenüber dem rechten Magazin »Cicero« machte der Jurist Roman Lehner klar, dass der UN-Migrationspakt dazu dienen könne, die »internationale Zusammenarbeit zu stärken, um die Migrationsströme zu steuern, aber auch zu reduzieren«. Es sei an vielen Stellen des UN-Pakts die Absicht formuliert, die Ursachen der Migration zu bekämpfen. Thematisiert werde auch die Notwendigkeit, »im Bereich der Rückkehrmigration zusammenzuarbeiten«. In Wahrheit rühre der »Erfolg« des Migrationspakts aus seiner Unverbindlichkeit, da sich aus »dem Abkommen für den Einzelfall keine konkreten Anleitungen ableiten« ließen, erläuterte Lehner: »Wenn zum Beispiel von Staatensolidarität, also letztlich fairer Lastenverteilung gesprochen wird, dann ist das ein sehr unbestimmter Begriff, den jeder Staat anders verstehen wird.«
Inzwischen sind die neuen Nazis in der Lage, die politische Stimmung in der Bundesrepublik zu prägen. Die absurde Kampagne zum Migrationspakt wurde von der AfD-Führung losgetreten. Ihre Pressekompanie verschickte in Rundmails Propagandamaterial an die – so wörtlich – »lieben Blogger und Social-Mediadisten«, um die Hetzmaschine auf Touren zu bringen. Gefälligkeitsgutachten, Presse-Hand-outs, unkommentierte und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus dem Migrationspakt und Anträge der AfD wurden der Meute im Netz zur Verfügung gestellt.
Zusätzlichen Auftrieb erhielt diese Kampagne aus dem Ausland. Die Weigerung einiger rechtspopulistischer Regierungen, den Vertrag zu unterzeichnen, kam wie gerufen. Bislang haben – neben den USA – Ungarn, Polen, Australien, Österreich, Estland, die Slowakei und Israel die Zustimmung verweigert. In der Schweiz, wo die Rechtspopulisten der SVP längst stärkste Partei sind, wird über eine Beteiligung noch diskutiert.
Die neue Qualität der Kampagne zum Migrationspakt besteht darin, dass der offensichtliche Unsinn, den die rechten Netzwerker verbreiteten, sich problemlos im Mainstream festsetzen und den öffentlichen Diskurs wochenlang dominieren konnte. Bürgerliche Medien und Politiker griffen die Argumentation der AfD auf und verhalfen ihr zu großer Verbreitung. Das gilt vor allem für die Springer-Blätter »Bild« und »Welt«, die als publizistische Propagandaorganisationen der AfD fungierten. In unzähligen Artikeln und Interviews wurde die Verschwörungstheorie der Nazis verbreitet, während der rechte Flügel der CDU zunehmend auf Distanz zur Vertragsunterzeichnung ging.
Bestenfalls hilflos muteten die Bemühungen von Außenminister Heiko Maas (SPD) an, das Hirngespinst der geheimen »Verschwörung« bei der Ausarbeitung des Migrationspakts zu widerlegen, indem er darauf hinwies, dass die Verhandlungsergebnisse regelmäßig veröffentlicht, jedoch kaum beachtet worden seien. Den Kampagnen der AfD lässt sich mit Fakten schlecht begegnen. Für den Faschismus ist die Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit ohnehin Nebensache. Wie weit aber der Einfluss der neuen Nazis hierzulande gediehen ist, zeigt sich an den Reaktionen bürgerlicher Medien, die sich zu Komplizen der faschistischen Mobilisierung machen. Der Vorwurf der Rechten, »Lügenpresse« zu sein, muss die Medienvertreter so hart getroffen haben, dass sie zur Ehrenrettung ihres Berufsstands dazu übergegangen sind, Fake News zu verbreiten.
Tomasz Konicz schrieb in konkret 12/18 über den Faschisten Jair Bolsonaro