Telepolis, 17.06.2018
Der reaktionäre Rand des deutschen Konservatismus sieht seine Zeit gekommen – und greift nach der Macht – Ein Kommentar
Der aktuelle Konflikt um eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik, der die Große Koalition zu sprengen droht, wird von der CSU bewusst geschürt, um nichts weniger als die Machtfrage zu stellen. Unterstützung erfahren die rechten Hardliner innerhalb der CDU/CSU von den reaktionären Teilen der deutschen Funktionseliten – insbesondere vom Springer-Konzern. Die Auseinandersetzung darüber, ob abgelehnte und „papierlose“ Flüchtlinge an deutschen Grenzen abgewiesen werden sollen, bildet somit einen bloßen Vorwand. Es ist eine Phantomdebatte, die aus taktischen Gründen – aufbauend auf der aktuellen Medienhysterie – von dem rechten Rand der CDU/CSU angefacht wurde.
Die Flüchtlingszahlen sind stark rückläufig. In Passau, an der bayrisch-österreichischen Grenze, die laut CSU-Landesfürst Söder durch „Asyltouristen“. überrannt werde, werden 2018 im Schnitt monatlich 150 Grenzübertritte von Flüchtlingen registriert. Im Januar 2016 waren es 23.000 Flüchtlinge, im Oktober 2015 gar 140.000. Insgesamt wurden 2016 noch 111.843 Grenzübertritte gezählt, die sich im Folgejahr auf 50.154 gut halbierten.
Ähnlich verhält es sich mit der Kriminalitätsstatistik, die im krassen Kontrast zur grassierenden Angst vor Ausländerkriminalität steht. 2017 sind im Jahresvergleich rund zehn Prozent weniger Verbrechen erfasst worden, was den stärksten Rückgang seit mehr als 20 Jahren entsprach. Ebenso deutlich gesunken ist die Zahl der weiblichen Mordopfer unter 18 Jahren in den vergangenen 17 Jahren. Die einzig nennenswerte Gefahr für die „innere Sicherheit“ der Bundesrepublik stellt derzeit der potenzielle Rechtsterrorismus dar.
Wieso also die aktuelle Flüchtlingshysterie? Die CSU will anhand des Streits um die Flüchtlingspolitik eine populistische Transformation des deutschen Konservatismus forcieren. Dabei spekulieren die bayrischen Hardliner auf breite Unterstützung aus dem rechten Flügel der CDU. Es handele sich um einen „Aufstand der CSU, es ist die kaum verhohlene Ankündigung, notfalls die Kanzlerin zu stürzen und dafür nach Verbündeten in der CDU Ausschau zu halten“, wie es die Süddeutsche formulierte.
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