Kapital als Klimakiller

Telepolis, 06.06.2018

Der Wachstumszwang der Weltwirtschaft macht eine ressourcenschonende Gesellschaftsordnung nur jenseits des Kapitals möglich

Neueste Veröffentlichungen der Klimawissenschaft bestätigen eine deprimierende Tendenz bei der Erforschung des Treibhauseffekts: Es kommt immer schlimmer als befürchtet. Die pessimistischen Langzeitprognosen zu den Folgen der Erderwärmung, die zuerst vom Mainstream der Klimawissenschaft kaum beachtet wurden, erweisen sich oftmals im Gefolge weiterer Forschungen als zutreffend.

Diesmal scheinen sich die düsteren Prognosen einer Studie des ehemaligen NASA-Wissenschaftlers James Hansen zu erhärten, die noch vor zwei Jahren auf breite „Skepsis einer Reihe von Klimawissenschaftlern“ stieß, wie es die Washington Post formulierte.

Hansens Team hatte auf Grundlage komplexer Computersimulationen prognostiziert, dass das Abschmelzen der Eismassen in den Polarregionen die thermohaline Zirkulation, das „globale Förderband“ von Meeresströmungen, das maßgeblich das globale Klima prägt, zum Erliegen bringen würde.

Prognose eines sprunghaften Klimaumschwungs

Jüngste empirische Forschungen scheinen dieses Szenario zu bestätigen, das einen weitaus schneller ablaufenden, sprunghaften Klimaumschwung prognostiziert. Demnach habe Schmelzwasser bereits das übliche Absinken des kalten salzigen Meerwassers vor der Küste der östlichen und westlichen Antarktis beeinträchtigt.

Dies löse eine positive Rückkopplung in dieser Region aus, bei der das in tiefen antarktischen Meeresschichten verbliebene Warmwasser die riesigen Gletscher der Region immer schneller, quasi sprunghaft abschmilzt. Ein Kipppunkt des Klimawandels scheint in der Antarktis bereits überschritten, deren gigantische Gletscher noch vor wenigen Jahren von der Wissenschaft als relativ klimabeständig angesehen wurden.

Dieses drohende Erliegen der thermohalinen Zirkulation tangiert schon jetzt Europa. Auch der Golfstrom, die Zentralheizung Westeuropas, der vor wenigen Jahren noch als stabil galt, wird jüngsten Forschungsergebnissen zufolge bereits schwächer. Das Strömungssystem habe sich seit den 1950ern um 15 Prozent verlangsamt. Ein Ausfallen dieser Meeresströmung hätte – vorsichtig formuliert – drastische Folgen für Europa.

Man könnte hier von einer Dialektik des Klimawandels sprechen, der gerade nicht graduell, sondern sprunghaft abläuft: Quantitative Veränderungen im komplexen Klimasystem (Anstieg CO2-Niveau) führten somit nach dem Überschreiten eines Grenzwertes zu einem qualitativen Umschlag des gesamten Systems in einen anderen Zustand. Die Folgen für den Zivilisationsprozess – rascher Meeresspiegelanstieg, abrupte Klimaänderung, bislang unbekannte Extremwetterereignisse – wären verheerend.

Und dennoch scheint der Kapitalismus angesichts dieser sich überdeutlich abzeichnenden Klimakatastrophe absolut reformunfähig zu sein. Allen Sonntagsreden, allen „historischen“ Klimagipfeln und Vertragsabschlüssen zum Trotz scheint eine substanzielle Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen illusorisch.
Klimawandel und Neue Rechte

Im Gegenteil: Auch 2017 ist der Ausstoß von Klimagasen – trotz der technischen Fortschritte bei regenerativen Energien – auf ein Rekordniveau angestiegen. Eine geläufige, insbesondere von der Neuen Rechten wiederbelebte Ideologie sieht in der „Überbevölkerung“, vor allem in der Dritten Welt, die Ursache des Anstiegs des Ressourcenverbrauchs.

Die Thesen des liberalen Ideologen Thomas Malthus, der schon Ende des 18. Jahrhunderts den damaligen Pauperismus als eine Folge von Überbevölkerung interpretierte, erfreuen sich angesichts der Flüchtlingskrise erneut großer Beliebtheit.

Ein kurzer Blick auf die Fakten entlarvt die Unhaltbarkeit dieser malthusianischen Thesen. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung produzieren rund 50 Prozent der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen, die verarmte untere Hälfte der Menschheit ist nur für circa zehn Prozent der Emissionen verantwortlich. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung generiert Treibhausgase, die um das 175-fache größer sind als die Emissionen des untersten Zehntels.
Kapital als globale Weltvernichtungsmaschine

Und dennoch ist es keine reine globale Verteilungsfrage, die diesen Abgrund beim Ressourcenverbrauch konstituiert. Das Kapital als gesamtgesellschaftliches Reproduktionsverhältnis macht alle Ansätze zunichte, eine ressourcenschonende Wirtschaftsweise zu etablieren.

Das innerste Wesen des Kapitalverhältnisses bringt zwangsläufig ein ökologisch schlicht selbstzerstörerisches Wirtschaftssystem hervor. Eine nachhaltige Lebensweise ist im Rahmen der gegenwärtigen Produktionsweise schlicht unmöglich.

Als Kapital fungiert Geld, das durch einen permanenten Investitionskreislauf vermehrt, also „akkumuliert“ oder „verwertet“ werden soll. Das Wirtschaftswachstum ist hierbei nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck dieses Vorgangs. Die Akkumulationsbewegung ist aber an eine „stoffliche Grundlage“ in der Warenproduktion gebunden.

Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 ist klar geworden, dass dieser Prozess der Kapitalakkumulation an die Warenproduktion gekoppelt ist – und nicht etwa auf den Finanzmärkten aufgrund reiner Spekulationsprozesse dauerhaft aufrechterhalten werden kann.

Ein Unternehmen investiert in Lohnarbeit, Rohstoffe, Maschinen, Produktionsstandorte, um die dort hergestellten Waren mit Gewinn zu veräußern – wobei die Lohnarbeit die Quelle des Mehrwerts ist. Letztendlich akkumuliert das Kapital immer größere Quanta verausgabter, abstrakter Arbeit in diesem uferlosen Verwertungsprozess. Hiernach wird das vergrößerte Kapital ja nicht „verjubelt“, sondern reinvestiert – in mehr Rohstoffe, Maschinen, etc., um einen neuen Verwertungskreislauf zu starten.

Die scheinbare Rationalität kapitalistischer Warenproduktion dient somit einem irrationalen Selbstzweck – der uferlosen Vermehrung des eingesetzten Kapitals, dessen Substanz die Lohnarbeit bildet als die einzige Ware, die Mehrwert abwerfen kann. Der konkrete Gebrauchswert einer Ware ist somit für das Kapital nur als notwendiger Träger des Mehrwerts von Belang.

Und dies ist ja für jedes Marktsubjekt nur zu vernünftig – niemand investiert sein als Kapital fungierendes Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Es muss sich „lohnen“, Rendite abwerfen.

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entfaltet diese ökonomisch „vernünftige“ Logik ihr verheerendes Potenzial, da mit erfolgreicher Kapitalakkumulation auch die Aufwendungen für den Produktionsprozess – Rohstoffe und Energie – permanent erhöht werden müssen. Das Kapital wird folglich von einem Wachstumszwang angetrieben.

Somit gleicht schon das kapitalistische „Business as usual“ einem Prozess der Verbrennung von immer mehr Ressourcen. Das Kapital muss seinem ureigensten Antriebsgesetz folgend immer größere Mengen an Energie und Rohstoffen „verfeuern“, um seine Akkumulationsbewegung aufrechtzuerhalten. Solange, bis es an seine „äußere Schranke“ stößt, die in der Endlichkeit der Ressourcen des Planeten besteht. Dieser permanente Wachstumszwang dieses Wirtschaftssystems resultiert letztendlich aus dem Wesen des Kapitals.
Zwischenfazit

Das Kapital strebt somit nach einer möglichst hohen „Selbstvermehrung“; es ist Geld, das zu mehr Geld werden will. Dieser „hohle“, selbstbezügliche Prozess ist allen gesellschaftlichen oder ökologischen Folgen seiner beständig anwachsenden Verwertungstätigkeit gegenüber blind. Karl Marx hat bekanntlich für diese gesamtgesellschaftliche Eigendynamik des Kapitalverhältnisses den Begriff des „automatischen Subjekts“ eingeführt.

Automatisch, also selbstbezüglich, weil es, obwohl von den nach größtmöglicher Kapitalverwertung strebenden Marktsubjekten – wenn auch unbewusst „hinter ihrem Rücken“ – hervorgebracht, der Gesellschaft als eine fremde, tendenziell instabile Macht, als ein oftmals krisengeschüttelter „Sachzwang“ gegenübertritt.

Die zusehends schwindenden Ressourcen dieser Welt bilden das immer enger werdende Nadelöhr, durch das sich dieser irrationale Prozess der Kapitalverwertung unter immer größeren Friktionen hindurchzwängen muss. Beide ökologischen Krisenprozesse – die Ressourcenkrise wie die Klimakrise – werden durch diesen Verwertungsprozess, der auf nationaler oder globaler Ebene wie ein automatisch nach Maximalprofit strebendes „Subjekt“ agiert, entscheidend befördert.

Die am Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung ausgerichtete kapitalistische Weltwirtschaft fungiert somit de facto als eine Weltvernichtungsmaschine, bei der die reale, konkrete Welt verbrannt wird, um das blinde Wachstum der Realabstraktion des Werts bis zum Kapitalkollaps zu perpetuieren.

Das Kapital ist somit aufgrund dieser Notwendigkeit permanenter Expansion das logische Gegenteil einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise, die notwendig wäre, um ein Überleben der menschlichen Zivilisation zu sichern.
Produktivitätssteigerung als Brandbeschleuniger

Entscheidend befeuert wird dieser Prozess der Weltverbrennung durch das immer höhere Produktivitätsniveau der kapitalistischen Weltwirtschaft. Es scheint auf den ersten Blick absurd, aber es sind gerade die ungeheuren Produktivitätssteigerungen der spätkapitalistischen Warenproduktion, die zur Eskalation der ökologischen Krise maßgeblich beitragen.

Da die Lohnarbeit die Substanz des Kapitals bildet, nötigen die permanenten Steigerungen der Produktivität den Spätkapitalismus dazu, die „effiziente“ Verschwendung von Ressourcen und Rohstoffen ins Extrem zu treiben.

Wie schon angedeutet: im Rahmen der Kapitalverwertung sind alle ökologischen Ressourcen und Rohstoffe nur als Träger von Wert – also abstrakt menschlicher Arbeit – von Belang. Je höher aber die Steigerung der Produktivität, desto weniger abstrakte Arbeit ist in einem gegebenen Quantum Ware verdinglicht.

Wenn ein Fahrzeughersteller die Produktivität um zehn Prozent bei der Einführung eines neuen Fahrzeugmodells erhöht – was durchaus branchenüblich ist -, dann muss er auch zehn Prozent mehr Autos umsetzen, um bei gleichem Produktpreis die gleiche Wertmasse zu verwerten – oder jeden zehnten Arbeiter entlassen.

Um den Verwertungsprozess des Kapitals aufrechtzuerhalten, müssen daher bei steigender Produktivität entsprechend mehr Waren produziert und abgesetzt werden. Deswegen gilt: Je größer die Produktivität der globalen Industriemaschinerie, desto stärker auch ihr Ressourcenhunger, da die Wertmasse pro produzierter Einheit tendenziell abnimmt.

Ein Versuch, in der kapitalistischen Weltwirtschaft eine ressourcenschonende Produktionsweise einzuführen, ist somit unmöglich – er käme einer Kapitalvernichtung gleich.

Die Produktivitätssteigerung, die eigentlich zur Realisierung einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise unabdingbar ist, wirkt im Kapitalismus als ein Brandbeschleuniger, da hier eine blinde, funktionalistische Rationalität dem irrationalen und an seinen eskalierenden Widersprüchen zugrunde gehenden Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung dienen muss.

Aus diesem durch Rationalisierungsschübe ins Extrem getriebenen Verwertungszwang ergibt sich die besagte Tendenz zur immer weiter beschleunigten effizienten Ressourcenverschwendung.

Dieser wachsende Widerspruch zwischen Produktivkräften und kapitalistischen Produktionsverhältnissen erklärt auch die zunehmenden Tendenzen zur geplanten Obsoleszenz beim Warendesign. Hierunter ist der beabsichtigte Verschleiß zu verstehen, der bei der Konzeption eines Produkts für einen relativ frühen Zeitraum vorgesehen wird.

Es werden beispielsweise Sollbruchstellen eingebaut. Je schneller ein Produkt nach dem Ablauf der Garantie kaputtgeht, desto schneller stellt sich die entsprechende Marktnachfrage ein, die zur Realisierung der Kapitalverwertung notwendig ist.

Der Spätkapitalismus produziert somit buchstäblich für die Müllhalde, um hierdurch der stockenden Verwertungsmaschine neue Nachfrage zu verschaffen. Dies gilt gerade für die IT-Industrie. Inzwischen ist es ja für User kaum noch möglich, selbst die Akkus der aus Aluminium gefertigten Smartphones oder Notebooks selber auszutauschen – während Ansätze zu einem modularen Design in der IT-Branche aufgegeben wurden.

Dabei sind die materiellen und technischen Bedingungen einer ökologischen Wende längst gegeben. Das enorme Produktivitätspotential, das im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise die Umweltzerstörung nur noch weiter beschleunigt, könnte jenseits des Kapitalverhältnisses zur Errichtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beitragen.

Erst wenn die gesellschaftliche Reproduktion nicht mehr dem Selbstzweck der Kapitalverwertung untergeordnet ist, sondern direkt der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse dient, kann eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise errichtet werden.

Beim Kampf gegen den drohenden ökologischen Kollaps geht es somit nicht um einen reaktionären Antiproduktivismus, um eine Rückkehr zu vormodernen Produktionsweisen in archaischen Kommunen. Vielmehr müssten die produktiven Potenzen und technischen Möglichkeiten, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, in einem ungeheuren transformatorischen Akt jenseits des Kapitalverhältnisses zum Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaftsformation verwendet werden.

Die Produktivitätsfortschritte, die derzeit nur die kapitalistische Verbrennung der globalen Ressourcen beschleunigen, würden dann tatsächlich deren Schonung ermöglichen. Es geht letztendlich – auch im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Klimakrise – um die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

Die Überwindung des in seiner Agonie regelrecht Amok laufenden Kapitalverhältnisses stellt somit eine Überlebensfrage der menschlichen Zivilisation dar. Die ökologische Bewegung müsste bei ihrer diesbezüglichen Argumentation somit nicht so sehr an die Moral der Menschen appellieren, sondern an ihren Überlebensinstinkt.

Eine längere Auseinandersetzung mit der ökologischen Schranke des Kapitals leistete der Autor in seinem Buch Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft

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