Wagenknecht unter Druck

Telepolis, 19,10.2017

In der Linkspartei regt sich Kritik an Aussagen der Spitzenkandidatin zur Flüchtlingspolitik im Wahlkampf

Wer hätte das noch für möglich gehalten? In der sogenannten „Linkspartei“ scheint das tatsächlich noch ein paar Linke zu geben! Darauf deuten zumindest die innerparteilichen Auseinandersetzungen hin, die kurz nach den Bundestagswahlen in der Partei ausgebrochen sind. Der Burgfrieden sei vorbei, titelte die parteinahe Zeitung „Neues Deutschland“ (ND), alte Konflikte innerhalb der Partei und Fraktion würden nun wieder offen ausgetragen.

Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht vor allem die Spitzenkandidatin der Linkspartei im Bundestagswahlkampf, Sahra Wagenknecht. Der Frontfrau der Linken, die nach einer turbulenten Fraktionsklausur mit 75 Prozent als Fraktionsvorsitzende wiedergewählt wurde, wird eine zu große inhaltliche Nähe zur neuen Rechten vorgeworfen.

Im Beitrag „Der Rassismus im lafonknechtschen Wagentainment“ rechnete der Soziologe Stephan Lessenich mit eben diesem – so wörtlich – „nationalsozialen“ Kurs ab, bei dem Flüchtlinge gegen marginalisierte Einheimische ausgespielt würden. In seiner Replik auf einen ND-Beitrag Lafontaines, in dem der ehemalige Parteivorsitzende von der „Flüchtlingskanzlerin“ Merkel warnte und Deutsche „am unteren Ende der Einkommensskala“ gegen Flüchtlinge in Stellung brachte, die „mehrere Tausend Euro aufbringen“ können, empörte sich Lessenich über die rechtspopulistischen Ressentiments, die hier von Lafontaine bedient würden:

„Was ist dies für ein Bild? Was soll hier suggeriert werden? Oder richtiger: Was wird hier ganz ausdrücklich gesagt? Dass die gar nicht so armen Ausländer den tatsächlich armen Deutschen die Butter vom Brot nehmen. Dass die, die kommen, gar nicht wirklich bedürftig sind. Und dass diejenigen, die wahres Unrecht erleiden, die Einheimischen sind.“

Stephan Lessenich

Wer Herrn Lafontaines ND-Beitrag beim Wort nehme, der müsse „sich um das Linke an und in der LINKEN ehrlich sorgen“, schlussfolgerte Lessenich angesichts des „nationalsozialen“ Kurses Wagenknechts im Wahlkampf: „Ehrlich gesagt: Man muss beginnen zu glauben, dass auch all die Wagentaines und Lafonknechts in der LINKEN und um die LINKE herum nicht sauer sind, sondern Rassisten.“

Den Vorwurf des Rassismus erhoben auch zivilgesellschaftliche Aktivisten und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus der Basis und dem Umfeld der Partei, die in einem offenen Brief „eine klare Ansage der LINKEN zur Asyl- und Migrationspolitik“ forderten. Die wiederholten Äußerungen Sahra Wagenknechts im Wahlkampf, „stellen den antirassistischen Grundkonsens einer pluralen Linken in Frage“, heißt es in dem Aufruf:

„Sie sind für uns längst mehr als ein Ärgernis. Denn wenn sich Nationalismus und die faktische Ablehnung der Gleichheit aller Menschen ausgerechnet in den Äußerungen derjenigen wiederfinden, die eine linke Partei repräsentieren, dann schwächt das die gesellschaftliche Linke insgesamt. Mehr noch: Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die für Solidarität und gegen rechte Hetze auf die Straße gehen.“

Offener Brief

Linke bestätigt rechte Ressentiments

Tatsächlich scheinen die rechten Sprüche der Linken Wagenknecht, mit denen sie den „antirassistischen Grundkonsens“ verlässt, gerade gesamtgesellschaftlich eine fatale Wirkung zu haben: Sie festigen die rechte Diskurshegemonie beim Thema Flüchtlinge, da hier eine scheinbare „Linke“ die rechten Ressentiments bestätigt, sie somit im öffentlichen Bewusstsein verfestigt.

Nicht umsonst hat die AfD immer wieder Sahra Wagenknecht für ihre Aussagen zur Flüchtlingspolitik gelobt und der Frontfrau der Linken einen Übertritt in die neue Rechte nahegelegt. Es ließe sich gar argumentieren, dass ein großer Teil des wagenknechtschen „Schwarms“ aus Fans in den sozialen Netzwerken gerade aus Anhängern der neuen Rechten besteht, die instinktiv spüren, dass die umstritteneren Äußerungen der „Linken“ Wagenknecht dabei helfen, die rechte Hegemonie im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik zu zementieren.

Dies würde zumindest die Diskrepanz erklären zwischen der großen Popularität Wagenknechts und Lafontaines in den Sozialen Netzwerken und Massenmedien – und deren bescheidenen Wahlergebnissen. Dies gilt nicht nur für die Stagnation bei der Bundestagswahl, sondern auch im „Dehm-Land“ Niedersachsen und bei der Landtagswahl im Saarland, wo Lafontaine ein miserables Ergebnis einfuhr, während die AfD trotz aller rechtspopulistischen Rhetorik des ehemaligen Linksparteivorsitzenden triumphierte.

Und an eben solchen rechten Ausfällen des Duos Lafontaine/Wagenknecht hat es im Wahlkampf wirklich nicht gemangelt. Schon während des Wahlkampfs im Saarland forderte Oskar Lafontaine ausdrücklich „mehr Abschiebungen“, wie es die FAZ formulierte (Wahlergebnis Linke im Saarland: minus 3,2 Prozent, AfD: 6,2 Prozent). Zuletzt fiel der Sozialist auf einer Demonstration in Ramstein mit Ausführungen über eine „unsichtbare Weltregierung“ auf, die „in Wirklichkeit die Geschicke dieser Welt bestimmt“. An solchen Absurditäten lässt sich vielleicht am besten der Zustand der bundesdeutschen Gesellschaft ablesen: Ein Oskar Lafontaine schwadroniert über eine „unsichtbare Weltregierung“ – und es gibt einfach keinen Skandal mehr.

Sahra Wagenknecht hat hingegen mit kaum noch zu überblickenden Äußerungen zur Flüchtlingskrise eindeutig rechtspopulistische Argumentationsmuster aufgegriffen – und dabei evident entsprechende dumpfe Ressentiments bedient.

Unter anderem hatte Wagenknecht die Merkelsche Flüchtlingspolitik für die islamistischen Terroranschläge in Deutschland verantwortlich gemacht, wie auch das Asylrecht als ein bloßes „Gastrecht“ bezeichnet. Hierfür holte sich Wagenknecht Lob von der AfD. Alexander Gauland, der wieder stolz sein möchte auf den Vernichtungskrieg der Wehrmacht, schrieb etwa zu Wagenknechts Gastrecht-Kommentar:

„Es ist erfreulich zu sehen, zu wie viel Realpolitik die Linken manchmal fähig sein können. Ich begrüße die Positionierung der Linken, wenn sie durch Sarah Wagenknecht zur Einsicht gelangen, dass man das Gastrecht in Deutschland durch Missbrauch verwirken kann.“

Alexander Gauland

Viele progressive Aktivisten haben Wagenknecht zudem nicht verziehen, dass sei auf dem Höhepunkt der polizeilichen Repression nach dem G20-Gipfel in Hamburg ihren in den Rücken gefallen ist, indem sie sich (in der Tradition eines Noske) auf die Seite der Staatsmacht stellte. Im Nachhinein hat sich ein Teil der Anschuldigungen der Polizei, mit denen der unverhältnismäßige Eskalationsstrategie im Wahlkampf begründet wurde, als unwahr herausgestellt.

Wagenknechts populistische Wahlkampftaktik ist gescheitert

Dies bedeutet natürlich nicht, dass Sahra Wagenknecht ein verkappter Nazi sei. Mitnichten ist dies der Fall! Wagenknecht hoffte ja gerade, die AfD zu schwächen. Die Strategie, im Wahlkampf nach „rechts zu blinken“, und zugleich sozialpolitisch zu argumentieren, sollte gerade der AfD das populistische Wasser abgraben. Das „Protestpotenzial“, das sich herausbildete, sollte so an die Linke gebunden werden, die rhetorische Versatzstücke des Rechtspopulismus übernahm. Doch offensichtlich ist diese Strategie katastrophal gescheitert.

Viele Wähler entschieden sich, das braune Original anstatt der linken Kopie zu wählen. Die AfD hat die fleißig rechts blinkende Linkspartei bei der Bundestagswahl weit überholt, während innerhalb der Linken selber nun rechtspopulistische Positionen salonfähig geworden sind. Zudem brechen die Ressentiments in der Linkspartei nun offen hervor, viele einfache Parteimitglieder nähern sich AfD-Positionen an, etwa bei der Flüchtlingsfrage.

Eventuell kann damit auch der parteiinterne Erfolg des Duos Lafontaine/Wagenknecht erklärt werden: Sie formulieren die rechten Ressentiments in eine Sprache, die auch in der „Linkspartei“ noch akzeptabel ist, um so die auch dort bestehenden Ressentiments zu bedienen (ähnlich agiert der Populist Boris Palmer bei den Grünen). Deren Anhängerschaft kann nun das Kunststück vollbringen, weiter ihre eingefahrene Identität als „Linke“ zu behalten, und zusätzlich „mehr Abschiebungen“ zu fordern – etwa mit der Begründung, dass es Flüchtlingen in Deutschland sozial schlecht gehe.

Zugleich genießt Wagenknecht, die in der veröffentlichten Meinung dauerpräsent ist, die Unterstützung seitens der Mainstreammedien, wie etwa der Springerzeitung Die Welt. Durch ihre mediale Präsenz verfügt somit eine „linke“ Politikerin, die rechte Sprüche klopft, über einen zuverlässigen Machthebel gegenüber der „Linkspartei“. Die Linke wage es nicht, Wagenknecht „Einhalt zu gebieten“ in der Flüchtlingsfrage, schlussfolgerte korrekt das AfD-Nahe Blatt Welt.de.

Zugleich scheint aber Sahra Wagenknecht – allen guten Absichten zum Trotz – leider auch Opfer ihrer eigenen, populistischen Argumentation geworden zu sein. Die Grenze zu den Rechtsextremisten, die rhetorisch durch ihre Wahlkampfstrategie schon eingerissen wurde, will die Frontfrau der Linken nun auch praktisch abreißen. Die Linke könne mit Teilen der AfD im Bundestag kooperieren, da sie eine „pauschale Ausgrenzung“ der AfD ablehne, erklärte Wagenknecht gegenüber Welt.de. „Ich werde niemanden aus der AfD, der dem Flügel von Björn Höcke angehört, der wirklich Nazi-Positionen vertritt, in irgendeine verantwortliche Position wählen“, sagte Sahra Wagenknecht „mit Blick auf die Aufgabenverteilung etwa im Bundestagspräsidium oder in den Fachausschüssen“ gegenüber der Springerzeitung. Doch bei anderen AfD-Parlamentariern, die nicht zum Höcke-Flügel gehören, wolle sie das nicht ausschließen: „Auch da sollte man sich eben ansehen, wer kandidiert für was und sollte nicht Pauschalurteile abgeben.“

Zu einer Zeit, als selbst die CDU-Führung (noch) eine Kooperation mit der AfD ausschloss, arbeitete die Frontfrau der Linken an der Enttabuisierung der Rechtsextremen im Bundestag. Ein Schlag ins Gesicht für alle Antifaschisten, die Leib und Leben riskieren, um sich der brauen Gefahr in den Weg zu stellen.

Nicht nur ist Sahra Wagenknechts populistische Wahlkampftaktik gescheitert, sie selber scheint von den rechtspopulistischen Ressentiments, derer sie sich nur bedienen wollte, inzwischen infiziert. Dementsprechend sahen die ersten Reaktionen der Spitzenkandidatin auf das bescheidene Wahlergebnis ihrer Partei aus. Man habe es sich in der Flüchtlingsfrage „zu einfach gemacht“, erklärte sie gegenüber Medienvertretern. Damit meinte die neue Fraktionsvorsitzende der „Linkspartei“ wohl, dass man die rechtspopulistische Dosis erhöhen müsste, die Linke solle noch mehr auf den Kurs der AfD einschwingen, noch rechter werden, um wirklich erfolgreich zu sein.

Offene Flanke nach rechts

Wie gesagt, handelt es sich bei Wagenknecht und Lafontaine keinesfalls um irgendwelche Rechte! Auch wenn viele ihrer Ideen durchaus anschlussfähig sind an die Ideologie der Neuen Rechten, wie die verkürzte Kapitalismuskritik mit dem Schwerpunkt auf „Finanzmarktkritik“, die Gegenüberstellung von gutem nationalen und bösem globalen Kapital, und ihr Plädoyer für einen nationalen, kulturell homogenen Staat.

Das gegenwärtige Desaster, das sie angerichtet haben, wird von ihnen nicht wahrgenommen, sie scheinen zur Selbstkritik nicht fähig zu sein. Beide Politiker der Linken befinden sich aber auf einer nach rechts abfallenden, schiefen ideologischen Ebene, was ihnen eine offene Flanke nach rechts verschafft. Sie drohen, zu Rechten zu werden, sich dorthin zu entwickeln – sie sind es aber noch nicht. Als abschreckendes Beispiel sei hier etwa auf den ehemaligen Linken Jürgen Elsässer verwiesen, der inzwischen das rechtsextreme Kampfblatt Compact herausbringt.

Zudem muss bedacht werden, dass Sahra Wagenknecht selber ausführte, in ihrer Jugend Opfer fremdenfeindlicher Ressentiments geworden zu sein. „Ich sah fremdländisch aus, Kinder haben mich gehänselt“, erzählte die Linkspolitikerin Welt.de. Dies kann tatsächlich halfen, das Verhalten zu verstehen – aber wohl anders, als von der Frontfrau der Linkspartei intendiert. Aus solch einer Erfahrung kann man zwei grundverschiedene Konsequenzen ziehen: Entweder man opponiert fortan gegen Ausgrenzung und Marginalisierung von Minderheiten. Oder man bemüht sich, künftig immer schön zur „Mehrheit“ zu gehören, um nie wieder Teil einer Minderheit zu werden.

Das Tragische an diesem Elend innerhalb der Linkspartei besteht aber vor allem darin, dass es gesamtgesellschaftlich ausstrahlt. Eine linke Partei ist ja eigentlich kein Selbstzweck, sondern Mittel zur fortschrittlichen Veränderung der Gesellschaft. Derzeit wirkt die „Linkspartei“ wie ein politisches Oxymoron, das einem bizarren Monty-Python-Sketch entnommen zu sein scheint.

Wenn sich nun innerhalb der Linken, die eigentlich den Oppositionspol zur gegenwärtigen Rechtsentwicklung bilden müsste, eindeutig rechte, „nationalsoziale“ (Lessenich) Strukturen verfestigen sollten, dann scheint der drohenden reaktionären Hegemonie in der Bundesrepublik kaum noch etwas im Wege zu stehen. Selbst eine Volksfront-Strategie, bei der die Linke als Kern einer breiten, antifaschistischen Abwehrfront agieren würde, scheint kaum mehr machbar, wenn rechte Ressentiments in der Linken gepflegt werden.

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