Neues Deutschland, 02.09.2017
Zerstörung in Texas durch den Hurrikan ist auch auf die neoliberale Wirtschaftspolitik zurückzuführen
Der Nationale Wetterdienst der USA war nicht mehr in der Lage, die Regenmassen, die der Hurrikan »Harvey« über Südosttexas niedergehen ließ, mit den üblichen Methoden adäquat darzustellen. Er musste das Farbspektrum der Wetterkarten erweitern, um die historisch beispiellosen Niederschlagsmengen sinnvoll zu visualisieren. In einigen Regionen des Ballungsraums Houston, in dem nahezu sieben Millionen Menschen leben, gingen in den vergangenen Tagen 1250 Liter Regen je Quadratmeter nieder. »Harvey« hat die bisherigen US-weiten Rekorde für extreme Regenereignisse gebrochen.
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Die Genese dieser Flutkatastrophe kann nachvollzogen werden: Der Hurrikan ist nach seinem Auftreffen auf die Küste von Texas nicht wie üblich landeinwärts gezogen, sondern rotierte weiter, ohne sich nennenswert zu verlagern. Der Sturm konnte somit an seiner südlichen Flanke immer neue Wassermassen aus dem Golf von Mexiko aufnehmen, die dann über Texas niedergingen. Die Überflutungen waren so stark, dass das Areal selbst durch Verdunstung »Harvey« neue Feuchtigkeit zuführte – eine »Regenmaschine«, so das Wissenschaftsmagazin »Scientific American«. Nun wird unter Meteorologen diskutiert, ob solche Konstellationen künftig über längere Zeiträume auftreten könnten.
Das extreme Wetterphänomen weist alle Züge des Klimawandels auf, wie sie für die Region prognostiziert wurden. Das Wasser im Golf von Mexiko hat sich, wie anhand von Klimamodellen erwartet, deutlich erwärmt, was die Verdunstungsmenge erhöht und Hurrikans mehr Feuchtigkeit zuführt. Zudem sollen sich durch den starken Temperaturanstieg in der Arktis die Jetstream-Winde in der Nordhalbkugel verlangsamen, was die Abwanderung von Hurrikans ins Landesinnere und damit deren schnelle Abschwächung erschweren würde. Generell gilt, dass in einem wärmeren Klima die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann und Starkregenereignisse zunehmen – ihre Anzahl hat weltweit bereits zugenommen. Hurrikans werden somit nicht unbedingt häufiger auftreten, aber mit höherer Intensität.
Fast eine Woche nach Eintreffen von »Harvey« in Texas wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Auf rund 90 Milliarden US-Dollar sollen sich die wirtschaftlichen Folgen laut ersten Schätzungen allein im Großraum Houston summieren, wo 80 Prozent der Haushalte und Firmen keinerlei Flutversicherung haben. Hinzu kommt der Umstand, dass viele der zerstörten, hochwertigen Wohnimmobilien mit Hypotheken belastet sind, sodass der US-Finanzsektor sich mit einer neuen Hypothekenkrise konfrontiert sehen könnte.
Gerade im Großraum Houston, einer Bastion der marktradikalen Republikaner, können nun die desaströsen Folgen jahrzehntelanger neoliberaler Wirtschaftspolitik studiert werden. Zum einen ist es das Fehlen essenzieller Regeln wie Bauvorschriften, die mit zu den immensen Schäden in der Region beigetragen haben. Viele Häuser wurden in Überflutungsflächen errichtet, da es keinerlei gesetzliche Regelungen gab, die dem einen Riegel vorschieben würden. Houston gehört zu den wenigen Großstädten in den USA, die keine urbane Flächennutzung durchsetzen – der Markt soll es regeln.
Dies hat neben dem spekulationsbefeuerten Immobilienbau in idyllischen, aber überflutungsgefährdeten Gebieten andere weitreichende Folgen: Die Versiegelung des Bodens durch die Bebauung wurde so stark betrieben, dass Flutwasser nur noch schlecht versickern kann. Zugleich sind das für Springfluten anfällige Straßennetz und der kaum vorhandene öffentliche Nahverkehr unzureichend, um eine geordnete Evakuierung der Bevölkerung durchführen zu können. Deswegen habe er diese nicht angeordnet, erklärte Houstons Polizeichef Art Acevedo gegenüber dem Nachrichtensender MSNBC. Die eine Hälfte der Bevölkerung habe sich geweigert, die andere wäre nur im Stau festgesessen, da die Straßen schnell überflutet wurden. Mit anderen Worten: Im Ernstfall sitzt die Bevölkerung Houstons fest.
Zudem offenbart »Harvey« – ähnlich wie im August 2005 der Wirbelsturm »Katrina«, der vor allem New Orleans hart traf – den maroden Zustand der US-Infrastruktur. Dämme, die eigentlich das Stadtzentrum von Houston vor Überflutungen schützen sollten und wegen drohender Brüche geöffnet werden mussten, stammen noch aus den 1930er Jahren – aus der Hochzeit des »New Deals« von Präsident Franklin D. Roosevelt. Schon 2009 wurden sie bei einer Überprüfung als »extrem anfällig« qualifiziert, doch der öffentlichen Hand fehlte schlicht das Geld, um die Instandsetzung in Angriff zu nehmen.
»Harvey« macht deutlich: Das Ausmaß der Zerstörung durch eine Naturkatastrophe wird nicht nur durch deren Intensität, sondern auch durch den Zustand der betroffenen Gesellschaft bestimmt. Das Kapital ist bei Klimakatastrophen inzwischen sowohl bei deren Ursache als auch deren Folgen ein Faktor. Während der Neoliberalismus die Krisenanfälligkeit der spätkapitalistischen Gesellschaften erhöht, sabotiert der uferlose Wachstumszwang alle Bemühungen um eine substanzielle Reduzierung der Treibhausgasemissionen.