Neues Deutschland, 24.06.2013
US-Notenbank will Staatsanleihenaufkäufe reduzieren, das sorgt für Turbulenzen an einigen Märkten
Viele Schwellenländer befürchten einen Abfluss von US-Kapital aus ihren Märkten. Das lässt die Kurse purzeln.
Mit wenigen Worten hat US-Notenbankchef Ben Bernanke die Finanzmärkte der meisten Schwellenländer in schwerste Turbulenzen geführt. Vergangenen Donnerstag kündigte Bernanke an, die Gelddruckerei »später im Jahr« verringern zu wollen, die die Fed mittels der Aufkäufe von Staatsanleihen (Quantitative Easing) betreibt. Mit der zusätzlichen Liquidität von derzeit rund 85 Milliarden US-Dollar monatlich sollen die Kreditvergabe und somit die Wirtschaft der USA stimuliert werden.
Obwohl Bernanke den historisch niedrigen Leitzins vorerst beibehalten will, reichte allein die Ankündigung einer reduzierten Gelddruckerei aus, um den ohnehin angeschlagenen Schwellenländern einen »Schlag« zu verpassen, wie es das Wirtschaftsmagazin »Businessweek« auf seiner Internetpräsenz formulierte. Keine Wirtschaftsregion wurde von der Ankündigung stärker getroffen als die der Schwellenländer, so das Wirtschaftsblatt, das auf massive Kurseinbrüche in diesen Märkten hinwies: »Sieben der sich am schlechtesten entwickelten Aktienmärkte befinden sich in diesen Entwicklungsländern.«
Neben den massiven Einbrüchen an den Börsen, die laut dem Emerging Markets Bond Index der Investmentbank JPMorgan binnen kurzer Zeit ein Minus von 7,4 Prozent verzeichneten, werteten auch die meisten Währungen massiv ab: Die türkische Lira, der südafrikanischen Rand und die indische Rupie haben neue Tiefststände gegenüber dem Dollar erreicht. Schließlich stieg auch die Zinslast der Staatsanleihen der meisten Schwellenländer rasch an.
Genau vor diesem Anstieg der Refinanzierungskosten hatte Weltbankchef Jim Yong Kim kurz vor der Rede Bernankes gewarnt: »Sie steigen dann auch für Schwellenländer. Und das ist wirklich eine Sorge.« Damit drohen viele der aufstrebenden Volkswirtschaften in der Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems in die Schuldenfalle zu geraten. Die weit geöffneten Geldschleusen der Fed haben nämlich den Boom in den Schwellenländern in den vergangenen Jahren massiv befördert, da anlagewilliges Kapital auf der Suche nach höheren Renditen in diese Volkswirtschaften strömte. Die Kapitalzuflüsse in die Schwellenländer seien seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers von vier auf acht Billionen US-Dollar angeschwollen, erläuterte die Zeitung »The Telegraph«.
Das Wachstum vieler aufstrebender Volkswirtschaften wie Brasilien, Türkei oder Südafrika wurde somit maßgeblich von diesen Kapitalzuflüssen – und den korrespondierenden Verschuldungsprozessen – befeuert. Allein in der Türkei stehen Verbindlichkeiten im Umfang von rund 25 Prozent des BIP in diesem Jahr zur Refinanzierung an. Doch nun führt die drohende Zinswende der Fed zu massiven Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern in die USA. Dieser Prozess ist längst in Gang gekommen – er wird durch die Ankündigung Bernankes aber entscheidend verstärkt. Die Fed habe nun »die Büchse der Pandora geöffnet«, warnte ein Wirtschaftsanalyst gegenüber »Businessweek«. Binnen weniger Wochen seien in Antizipation der US-Zinswende bereits Dutzende Milliarden US-Dollar aus Aktien- und Investitionsfonds in Schwelleländern abgezogen worden. Die Ausmaße dieses Aderlasses in der Semiperipherie werden an der durchschnittlichen Entwicklung der Aktienindizes in dieser Wirtschaftsregion deutlich, die laut »Welt«-Online inzwischen 20 Prozent unter der in den Industrieländern liege.
Dabei rufe die derzeitige Situation Erinnerungen an die frühen 80er Jahre zurück, als der damalige Fed-Chef Paul Volcker mit massiven Zinserhöhungen die Schuldenkrise in großen Teilen Lateinamerikas entfachte. »Jede Explosion der Märkte in den Schwellenländern, die ich gesehen habe, wurde von einem Anstieg des Dollars eingeleitet,« erklärte ein Finanzanalyst der Société Générale gegenüber »The Telegraph«. Die Märkte hätten die Anfälligkeit der Schwellenländer für »Dollar-Schocks« übersehen. Nun würden die Märkte aber nach dem »schwächsten Glied mit dem größten Leistungsbilanzdefizit Ausschau halten, und dann werden die Dominosteine fallen.«