Junge Welt, 19.02.2013
Euro-Krise lähmt deutsche Exporte. Wirtschaftsleistung mit stärkstem Einbruch seit 2009. Außenhandel außerhalb der EU verliert an Tempo
Bisher schien die Bundesrepublik gut vor den Verwerfungen in Europa abgeschirmt zu sein. Die Ende vergangener Woche veröffentlichten Konjunkturdaten des Statistischen Bundesamtes deuten jedoch an, daß es damit bald zuende sein könnte. So schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vierten Quartal 2012 um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal und verzeichnete damit ein Minus in derselben Höhe wie der gesamte Euro-Raum. Einen derart starken Einbruch gab es in der BRD seit dem ersten Quartal 2009 nicht mehr.
Die Industrie hat ihr Produktionsvolumen in den letzten vier Monaten von 2012 um drei Prozent verringert, bei der Autobranche waren es sogar acht Prozent. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnete die Bundesrepublik hingegen noch ein minimales BIP-Wachstum von 0,1 Prozent.
Das Minus gegenüber dem Vorquartal fiel stärker aus als von den meisten Wirtschaftsforschungsinstituten prognostiziert. Angefacht wurde der Abschwung durch einen Rückgang der »Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) erläuterte, und einem deutlichen Einbruch der Exporte. Im vergangenen Dezember gaben die Ausfuhren der Bundesrepublik um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum nach. Das Exportvolumen lag im März mit rund 85 Milliarden Euro bereits deutlich unter dem Rekordwert von 94 Milliarden vom März 2011. Somit schrumpfte das deutsche Exportvolumen auf den niedrigsten Wert seit dem August 2010, bemerkte der Wirtschaftsblog Querschüsse.de. Die Reduzierung der Ausfuhren habe sich laut Querschüsse.de zum Jahresende überdies ungemein beschleunigt, da diese im November nur um 0,1 Prozent geschrumpft seien.
Noch Ende Januar haben viele deutsche Leitmedien und Wirtschaftsinstitute weiter an der Mär von der andauernden Immunität der Bundesrepublik gegenüber der Euro-Krise gestrickt. Der auf Managerumfragen beruhende IFO-Index des gleichnamigen Instituts in München, der als wichtiger konjunktureller Frühindikator gilt, kletterte im Januar zum dritten Mal in Folge von 102,4 Punkten auf 104,2 Punkte. »Die deutsche Wirtschaft startet hoffnungsvoll ins neue Jahr«, kommentierte IFO-Chef Hans-Werner Sinn. Ähnlich optimistisch waren Deutschlands »Finanzexperten«, deren Konjunkturerwartungen die Grundlage des ZEW-Index (Zentrum für Europäische Wirtschaftforschung) bilden. Dieser ist im Januar mit 31,5 Punkten auf den höchsten Wert seit Mai 2010 geklettert.
Da immer weniger Exporte in die Euro-Zone gehen, sei die BRD überdies gerade dabei, sich von seinen Nachbarstaaten zu »emanzipieren«, tönte Welt-Online noch am 8. Februar. Gingen 1991 noch 51,6 Prozent aller Ausfuhren in die Länder der heutigen Euro-Zone, so seien es 2012 nur noch 37,5 Prozent gewesen. Der Anteil der Länder außerhalb der EU an den Ausfuhren der BRD stieg parallel von 35,4 Prozent 2007 auf 43 Prozent 2012.
Die deutsche Exportwirtschaft setzt auch weiterhin auf eine Forcierung ihres Außenhandels außerhalb der krisengeschüttelten EU: »Die Exporte in Länder außerhalb Europas werden auch 2013 die deutsche Konjunktur ankurbeln«, erklärte der BDI-Außenwirtschaftsexperte Oliver Wieck gegenüber Welt-Online. Ähnlich optimistisch argumentierte die Bundesregierung in einer Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums: »Die Perspektiven hellen sich allmählich auf. Die Frühindikatoren deuten auf ein absehbares Ende der aktuellen Schwächephase hin.«
Dennoch geht die Strategie der Berliner Wirtschaftspolitik kaum noch auf. Dies ist vor allem auf die dramatischen Folgen der europäischen Kürzungspolitik zurückzuführen. So brachen deutsche Ausfuhren in die Länder der Euro-Zone im Dezember um satte 7,3 Prozent ein. Die Bundesregierung hat somit mittels der europaweit durchgesetzten Kahlschlagspolitik den weiterhin wichtigsten Exportmarkt ihrer Industrie trockengelegt. Inzwischen scheint nicht einmal die außereuropäische Exportoffensive mehr auszureichen, um die enormen Einbrüche in Europa zu kompensieren. In den meisten Nachbarländern vertieft sich die Rezession mit jedem neuen Sparpaket, die Arbeitslosenquoten erreichen immer neue Höchststände. In der Euro-Zone wurde im Dezember eine Erwerbslosenquote von 11,7 Prozent verzeichnet. Inzwischen haben nicht nur die südeuropäischen Peripheriestaaten mit BIP-Einbrüchen zu kämpfen, sondern auch die Niederlande oder Frankreich, immerhin der wichtigste Exportmarkt der BRD.
Zudem werden Ausführen außerhalb der EU nicht mehr im bisher gewohnten Tempo wachsen können. So schwächt sich die Konjunktur in den Vereinigten Staaten nach den Präsidentschaftswahlen merklich ab: Die US-Wirtschaft ist bereits im dritten Quartal 2012 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschrumpft, obwohl die meisten Prognosen noch von einem Wachstum von mehr als einem Prozent ausgingen. Die deutsche Exportindustrie konnte 2012 gerade von dieser Wahlkampfkonjunktur massiv profitieren und neue historische Exportrekorde in den USA erzielen. Einzig die weiterhin stabile Konjunkturentwicklung in China und Fernost dürfte einen Absturz 2013 verhindern.
Schließlich stößt auch die von der BRD praktizierte »beggar-thy-neighbour-Politik«, bei der die Erzielung möglichst hoher Handelsüberschüsse zulasten anderer Staaten als Konjunkturtreibstoff wirkt, immer stärker an ihre Grenzen. Ohne den enormen konjunkturellen Effekt des Leistungsbilanzüberschusses in Höhe von 166 Milliarden Euro wäre Deutschland bereits 2012 in einer Rezession versunken. Die Auseinandersetzungen um Währungsabwertungen und einen drohenden globalen Währungskrieg, wie sie etwa den jüngsten G20-Gipfel in Moskau prägten, resultieren gerade aus dem Bemühen weiterer Industriestaaten wie Japan, dem Berliner Beispiel zu folgen.