„Junge Welt“, 27.10.2012
Frust über etablierte Parteien in der Ukraine ist groß, und so gibt’s zur Parlamentswahl reichlich Geschenke. Boxweltmeister Klitschko avanciert zum neuen Hoffnungsträger der Opposition
Am Sonntag wird in der Ukraine ein neues Parlament gewählt. Die Oligarchie des Landes gab sich in den vergangenen Wochen generös und äußerst spendierfreudig. In vielen Distrikten der Ukraine ähnele der Wahlkampf zusehends dem Weihnachtsfest, kommentierte die Zeitung Kyiv Post die um sich greifenden Tendenzen zum offenen Stimmenkauf. Viele Kandidaten, die es sich leisten können, vergaben großzügig Geschenke an ihre potenziellen Wähler. So konnten sich etwa die Rentner im Oblast Donezk über Essenspakete freuen – inklusive einer Flasche Wodka. In der Hauptstadt Kiew verteilte ein Kandidat Sektflaschen mit seinem Konterfei, während Jungwähler in der Ostukraine sich über USB-Speicherkarten freuen konnten, die eine Kandidatin unters Volk warf. Selbstverständlich seien auch Geldzahlungen für das Kreuzchen an der richtigen Stelle üblich, wobei die Kurse in letzter Zeit ziemlich in den Keller gegangen sind: Umgerechnet fünf bis 50 Euro müssen die künftigen Parlamentarier für eine Stimme investieren. Dieser Preiseinbruch liegt nicht zuletzt an einer internetgestützten Professionalisierung des »Wählermarktes«, wie der Wahlbeobachter Oleksand Chernenko gegenüber der Kyiv Post ausführte. »Die Leute bieten ihre Stimmen zum Verkauf in speziellen Gruppen in den sozialen Netzwerken an.«
Dieser ungezwungene und offene Umgang mit dem Warencharakter bürgerlicher Politik resultiert vor allem aus der Diskreditierung nahezu des gesamten politischen Spektrums in der Ukraine. Die ausufernde Korruption und die andauernden oligarchischen Machtkämpfe um Pfründe und Einfluß haben das Vertrauen in die Regierungsparteien wie die etablierte Opposition um die inhaftierte ehemalige »Gasprinzessin« Julia Timoschenko restlos zerstört. Vielen Wählern sind die Geschenke und Geldüberweisungen im Vorfeld der Abstimmung offensichtlich wichtiger als die vielen Wahlversprechen, die später ohnehin gebrochen werden.
Von diesem weitverbreiteten Wähler-Frust kann mit Vitali Klitschko ein politischer Export aus Deutschland profitieren, der sich zu einem regelrechten Hoffnungsträger gemausert hat. Der Boxweltmeister kann mit seiner neu geformten Partei »Udar« (Schlag) auf den zweiten Platz bei der Wahl der 450 Abgeordneten der Werchowna Rada hoffen. Prognosen zufolge könnte sie aus dem Stand rund 16 Prozent der Stimmen erhalten. Damit liegt Klitschkos Udar knapp vor dem Wahlbündnis »Batkiwschina« (Vaterland) um die inhaftierte Julia Timoschenko, das auf einen Zuspruch von rund 15 Prozent zählen kann. Die meisten Stimmen dürfte bei dieser Wahl aber weiterhin die »Partei der Regionen« von Präsident Viktor Janukowitsch auf sich vereinigen. Gut 23 werden dieser Organisation der ostukrainischen Oligarchie prognostiziert. Die mit der Partei der Regionen kooperierenden Kommunisten, die seit 2010 die von Janukowitsch ernannte Regierung von Premier Mykola Asarow tolerieren, können immerhin mit bis zu 13 Prozent rechnen. Aussicht auf einen Einzug ins ukrainische Parlament hat mit vorausgesagten sechs Prozent überdies die rechtsextreme Vereinigung »Swoboda«.
Klitschko, der sich als Korruptionsbekämpfer zu profilieren sucht, tritt für eine entschiedene Westorientierung der Ukraine ein. Er ist klug genug, eine klare Distanz zum Oppositionslager um die diskreditierte Julia Timoschenko zu wahren und auf offizielle Wahlabsprachen zu verzichten. Die meisten Beobachter gehen davon aus, daß seine Partei nicht mit in die Regierung gehen wird, um ihren Vorsitzenden als Oppositionsführer und Janukowitsch-Herausforderer für die Präsidentschaftswahlen 2015 in Stellung zu bringen. Dies wäre ein schöner Erfolg für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die sich der Unterstützung Klitschkos und dessen »Udar« als einer konservativen »Programmpartei nach deutschem Vorbild« ganz offen auf ihrer Internetseite rühmt. Bei einer Visite bei der CDU-nahen Einrichtung Anfang 2011 versprach der Boxchamp, daß seine »Udar« im Fall der Machtübernahme das Ziel verfolge, »die Ukraine so schnell wie möglich in die EU zu integrieren«.
Während die prowestliche Opposition mit tatkräftiger deutscher Hilfe reanimiert wird, bemüht sich Janukowitsch angesichts der angespannten Wirtschaftslage, die Beziehungen zu Rußland zu verbessern. Beim Staatsbesuch am Montag ging es vor allem um das wichtigste Streitthema zwischen Moskau und Kiew – um den hohen Gaspreis, der bei 240 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter liegt. Janukowitsch bemüht sich seit seinem Amtsantritt, bessere Konditionen vom Kreml zu erhalten. Doch Rußland beharrt darauf, daß Preisnachlässe nur bei einem Eintritt der Ukraine in eine Zollunion mit Rußland, Belarus und Kasachstan denkbar wären. Die ostukrainische Oligarchie, die hinter der »Partei der Regionen« steht, wollte sich bislang hingegen trotz aller Differenzen mit Brüssel die Option einer stärkeren Kooperation mit der EU nicht nehmen lassen. Der Kreml dagegen möchte den gemeinsamen »postsowjetischen« Wirtschaftsraum langfristig zu einer Alternative zur krisengeplagten EU aufbauen und ist auch bereit, sich dieses Unterfangen etwas kosten zu lassen: »Tritt der Zollunion bei, und morgen wirst du Gas für 160 US-Dollar erhalten«, so faßte Anfang Oktober der ukrainische Ministerpräsident Asarow nach Gesprächen mit dem Kreml die russische Verhandlungsposition zusammen.