„Junge Welt“, 19.09.2012
Zypern balanciert am Rande der Pleite und erwartet erneut Hilfe aus Rußland. Eine verständliche Hoffnung, denn die Krise berührt dessen Kapitalinteressen stark
Rußland soll es wieder richten. Um einen Staatsbankrott abzuwenden, beantragte Zyperns Präsident Dimitris Christofias Mitte Juni einen weiteren Kredit aus Moskau. Doch dort will man Nikosia diesmal anscheinend ein wenig zappeln lassen. Seine Behörde habe noch keine definitive Entscheidung darüber getroffen, erklärte der russische Finanzminister Anton Siluanow am 12. September. Damit widersprach er einem Bericht der Zeitung Politis, wonach der Kreml das Darlehen in Höhe von fünf Milliarden Euro bereits genehmigt habe. Ende 2011 hatte Zypern einen ersten russischen Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zum günstigen Zinssatz von 4,5 Prozent erhalten. Damit sollte der bereits 2011 drohende Staatsbankrott des Euro-Mitgliedslandes abgewendet werden. Doch die Wirtschaftslage des Mittelmeerlandes verschlechterte sich weiter, das Haushaltsdefizit stieg. Finanzminister Vassos Shiarly erklärte Anfang September, ohne weitere »Sparanstrengungen« werde das Minus dieses Jahr auf 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) steigen. Prognostiziert waren 2,5 Prozent.
Diese Zuspitzung ist hauptsächlich der Rezession geschuldet, die das Land seit Mitte 2011 im Griff hält. In diesem Jahr wird die Wirtschaftsleistung voraussichtlich um 1,5 Prozent schrumpfen. Parallel dazu bricht die Binnennachfrage ein. Die ersten »Sparpakete« (z.B. Erhöhung der Mehrwertsteuer von 15 auf 17 Prozent) der »kommunistischen« Regierung wirken wie in den anderen Krisenstaaten. Hinzu kommt Arbeitslosigkeit, jahrelang ein Fremdwort auf der Insel. Jetzt ist sie auf mehr als zehn Prozent geklettert – bei Jugendlichen sogar auf 25 Prozent.
Ähnlich wie Spanien hat Zypern mit den Folgen einer geplatzten Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt zu kämpfen. Der Finanzsektor des Landes war völlig überdimensioniert und hatte diese Entwicklung maßgeblich befeuert. Wie in Irland war Steuerdumping das Lockmittel, um Kapital ins Land zu bringen. Niedrige Abgaben für Unternehmen von nur zehn Prozent zogen vor allem Banken und Fonds an. Die Bilanzsumme des Sektors belief sich mit 150 Milliarden Euro auf das Neunfache des BIP. Dieser finanzkapitalistische Wasserkopf bescherte dem Land bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine rasante Entwicklung.
Besonders hart wurden Zyperns Banken durch den Schuldenschnitt in Griechenland getroffen. Allein die Kredite zyprischer Finanzinstitute an den klammen Schwesternstaat übersteigen mit 24 Milliarden Euro das BIP Zyperns, das bei 19 Milliarden Euro liegt. Die Banken müssen nun Verluste in Höhe von 4,2 Milliarden Euro verkraften und wollen gerettet werden. Doch der Staat ist dazu nicht in der Lage, bei Kreditaufnahme an den Finanzmärkten sind für Nikosia Zinsen von bis zu 16 Prozent fällig – eine Umschreibung für fiskalpolitischen Selbstmord.
Neben Moskau will Nikosia auch den Euro-Krisenmechanismus ESM anzapfen. Mit den von dort erhofften rund zehn Milliarden Euro soll ausschließlich der Finanzsektor aufgepäppelt werden. Das Kalkül von Präsident Christofias ist klar: Mit der Begrenzung der EU-Krisenhilfe auf die Banken sollen drakonische Kürzungsauflagen à la Athen vermieden werden. Und mit Moskaus Geld soll der Etat saniert werden.
Zumindest im letzteren Falle könnte dieser Plan aufgehen. Christofias, der in den 70ern in Moskau studiert hat und fließend russisch spricht, verfügt über beste persönliche Kontakte zum Kreml. Entscheidend für Rußlands »Freigiebigkeit« dürfte die Funktion Zyperns als Steueroase für die Moskauer Staatsoligarchie sein. Ein großer Teil des Finanzkapitals, das durch Zypern geschleust wird, ist russischen Ursprungs. Das hat merkwürdige Folgen: So mutierte die Insel 2001 mit rund 20 Prozent aller Direktinvestitionen zum größten ausländischen Investor in der Russischen Föderation. Zwischen 2007 und 2010 sollen die 800000 Zyprioten im größten Flächenstaat der Erde eine derart rege Investitionstätigkeit entfaltet haben, daß der Kapitalzufluß auf umgerechnet 41,7 Milliarden US-Dollar stieg. Dieser Wert überstieg die deutschen Investitionen im selben Zeitraum um das 2,7fache.
Es sind zumeist russische Petro- und Gasdollar. Die günstigen Steuern in Zypern werden ausgenutzt, und in Form »ausländischer« Direktinvestitionen fließt das Geld zurück. Längst hat sich auch eine große und wohlhabende russische Minderheit häuslich auf der Insel eingerichtet. Und die steckt eine Menge Geld in diverse Geschäfte. So will der Kreml nicht zuletzt an der Erschließung von kürzlich vor der zyprischen Küste entdeckten Gasfeldern beteiligt werden.
Diese enge Kooperation wird in Brüssel und Berlin nicht gern gesehen. Kurz nach Bekanntwerden des Hilfsantrags an Moskau polterte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, einige Krisenstaaten würden immer wieder »Ausreden« suchen, um den mit »internationalen Hilfsprogrammen verbundenen Auflagen auszuweichen« (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Die EU sei »besorgt über das enge Verhältnis von Zypern und Rußland«, kommentierte Günter Seufert von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Zeitungsinterview. Moskau versuche, »durch seine Nähe zu Zypern einen Fuß in die europäische Energiepolitik zu bekommen«.