„Junge Welt“, 10.07.2012
Rumänien: Amtsenthebungsverfahren gegen neoliberalen Präsidenten. Westliche Regierungen »besorgt«
Rumäniens Präsident Traian Basescu wird sich am 29. Juli abermals einem Referendum stellen müssen, nachdem das Parlament am vergangenen Freitag ein Amtsenthebungsverfahren gegen den konservativen Staatschef einleitete. Mit 256 Befürwortern einer Absetzung des Präsidenten in den beiden Kammern des rumänischen Parlaments konnte die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (PSD) und Nationalliberalen (PNL) bei der entscheidenden Abstimmung die erforderliche Mehrheit von 217 Stimmen weit übertreffen. Bis zum Referendum, bei dem die Mehrheit der Wähler dieses Votum des Parlaments bestätigen muß, wird Senatspräsident Crin Antonescu (PNL) das höchste Staatsamt kommissarisch leiten.
Westliche Regierungen reagierten »besorgt« auf die Vorgänge in Bukarest. Die Bundesregierung äußerte scharfe Kritik an dem Amtsenthebungsverfahren, in dessen Verlauf auch die Rechte des rumänischen Verfassungsgerichts per Regierungsdekret beschnitten wurden: »So etwas untergräbt die Rechtsstaatlichkeit eines Landes«, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Außenminister Giudo Westerwelle stellte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die weitere EU-Integration Rumäniens in Frage, sollte die Regierung in Bukarest tatsächlich gegen »Buchstaben und Geist der europäischen Wertegemeinschaft« verstoßen haben. Auch das amerikanische Außenministerium zeigte sich »besorgt über die jüngsten Entwicklungen bei unserem Nato-Partner und Verbündeten«.
Das Amtsenthebungsverfahren bildet den vorläufigen Höhepunkt eines verbissen geführten Machtkampfes zwischen der sozialdemokratischen Regierung und dem Präsidenten. Kurz vor der Abstimmung am Freitag gelang es der Regierung, die Anhänger Basescus von den Posten des Parlaments- und Senatspräsidenten abzuwählen. Die Regierung des Ministerpräsidenten und PSD-Vorsitzenden Victor Ponta wurde erst im vergangenen Mai geformt, nachdem das von Basescu favorisierte und unterstützte rechtsliberale Kabinett um Premier Emil Boc einen Mißtrauensantrag der Opposition nicht überstand. Die Sozialdemokraten werfen Basescu vor, durch die Aneignung von Regierungskompetenzen Verfassungsbruch begangen zu haben.
Basescu sah sich bereits 2007 mit einem Entlassungsverfahren der SozialÂdemokraten konfrontiert, das er aber durch einen Wahlsieg beim folgenden Referendum annullieren konnte. Dieses Kunststück wird dem nun abermals abgesetzten Staatschef wohl kaum ein zweites Mal gelingen, da seine Popularitätswerte aufgrund der neoliberalen Kürzungsprogramme im Keller sind, die die rechtsliberale Regierung auf Weisung Brüssels und des IWF jahrelang umgesetzt hatte. Ein Ergebnis des anhaltenden sozialen Kahlschlags war im vergangenen Januar die größte Protestwelle in Rumänien seit über einem Jahrzehnt, als Zehntausende Demonstranten bei teilweise gewalttätigen Demonstrationen den Rücktritt Basescus forderten.
Insbesondere die in der rumänischen Bevölkerung verhaßte Gesundheitsreform, an der sich die Proteste im vergangenen Januar entzündeten, galt als ein Projekt des Präsidenten (siehe jW vom 19.01.2012). Der Entwurf für diese – später aufgrund des Widerstandes zurückgezogene – Privatisierung von Teilen des Gesundheitswesens stammte aus dem Präsidentenpalast. Laut rumänischer Verfassung hat aber der Präsident gar kein Recht auf Gesetzesinitativen. Tatsächlich konnte Basescu unter offensichtlichem Rechtsbruch sein Amt in den vergangenen Jahren zum eigentlichen Machtzentrum Rumäniens ausbauen, indem er sich für jedes Ressort »Berater« hielt, die den Fachministerien Direktiven vorgaben. Zudem intervenierte der Präsident mehrmals bei der Besetzung vom Ministerposten in der Regierung um Premier Boc.
Dennoch hielt sich der Westen damals mit jeglicher Kritik an dem autoritär auftretenden Präsidenten zurück. Weder für Berlin noch für Washington waren die Rechtsbeugungen Basescus ein Thema, als Rumäniens Staatschef deren neoliberale Politikvorgaben umsetzte.