„Junge Welt“, 13.06.2012
Putin: Strategische Partnerschaft von Rußland und China als »Modell für neue Art« von Beziehungen. Abkühlung des Verhältnisses zu Berlin
Peking und Moskau rücken näher zusammen. Die Beziehungen zwischen China und Rußland haben einen »neuen Höhepunkt« erreicht. Das erklärte Wladimir Putin anläßlich seiner China-Visite am 5. Juni, bei der auch umfangreiche Kooperationsabkommen unterzeichnet wurden. Rußlands Präsident beschrieb in einem Beitrag für die Parteizeitung Renmin Ribao die »strategische Partnerschaft« zwischen beiden eurasischen Großmächten als »ein Modell für eine neue Art von Regierungsbeziehungen«, das »extrem stabil« sei. Putin pries dabei die Wirtschaftskooperation zwischen beiden Ländern, deren Handelsvolumen allein im vergangenen Jahr um 40 Prozent auf rund 83 Milliarden US-Dollar anwuchs. Bis 2020 soll es sogar auf 200 Milliarden US-Dollar ansteigen. Neben der Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit im Energiesektor, der Industrie und der Forschung – die mit rund 16 neuen Abkommen besiegelt wurde – standen die zunehmenden Konflikte in der Welt im Zentrum der Gespräche zwischen Putin und dem chinesischen Staats- und Parteichef Hu Jintao.
Putin und Hu hätten ihre Positionen in vielen außen- und geopolitischen Fragen abgestimmt, berichtete die New York Times (NYT). Neben der Opposition gegenüber einer militärischen Intervention in Syrien teilen Peking und Moskau nun auch die Ablehnung der geplanten NATO-Raketenabwehr in Osteuropa. Zudem sei es wahrscheinlich, daß beide Seiten ihre Haltung im Iran-Konflikt erörtert hätten – wie auch ihre Bemühungen, »die Vereinigten Staaten aus Zentralasien herauszupressen«, so die NYT wörtlich. Die forcierte russisch-chinesische Annäherung fand im Vorfeld des Gipfeltreffens der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) statt, an dem Putin am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche teilnahm. Beim SCO-Treffen war auch Irans Präsident Mahmud AhmadineÂdschad als Beobachter anwesend. Die multilaterale eurasische Organisation, an der nahezu alle zentralasiatischen Staaten beteiligt sind, soll die regionale Integration bewußt ohne Teilnahme westlicher Staaten befördern.
Der außenpolitischen Kür in Peking ging Putins Pflichtübung in Europa voraus, die ihn am 1. Juni nach Berlin und Paris geführt hatte. Trotz weiterhin rasch zunehmender wirtschaftlicher Kooperation, die in Überlegungen zum Ausbau der Ostseepipeline gipfeln, war das Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wladimir Putin von wachsenden geopolitischen Differenzen und Altlasten geprägt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach am Tag vor der Begegnung vom »Wiedersehen zweier Fremder«, wobei die Entfremdung nicht nur durch die Differenzen bezüglich des Syrien-Konflikts und der NATO-Raketenabwehr in Europa angeheizt würden, sondern auch durch Merkels Hang zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rußlands. So hätte die Bundeskanzlerin »auf fast ungehörige Weise« im vergangenen Jahr den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew zu einer weiteren Amtszeit ermuntert. Auch in diesem Fall »setzte Frau Merkel auf den falschen Mann«, monierte die FAZ unter Bezugnahme auf die Intervention Merkels im französischen Wahlkampf. Für weiteren Unmut im Kreml dürfte die massive publizistische Rückendeckung in Deutschland für die russische Opposition bei den Protesten im Umfeld der vergangenen Präsidentschaftswahl gesorgt haben.
Den zentralen Faktor, der zur Abkühlung zwischen Berlin und Moskau beigetragen haben dürfte, bildet aber die offenbar gescheiterte »Modernisierungspartnerschaft« zwischen Deutschland und Rußland. Moskau hoffte darauf, mittels einer intensivierten Wirtschaftskooperation mit dem Westen einen Technologietransfer zu initiieren, der zur Modernisierung der russischen Wirtschaft beitragen würde. Doch genau dies ist nicht eingetroffen, da Deutschlands Exportindustrie Rußland vor allem als Absatzmarkt ansieht, auf dem die deutschen Exporte allein 2011 um 30 Prozent auf rund 58 Milliarden Euro zulegten. Darüber hinaus will etwa der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft eine massive Förderung des »Mittelstandes« und des »freien Unternehmertums« in Rußland betreiben, was die herrschende Staatsoligarchie rund um Putin durchaus als Kampfansage wahrnehmen könnte. Es war gerade diese zwischen liberaler und rechtsextremer Ideologie schwankende neue »Mittelschicht«, die das Gros der Demonstranten bei den gegen Putin gerichteten Protesten der vergangenen Monate stellte.
Der außenpolitische Kurswechsel Putins, der angesichts solcher Art deutscher »Entwicklungshilfe« eingeleitet wurde, hatte sich schon bei seiner ersten Auslandsvisite abgezeichnet, die er dem belorussischen Staatschef Alexander Lukaschenko abstattete. In dieser »hochsymbolischen Geste« machte Putin klar, daß künftig die »ehemaligen Sowjetrepubliken und Asien« in der russischen Außenpolitik höher gewichtet würden als die Beziehungen zum Westen, stellte die Moscow Times fest. »Allein die Tatsache, daß mein erster Auslandsbesuch dem Bruderland Belarus gilt, zeigt die besondere Art unserer Beziehungen«, betonte Putin in Minsk – bevor er mit einstündiger Verspätung in Berlin landete.