„Junge Welt“, 25.04.2012
Militarisierung der Region um den Nordpol schreitet rasch voran
Der »kalte Krieg« um die Ressourcen der Arktis gewinnt an Intensität. Während der ungehindert voranschreitende Klimawandel die arktische Eisdecke immer schneller abschmelzen läßt, reagiert das kapitalistische System auf diese ökologisch desaströse Entwicklung auf die ihm eigene Art und Weise: mit einer forcierten Militarisierung der Region. Im vergangenen März veranstaltete etwa Norwegen das bislang größte arktische Militärmanöver, an dem 16300 Soldaten aus 14 westlichen Ländern teilnahmen, um alle möglichen Konfliktszenarien – vom Terrorangriff bis zum konventionellen Krieg – zu trainieren. Bei der »Cold Response« (Kalte Antwort) getauften Übung unter NATO-Beteiligung, bei der möglichst realistische Kampfbedingungen herrschen sollten, sind bei einem Flugzeugabsturz fünf Soldaten ums Leben gekommen. In den Monaten zuvor haben bereits die USA, Kanada und Dänemark Militärmanöver in der Region abgehalten.
Die zunehmenden Drohgebärden zwischen den Anrainerstaaten der Arktis werden durch die enormen Bodenschätze befeuert, die unter dem rapide abschmelzenden Eispanzer vermutet werden. An die 13 Prozent der unerschlossenen Ölvorkommen und rund 30 Prozent der globalen Erdgasvorräte sollen sich laut US-Schätzungen in der Arktis befinden. Die durch den Klimawandel ausgelöste Erwärmung des Gebietes würde in einer »furchtbaren Ironie« dazu führen, daß sich die arktischen Nationen auf den »Kampf um die Förderung der fossilen Energieträger vorbereiten, die das Abschmelzen auslösten«, kommentierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Es sei, »als ob man Feuer mit Benzin löschen« wollte.
Das Konfliktforschungsinstitut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) thematisierte diesen Aufbau der militärischen Kapazitäten durch die Anrainerstaaten der Arktis in einer jüngst publizierten Studie. Das Fazit: Kanada, Dänemark, Norwegen, Rußland und die USA haben in den vergangenen Jahren ihre militärische Präsenz in der Arktis im unterschiedlichen Ausmaß vergrößert, die Militärausrüstung angepaßt oder die entsprechenden Streitkräfte aufgebaut. Das SIPRI nennt in diesem Zusammenhang die kanadische Regierung, die »den Schutz und die Stärkung der arktischen Souveränität Kanadas zu einer Priorität« erklärte, sowie Norwegen, dessen arktische Strategie von der zunehmenden Konkurrenz zu Rußland geprägt sei. Bei den in etliche kostspielige Kriegsabenteuer verwickelten USA hätten hingegen die »arktischen Sicherheitserwägungen« laut SIPRI derzeit nur eine »untergeordnete Rolle«.
Tatsächlich hat aber Rußland, dessen Territorium zu rund einem Drittel nördlich des Polarkreises liegt, bei dem anstehenden Wettrennen um die Rohstoffe die beste Ausgangslage – wobei es noch von der alternden sowjetischen Infrastruktur in der Region profitiert. Nahezu alle arktistauglichen Eisbrecher befinden sich im Besitz Rußlands, und die Entvölkerung des Hohen Nordes nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist zumindest gestoppt worden. Rußland habe immer noch »Städte in der Arktis. Wir haben nur Dörfer«, erklärte ein amerikanischer geopolitischer Analyst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Diese »demografische Überlegenheit« sei der größte Vorteil Rußlands in der Arktis. Zusätzlich sollen laut dessen designiertem Präsidenten Wladimir Putin rund 21 Milliarden Rubel (circa 540 Millionen Euro) in den kommenden Jahren in die Modernisierung der arktischen Infrastruktur investiert werden. Die ersten Joint-Ventures zur Gas- und Ölförderung in der Region zwischen russischen Konzernen und westlichen Multis wie Exxon Mobil und BP sind bereits besiegelt worden.
Diese ökonomische Expansion wird vom Aufbau spezieller arktischer Streitkräfte der russischen Armee flankiert, die laut Weisung Putins bis 2015 einsatzbereit sein sollen. In Reaktion darauf kündigte in diesem Jahr auch Norwegen die Aufstellung eines arktischen Bataillons auf. Die Spannungen zwischen Moskau und Oslo resultieren aus einem langwierigen Konflikt um die Grenzziehung zwischen dem norwegischen Spitzbergen und dem russischen Nowaja Semlja, da in der Grenzregion Ölvorkommen vermutet werden. Das Konfliktpotential bleibt auch weiterhin hoch. Insgesamt gibt es in der Arktis inzwischen neun ungelöste Territorialstreitigkeiten.