Junge Welt“, 03.04.2012
Anklage wegen polnischer Beteiligung an US-Foltergefängnissen. Tusk verspricht vollständige Aufklärung
In Polen ist eine kontrovers geführte Debatte über die im Land errichteten US-Geheimgefängnisse entbrannt. Sie waren unter dem Vorwand des sogenannten Krieges gegen den Terror aufgebaut und jahrelang als »offenes Geheimnis« medial kaum beachtet worden. Jetzt hat sich die Lage geändert, denn die Justiz ermittelt. Ein Artikel der Zeitung Gazeta ÂWyborcza über die Beteiligung Polens an dem globalen extralegalen Lager- und Foltersystem der USA, das die Bush-Administration nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center aus dem Boden stampfte, brachte die Diskussion ins Rollen.
Das rechtsliberale Leitmedium berichtete am 27. März, daß der ehemalige Geheimdienstchef Zbigniew Siemiatkowski aufgrund seiner Verstrickung in den Aufbau des Lagersystems von der polnischen Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und »Verbrechen gegen die Republik Polen« angeklagt werden soll. Siemiatkowski, der das Amt von 2002 bis 2004 bekleidete, hat der Wyborcza bestätigt, daß er Anfang Januar von der Anklage unterrichtet worden sei. Die Staatsanwaltschaft wollte sich nicht offiziell zu den Enthüllungen äußern, da der Prozeß unter Verweis auf die nationale Sicherheit Polens geheim geführt werden soll.
Im Rahmen ihres »Krieges gegen den Terror« unterhielten die Vereinigten Staaten eine Reihe von Geheimgefängnissen, Lagern und Folterzentren in etlichen Ländern – neben Polen u.a. auch in Rumänien, Litauen, Jordanien, Thailand und Afghanistan. Hunderte von »Terrorverdächtigen« wurden durch dieses System geschleust, bevor sie im Lager in Guantánamo landeten. Laut Recherchen der New York Times, die sich hierbei auf CIA-Quellen beruft, wurden mindestens 30 Personen gefoltert. Amnesty International geht davon aus, daß insgesamt 15 europäische Staaten in dieses geheime US-Lagersystem verstrickt waren.
In Polen unterhielten die USA ein solches Geheimlager im Nordosten des Landes nahe dem Militärflughafen Szymany. Schon im November 2005 berichtete die Washington Post darüber, daß zwischen 2002 und 2003 insgesamt zwölf mutmaßliche Mitglieder der Al-Quaida in diesem illegalen Lager interniert waren – wie etwa Khalid Scheich Mohammed, der angebliche Drahtzieher der Terroranschläge auf das World Trade Center. In Szymany sollen etliche der Eingesperrten gefoltert worden sein, wie Mikolaj Pietrzak, Anwalt des in Guantánamo einsitzenden mutmaßlichen Al-Quaida-Mitglieds Abd Al-Naziri, Ende März ausführte. Im offiziellen Jargon sprach man von »intensivierten Verhörtechniken«, erläuterte Pietrzak, doch tatsächlich »war das gewöhnliche Folter, die auch die Inquisition im Mittelalter« anwandte. Neben Al-Naziri, dem die Beteiligung an einem Anschlag auf den US-Zerstörer Cole vorgeworfen wird, soll auch das mutmaßliche Al-Qaida-Mitglied Abu Subaida in Polen gefoltert worden sein.
Die polnische Staatsanwaltschaft nahm ihre Ermittlungen wegen der US-Folterlager in Polen erst nach dem Amtsantritt der rechtsliberalen Koalition von Donald Tusk 2008 auf. Zuvor haben sowohl die sozialdemokratische Regierung um Leszek Miller wie auch das rechtskonservative Kabinett von Jaroslaw Kaczynski die Existenz der Geheimgefängnisse in Polen rundweg geleugnet. Tatsächlich weist die Anklage gegen den ehemaligen polnischen Geheimdienstchef eine weiterreichende innenpolitische wie außenpolitische Dimension auf.
Zum einen bringt die kontroverse Debatte über die amerikanischen Folterknäste auf polnischem Territorium das Ausmaß an Entfremdung zum Ausdruck, die zwischen Warschau und Washington herrscht, seitdem sich das einstmals eng mit den USA verbündete Polen unter Tusk immer enger an Berlin orientiert. Polen sei kein »Bantustan«, diese »Angelegenheit« müsse vollständig aufgeklärt werden, tönte der Premier gänzlich undiplomatisch Ende März: »Darüber sollen weder in Polen, noch auf der anderen Seite des Ozeans irgendwelche Zweifel bestehen.«
Zugleich eignet sich die Affäre hervorragend dazu, die rechtskonservative und sozialdemokratische Opposition verstärkt unter Druck zu setzen, für die das Schweigen zu den Vorgängen in Szymany Teil der Staatsräson war. Inzwischen wurde bekannt, daß auch der ehemalige sozialdemokratische Regierungschef Leszek Miller mit einer Anklage rechnen muß. Die Enthüllung des geheimen Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt sei »kein Zufall«, polterte Miller umgehend, da die Regierung damit von ihren fallenden Umfragewerten und dem wachsenden Widerstand gegen die unsoziale Rentenreform ablenken wolle. Der derzeitige rechtskonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski erklärte schon mal vorsorglich, während seiner Regierungszeit nichts von den US-Geheimgefängnissen gewußt zu haben.