„Neues Deutschland“, 19.03.2012
Tschechien streitet über die Europapolitik des Landes und bekommt dafür Druck aus der EU
Mit diplomatischen Charmeoffensiven und finanziellem Druck versuchen Berlin und Brüssel, Prag doch noch zur Unterzeichnung des EU-Fiskalpaktes zu bewegen.
Über zwei Wochen nach der Verweigerung des EU-Fiskalpakts durch die tschechische Regierung bleibt deren europapolitischer Kurs umstritten. Die Spannungen bezüglich der maßgeblich von Berlin gestalteten Umformung der EU werden inzwischen in aller Öffentlichkeit ausgetragen.
So sah sich der konservative Ministerpräsident Petr Necas kürzlich genötigt, die Bereitschaft seines Landes zur Einführung des Euro zu untermauern. Zuvor hatte Staatspräsident Vaclav Klaus eine Ausnahmeregelung für Prag gefordert, mit der die verbindliche Einführung der Einheitswährung ausgehebelt werden sollte. Mehr als die Hälfte der Tschechen lehnt laut Umfragen den Euro ab.
Aber auch die Ablehnung des Fiskalpaktes, der Europa zu einer knallharten Austeritätspolitik verpflichtet, ist innerhalb der tschechischen Regierungskoalition umstritten. Er werde »nicht klein beigeben«, hatte Premier Necas kurz vor der Unterzeichnung des Vertrages auf dem EU-Gipfel Anfang März erklärt. Sein rechtsliberaler Außenminister Karel Schwarzenberg erklärte hingegen, er hoffe, dass Necas den Fiskalpakt doch noch unterschreiben werde. Tschechien könne »jederzeit« beitreten. Schwarzenberg hatte zu Beginn des Jahres sogar mit dem Bruch der Koalition gedroht, sollte der Premier hart bleiben.
Besonders scharf wird seine Haltung aber von einigen Massenmedien kritisiert. Die auflagenstarke Tageszeitung »Mlada fronta Dnes«, derzeit im Besitz der Rheinisch-Bergischen Druckerei- und Verlagsgesellschaft, zog sogar eine Parallele zu der Verweigerung des Marshall-Plans durch die tschechoslowakische Regierung im Jahr 1947. Prags »Nein« zum Fiskalpakt sei eine »geopolitische Entscheidung«, die zur Schwächung der europäischen Integration Tschechiens beitragen werde. Diese »freiwillige Separation« wiederum werde die Prosperität in dem ökonomisch stark mit der Eurozone verwobenen Land untergraben, dessen »Rückständigkeit« voll zutage trete, warnte die Zeitung.
Kurz nach der Ablehnung des Fiskalpakts durch Necas startete der deutsche Außenminister Guido Westerwelle eine Art Charmeoffensive in Prag, wo er anlässlich des 20. Jahrestages des Nachbarschaftsvertrags die unzertrennliche Freundschaft zwischen Prag und Berlin rühmte – und Tschechien für ein weiteres Vertragswerk zu motivieren suchte: »Für diejenigen, die bislang nicht unterzeichnet haben, bleibt aus Sicht der Bundesregierung die Tür offen«, erklärte der FDP-Politiker, um sogleich eine Warnung nachzuschieben: »Kehren wir Europa den Rücken, verurteilen wir uns selbst zur Bedeutungslosigkeit in der Welt von morgen.«
Fast zur gleichen Zeit erhielt Ministerpräsident Necas einen Telefonanruf von Johannes Hahn, dem EU-Kommissar für Regionalpolitik. Der Österreicher teilte dem Regierungschef mit, dass die Strukturhilfen der EU an Tschechien eingefroren werden könnten, da plötzlich »ernsthafte Mängel« bei der Verwendung dieser Finanzmittel durch Prag festgestellt worden seien. An die 32 Milliarden Euro aus regionalen Strukturfonds der EU-Kommission stehen Tschechien bis 2013 zu. Daraufhin eilte der stellvertretende tschechische Minister für regionale Entwicklung, Daniel Braun, nach Brüssel, wo er mitteilte, dass ein sofortiges Einfrieren der EU-Gelder nicht drohe. Dies geschehe nur dann, wenn »große Probleme« bei den entsprechenden Förderprogrammen konstatiert würden. Prag scheint somit noch etwas Bedenkzeit erhalten zu haben.