„Junge Welt“, 27.01.2012
Repressionswelle nach Wahlfarce in Kasachstan. Oppositionelle Politiker und unabhängige Journalisten verhaftet
Kasachstans Staatsorgane starteten nur wenige Tage nach den Parlamentswahlen eine Repressionswelle gegen oppositionelle Gruppierungen und unabhängige Medien. Die Abstimmung vom 15. Januar, bei der die Staatspartei Nur Otan (Lichtstrahl des Vaterlands) von Präsident Nursultan Nasarbajew rund 80 Prozent der Stimmen errungen haben soll, wurde von internationalen Beobachtern als undemokratisch kritisiert, da wichtige Oppositionskräfte gar nicht zur Abstimmung zugelassen wurden. Die jüngsten Verhaftungen stehen im Zusammenhang mit den von Militäreinheiten blutig niedergeschlagenen Arbeiterprotesten in der westkasachischen Stadt Schanaosen, bei denen Mitte Dezember nach Gewerkschaftsangaben Dutzende Menschen ums Leben kamen.
Am 23. Januar wurde der Vorsitzende der oppositionellen Partei ALGA, Wladimir Koslow, von Beamten des »Komitees für nationale Sicherheit« festgenommen. Das Haus des Oppositionspolitikers wurde durchsucht und Akten wie Computer beschlagnahmt. Seitdem sitzt Koslow in Untersuchungshaft. Laut Medienberichten wird er beschuldigt, »soziale Unruhen angezettelt«, und den »Sturz der Regierung« betrieben zu haben. Auch das Parteihauptquartier von ALGA wurde nahezu zeitgleich vom Sicherheitsdienst gestürmt. 16 weitere Mitglieder wurden festgenommen. Die jüngste Verhaftungswelle richtet sich auch gegen andere linke Aktivisten, wie den Menschenrechtler Wadim Karamschin von der Sozialistischen Bewegung Kasachstans.
Die von den Behörden nicht zugelassene Partei ALGA hatte zusammen mit der oppositionellen Kommunistischen Partei Mitte 2011 eine Volksfront gebildet, der aber die Beteiligung an den Parlamentswahlen von Nasarbajew verweigert wurde. Statt dessen durften bei den Wahlen nur regimetreue Parteien gegen Nasarbajews Nur Otan antraten, wie die Oligarchenpartei Ak Schol (Leuchtender Weg) und die Retortenzüchtung einer »Kommunistischen Arbeiterpartei Kasachstans«. Das Nasarbajew-Regime bemüht sich derzeit, Opposition und unabhängige Medien für das von Polizeikräften begangene Massaker in Schanaosen verantwortlich zu machen. Dabei werden Regierungsgegner in den regimetreuen Massenmedien als Handlanger »ausländischer Interessen« diffamiert. In einer gemeinsamen Erklärung warfen Oppositionskräfte dem Regime Nasarbajews vor, die angebliche Untersuchung des Massakers in Schanaosen als Vorwand zu benutzen, um »Säuberungen« innerhalb der Opposition vorzunehmen.
Die kasachischen Staatsorgane gehen auch gegen die wenigen unabhängigen Medien vor, die es wagten, über die Toten in der Totenstadt zu berichten. So wurde am Montag auch Igor Winjanwskij, der Chefredakteur der Zeitung Wsgljad, festgenommen, nachdem sein Haus und die Redaktionsbüros durchsucht worden sind. Winjanwskij wird ebenfalls vorgeworfen, den »Sturz der Regierung« betrieben zu haben. Die Belegschaft der Zeitung Respublika, die auch über die jüngste Verhaftungswelle berichtete, wurde jüngst vom Sicherheitsdienst verhört. Schon am 17. Januar hatten kasachische Staatsorgane die Mitarbeiter des Onlinevideoportals stan.kz zu mehrtägigen Verhören einbestellt.
Auch in der Unruhestadt Schanaosen, in der bis Ende Januar der Ausnahmezustand gilt, wird die Repression des Regimes gegen die Arbeiterschaft und die Bevölkerung weiter intensiviert. Inzwischen gehen laut Augenzeugenberichten die Staatsorgane dort dazu über, bei dem Polizeiangriff verwundete Menschen in den Krankenhäusern zu verhaften. Die Betroffenen sollen wegen des »Anzettelns von Massenunruhen« angeklagt werden. Hunderte von Opfern der staatlichen Gewaltorgie in Schanaosen, die noch in Behandlung sind, sollen so zu Tätern gestempelt werden.