„Junge Welt“, 20.01.2012
Ukraine: Präsident will Unmut über sich verschlechternde Wirtschaftslage auf Regierung umleiten
Seit dem vergangenen Mittwoch dreht sich in den ukrainischen Regierungszirkeln erneut das große Oligarchenkarussell. Finanzminister Fedir Jaroschenko trat von seinem Amt zurück, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch die im Haushaltsentwurf für das Wahljahr 2012 vorgesehenen Ausgabenkürzungen öffentlich kritisiert hatte. Jaroschenko betonte, daß der Rücktrittswunsch von ihm ausgegangen sei: »Ich hoffe, der nächste Finanzminister wird weniger Fehler machen und effizienter arbeiten«, so der scheidende Ressortchef.
Valeri Choroschkowski, der neue oberste Kassenwart der Ukraine, gilt als ein enger Vertrauter Janukowitschs. Der über ein mehrere Fernsehsender umfassendes Medienimperium gebietende Oligarch war bis vor wenigen Tagen als Chef des ukrainischen Geheimdienstes tätig. Das Wirtschaftsmagazin Forbes taxiert das Vermögen des bereits zwischen 2002 und 2004 unter der Regierung Janukowitsch als Finanzminister tätigen Choroschkowski auf rund 420 Millionen US-Dollar.
Nach Ansicht von Beobachtern ist der Ministerwechsel auf die angespannte Wirtschaftslage sowie die Parlamentswahlen im kommenden Oktober zurückzuführen. Die Regierung von Ministerpräsident Mykola Asarow bemühte sich, mittels weiterer Sparvorhaben die Haushalssanierung zu forcieren, während der Staatschef im Wahljahr keine umfassenden Kürzungsvorhaben realisieren will. Mittels der öffentlichen Kritik an den Sparvorhaben bemüht sich Janukowitsch offenbar, den Unmut über die sich rasch eintrübende Wirtschaftslage auf die Regierung umzuleiten.
Das vergangene Jahr brachte der von der Krise schwer getroffenen Ukraine dank einer guten Ernte und steigender Exporte eine kurze Atempause, die sich in einem soliden Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent manifestierte. Aufgrund der Wirtschaftsbelebung konnte Jaroschenko auch das Haushaltsdefizit Kiews von rund elf Prozent des Bruttoinlandproduktes 2010 auf 4,4 Prozent verringern. Doch für dieses Jahr geht die Regierung von einer deutlichen Abkühlung des Wachstums auf nur noch 3,9 Prozent aus, während unabhängige Prognosen die Ukraine sogar erneut in wirtschaftlicher Stagnation sehen.
Hierdurch dürfte die schwelende ukrainische Schuldenkrise erneut eskalieren. Kiew mußte 2009 einen Notkredit des IWF in Anspruch nehmen, um einen Zusammenbruch des spekulativ aufgeheizten Finanzsektors mitsamt drohendem Staatsbankrott zu vermeiden. Nachdem sich aber Janukowitsch im vergangenen Frühjahr weigerte, den IWF-Forderungen nach massiven Erhöhungen der Erdgaspreise nachzukommen, wurde der rund zwölf Milliarden Euro umfassende Krisenkredit eingefroren. Der nun zurückgetretene Finanzminister war Teil der ukrainischen Verhandlungsmanschaft, die sich über ein Jahr lang vergeblich bemühte, bessere Kreditkonditionen mit dem IWF auszuhandeln.
Die sich abermals zuspitzende Finanzlage wird durch die in diesem Jahr anstehende Refinanzierung eines großen Teils der enormen Auslandsverschuldung der Ukraine befeuert. Von diesem inzwischen rund 123 Milliarden US-Dollar umfassenden Schuldenberg muß das Land 52 Milliarden refinanzieren. Diese Summe übersteigt inzwischen die auf rund 30 Milliarden geschrumpften Gold- und Devisenreserven Kiews, die in den vergangenen Monaten zur Stützung der Landeswährung eingesetzt worden sind.
Janukowitsch bemühte sich im vergangenen Jahr, Rußland zu einer Absenkung der langfristig vereinbarten Gaspreise von 400 auf rund 250 US-Dollar zu bewegen, um so die Forderungen des IWF nach Haushaltseinsparungen ohne Preiserhöhungen für die Verbraucher zu realisieren. Doch auch hier beißt Janukowitsch auf Granit: Die letzte Verhandlungsrunde sei ohne konkrete Ergebnisse geblieben, schrieb die russische Nesawissimaja Gaseta am vergangenen Mittwoch. Moskau verlangt weiterhin im Austausch für Preisnachlässe die Kontrolle über das ukrainische Pipelinenetz. Kiew lehnt dies bislang aber strikt ab.