Va Banque

Nach dem deutschen Durchmarsch beim EU-Krisengipfel Ende letzter Woche kündigen sich erste Widersprüche gegenüber der Berliner „Fiskalunion“ an. In Brüssel wird darauf verwiesen, dass Nebenabreden zum Gemeinschaftsrecht faktisch nicht wirksam seien. Mehrere Regierungschefs und der aussichtsreiche französische Präsidentschaftskandidat Hollande kündigen grundsätzliche Einwände gegen das geplante Vertragswerk an. Zudem steht die Gemeinschaftswährung weiterhin vor dem Zusammenbruch: Die Zinssätze etwa des verschuldeten Italien steigen weiterhin an und drohen das Land trotz Notstandsregime in den Abgrund zu reißen, sollte nicht Hilfe durch Eurobonds oder durch Anleihenaufkäufe der EZB geleistet werden. Solche Hilfe jedoch verhindert nach wie vor Berlin. Weil die deutsche Verweigerung nicht nur den Euro in den Abgrund zu reißen, sondern letztlich sogar die Weltwirtschaft in die Rezession zu stoßen droht, gerät die Bundesregierung zusätzlich mit Washington in Konflikt: Die Regierung Obama fürchtet, im Fall eines globalen Wirtschaftseinbruchs ihre Chancen auf Wiederwahl wegen des deutschen Va Banque-Spiels endgültig einzubüßen.

Kontrolle, Disziplin, Strafen

Nach dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche, auf dem die Bundesregierung ihre Vorstellungen für die „Fiskalunion“ nahezu vollständig durchsetzen konnte, waren vor allem die regierungsnahen deutschen Medien in offene Jubelstürme ausgebrochen. „Jetzt regiert Angela Merkels harte Hand in Europa“, hieß es etwa unter Verweis auf die im „deutschen Europa“ gültigen Prinzipien: „Mehr Kontrolle, mehr Disziplin und härtere Strafen.“[1] „Merkels Wort gilt – aber nur auf dem Festland“ [2], hieß es in einem Wirtschaftsblatt, das die Konsequenzen für die Weigerung Londons andeutete, sich den Berliner Vorstellungen zu unterwerfen: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Abgesehen von Großbritannien schienen sämtliche EU-Staaten den deutschen Forderungen widerstandslos nachzugeben.

Widersprüche

Inzwischen deuten sich jedoch erste Widersprüche an. In Brüssel ist zu hören, die beim Gipfel beschlossene Konstruktion, die „Fiskalunion“ über ein eigenständiges Vertragswerk durchzusetzen, sei aus juristischer Perspektive schlicht Unfug – zum selben Themenfeld gebe es einschlägige Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht, das seinerseits prinzipiell Vorrang habe vor jeglichen Nebenabsprachen. Die Regierungschefs Finnlands und der Tschechischen Republik erklären, ihre Länder seien nicht bereit, zentrale Souveränitätsrechte – wie von Berlin gefordert – preiszugeben.[3] In Dublin heißt es, man halte es prinzipiell für möglich, ein Referendum über die „Fiskalunion“ zu vermeiden, könne dies allerdings erst im März 2012 mit Gewissheit zusagen. Nun kündigt auch der in Umfragen führende Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen, François Hollande (Parti Socialiste), an, den nach deutschen Wünschen gestalteten Vertrag über die „Fiskalunion“ nicht ratifizieren zu wollen: „Wenn ich zum Präsidenten der Republik gewählt werde, verhandele ich die Vereinbarung neu“.[4] Hollande kritisiert darüber hinaus die von Berlin durchgesetzte Einführung einer „Schuldenbremse“ und erklärt: „Ich werde dafür sorgen, dass wir die Vereinbarung um das Fehlende ergänzen, nämlich die Intervention der EZB, Eurobonds und einen Rettungsfonds“. Dies liefe auf eine Revision der weitreichenden Zugeständnisse Frankreichs an die Bundesregierung hinaus.

Transatlantischer Streit

Eine immer deutschlandkritischere Berichterstattung in den meinungsführenden US-Medien lässt zudem wachsende Spannungen zwischen Berlin und Washington erkennen. Die Zeitschrift Newsweek etwa porträtiert in ihrer jüngsten Ausgabe die deutsche Kanzlerin als kalte, emotionslose Machtpolitikerin, die aus purem „Eigennutz“ berechnend vorgehe und eine sonderbare Vorliebe für „glattrasierte, unzerknautschte, oft blonde Höflinge“ an den Tag lege. Newsweek nennt unter anderem Bundesbankchef Jens Weidmann, einen monetaristischen Hardliner, und Bundespräsident Christian Wulff.[5] Die New York Times spricht mittlerweile offen von einem „taktischen Kampf“ zwischen Deutschland und den USA über Differenzen bei der Bewältigung der Eurokrise.[6] Merkel habe Europa zu „deutscher Fiskaldisziplin“ gezwungen, während die US-Administration schnelle und umfassende Staatsanleihenkäufe durch die EZB verlange. Die Einsätze in dem Machtkampf seien „sehr hoch“ und beträfen „die Gesundheit der Weltwirtschaft, der Europäischen Union und vielleicht Mr. Obamas präsidiale Hoffnungen“. Letzteres begründet sich dadurch, dass das Weiße Haus aufgrund der deutschen Blockadehaltung in der Eurokrise einen globalen Wirtschaftseinbruch im Wahljahr 2012 fürchtet, der Obamas Chancen auf Wiederwahl minimieren würde.

Vor dem Zusammenbruch

Unterdessen droht die repressive, auf strikte Haushaltsdisziplin ausgerichtete Umformung der EU den Währungsraum zu sprengen. Berlin verhindert bis heute die Einführung von Eurobonds sowie weitere Maßnahmen zur Linderung der Schuldenlast südeuropäischer Staaten, etwa umfassendere Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB – weil dies zu Hyperinflation führen oder zumindest den Spardruck gegenüber den verschuldeten Ländern verringern könne. Ohne wenigstens eine dieser Maßnahmen oder auch eine Kombination von ihnen droht jedoch der Eurozone nach übereinstimmender Einschätzung der meisten Experten der baldige Zerfall, der katastrophale ökonomische Verwerfungen nach sich ziehen dürfte: Die Staaten Südeuropas werden das hohe, weiterhin steigende Zinsniveau ihrer Staatsanleihen nicht mehr lange schultern können und ohne Unterstützung von außen zusammenbrechen. Eine „Inflationierung“ der Schuldenkrise gilt daher nahezu sämtlichen EU-Regierungen sowie den USA als unvermeidlich; nur Berlin schert aus. Die dramatische Konstellation – Deutschland provoziert aus machtpolitischem Kalkül eine weltweite Depression – bildet den Hintergrund auch der Spannungen zwischen Berlin und Washington.

Desintegration

Vor dem Krisengipfel letzte Woche waren Analysten noch davon ausgegangen, die EZB werde zu umfangreichen Stützungskäufen für Staatsanleihen übergehen, sobald Deutschland seine dominante Position in der EU institutionell gefestigt habe. Thorsten Polleit von Barclays Capital etwa sprach davon, die EZB werde den „Anleihenkauf verstärken“ und einen wahren „Geldsegen“ über der EU niedergehen lassen.[7] Solche Einschätzungen beruhten auf der Annahme, Berlin glaube seiner eigenen Austeritätspropaganda nicht selbst und instrumentalisiere sie zur Durchsetzung politischer Ziele, um nach deren Sicherstellung pragmatisch zu handeln und die notwendigen Schritte zur vorläufigen Stabilisierung der Eurozone einzuleiten. Tatsächlich aber gingen die Anleihenkäufe der EZB in der Woche vor dem Gipfel drastisch zurück und erreichten mit 635 Millionen Euro den niedrigsten Umfang seit März 2011. Im August hatte die EZB noch wöchentlich Anleihen im Wert von mehreren Milliarden Euro auf dem Sekundärmarkt gekauft. Sollten am Rande des EU-Gipfels keine bislang unbekannten informellen Absprachen über EZB-Anleihenkäufe getroffen worden sein, dann könnte der Gipfel tatsächlich als entscheidende Wegmarke zur Desintegration der Eurozone in die Geschichte eingehen.

Im Abwärtssog

Ähnlich fatal wirken die von Berlin erzwungenen brutalen Sparprogramme, die bereits jetzt den Kontinent in die Rezession führen. Sie entziehen den betroffenen Volkswirtschaften private und staatliche Nachfrage; dies führte zuletzt in Griechenland über eine Art Kettenreaktion – steigende Arbeitslosigkeit, staatliche Mehrausgaben für Erwerbslose, sinkende Steuereinnahmen – zu einem Abwärtssog, der die staatlichen Einsparungen zunichte machte und die Schuldenlast noch stärker anschwellen ließ. „Inzwischen scheint der Euro-Raum in der Rezession“, heißt es entsprechend in der Wirtschaftspresse: „Schuld daran sind die Europäer selbst, die sich von den Märkten zu immer hektischeren Sparaktionen mitten in einer ohnehin schon labilen Konjunktur treiben lassen. Ein Trend, zu dem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bedenklich beigetragen hat.“ Die Folgen sind demnach klar: „Wenn Europa in die Rezession rutscht, sind die Sparprogramme vieler Staaten bald Makulatur. Dann werden weitere Einsparungen nötig, um die Ziele zu erreichen. Griechenland erlebt diese Abwärtsspirale seit zwei Jahren, jetzt sind auch Italien und Frankreich bedroht. Merkel erreicht mit ihrer Politik der eisernen Hand das Gegenteil von dem, was sie will.“[8]

Folgen für Deutschland

Der sich abzeichnende Wirtschaftseinbruch wird dabei auch das derzeit in einer Art imperialem Rausch taumelnde Deutschland hart treffen. Darauf deutet bereits der jüngste Exporteinbruch um 3,6 Prozent im Oktober hin. Rund 40 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in die Eurozone, in der die deutsche Industrie an die 60 Prozent ihrer Exportüberschüsse erzielt. Sollten dort weitere Länder tiefer in die Krise gerissen werden, liegen die ökonomischen Konsequenzen für die Bundesrepublik auf der Hand. Über die politischen Folgen spekuliert etwa die New York Times. „Wenn der Euro erhalten bleibt und sich Europa in Richtung auf größere Einigkeit bewegt, wird Frau Merkel vermutlich der Löwenanteil des Verdienstes daran zuerkannt“, schreibt das Blatt. „Aber wenn sich ihr Rezept als unzureichend entpuppt“, heißt es warnend, dann „könnte ihr die Schuld dafür zugesprochen werden, über den Kollaps des Euro präsidiert zu haben“.[9]

Quellen:

[1] Jetzt regiert Angela Merkels harte Hand in Europa; www.welt.de 28.11.2011<br />
[2] Merkels Wort gilt – aber nur auf dem Festland; www.handelsblatt.com 09.12.2011<br />
[3] Bumpy ride for fiscal compact in Dublin, Prague, Helsinki; euobserver.com 14.12.2011<br />
[4] Hollande will über Brüsseler Beschlüsse neu verhandeln; www.faz.net 12.12.2011<br />
[5] US-Magazin warnt die EU vor Bundeskanzlerin Merkel; www.welt.de 13.12.2011<br />
[6] Euro Crisis Pits Germany and U.S. in Tactical Fight; www.nytimes.com 10.12.2011<br />
[7] „EZB wird Anleihenkauf verstärken“; www.handelsblatt.com 09.12.2011<br />
[8] Merkels Würgegriff schadet, statt zu nützen; www.ftd.de 07.12.2011<br />
[9] USA zittern vor dem „Tempo“ der Eisernen Kanzlerin; www.welt.de 13.12.2011

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