Polen und die EU

„Junge Welt“, 13.12.2011
Premierminister Tusk setzt auf die Stärkung Europas und die Annäherung Warschaus an Berlin

Polen, das einstmals als östlicher Kontrahent Berlins auftrat, vollendet derzeit eine fundamentale geopolitische Neuausrichtung. In den polnisch-deutschen Beziehungen sei man sich in »wichtigen Fragen bezüglich der EU so nah« wie nie zuvor, ließ die führende polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza kurz vor Beginn des jüngsten EU-Krisengipfels verlautbaren. Polen sei für Deutschland zu einem der wenigen »Verbündeten in der Wirtschaftspolitik« avanciert, schrieb Piotr Buras von der deutsch-polnischen Diskussionsplattform Kopernikus-Gruppe, die im Umfeld des Deutschen Polen-Instituts angesiedelt ist. Ähnliches war auch in der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita zu lesen, die Einschätzungen aus dem inneren Zirkel der polnischen Diplomatie wiedergab, denen zufolge Deutschland nun zum »wichtigsten« Partner Warschaus aufsteige. »Wir müssen die Deutschen unterstützen, sie sind uns am nächsten«, so faßte die Rzeczpospolita die Stimmung innerhalb des polnischen Diplomatenkorps zusammen.

Diese Neuausrichtung der polnischen Bündnispolitik kontrastiert mit den enormen Spannungen zwischen Berlin und Warschau, die seit der Ankündigung des Baus der Ostseepipeline durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder jahrelang fortbestanden. Der ehemalige konservative polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski versuchte während seiner Regierungszeit, eine enge Allianz mit den USA als Gegengewicht zur Konfrontation mit Berlin und Moskau zu schmieden, die in den Plänen zur Errichtung einer US-Raketenabwehr auf polnischem Boden gipfelte. Die konservative Opposition kritisiert auch derzeit die Annäherung Warschaus an Berlin vehement. Nach einer kontroversen Rede des polnischen Außenministers Radosaw Sikorski, der Berlin zur »Führung« Europas in der Krise aufrief, organisierte sie sogar eine Demonstration zur »Verteidigung der nationalen Souveränität« Polens.

Erst nach dem Wahlsieg des derzeitigen Ministerpräsidenten Donald Tusk 2007 setzte eine langsame Umorientierung polnischer Außenpolitik in Richtung strikter EU-Intergration ein, die nun in einer sich anbahnenden Allianz mit Berlin ihre Fortsetzung findet. Tusk kritisierte laut der Financial Times den Alleingang des britischen Premiers David Cameron auf dem vergangenen Gipfel scharf, indem er ihm vorwarf, »zu hoch gepokert« zu haben und »leeren Ambitionen« gefolgt zu sein. Die New York Times (NYT) sieht bereits eine »Achse Paris, Berlin, Warschau«, die als »Kern eines stärker integrierten Europa« fungieren könnte. Polen hat in Europa »seltene Güter« zu bieten, so die NYT: »Eine wachsende Ökonomie und Enthusiasmus für die europäische Integration«. Zudem befände sich die polnische Führung aufgrund der von »Invasion, Teilung und Okkupation« geprägten polnischen Geschichte in der »einzigartigen Position, die anschwellenden Befürchtungen vor deutscher Dominanz in Europa zu dämpfen«. Premier Tusk erklärte vor kurzem, daß die Antwort auf die Krise in »mehr Europa und mehr europäischer Integration« bestehen müsse. Anfang Dezember hat Sikorski sogar angekündigt, daß Polen binnen vier Jahren den Euro einführen werde, wenn die Euro-Zone zuvor die »notwendigen Reformen« durchführe.

Der renommierte private Nachrichtendienst Stratfor befaßte sich kürzlich in einer geopolitischen Analyse mit diesem abrupten Kurswechsel Warschaus. Demnach sei die polnische Regierung derzeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestrebt, die Euro-Zone wie auch die EU als »institutionelle Fesseln« für Deutschland sowie als »Sicherheitspolster« gegen Rußland beizubehalten. Warschau müsse das »strategische Risiko«, das von Moskau und Berlin im Fall des »Zusammenbruchs der Union« ausgehen würde, gegen die »negativen Implikationen eines starken Deutschlands« abwägen, das am »Steuerruder der Europäischen Union sitzt«. Da die USA aufgrund einer »Dekade von Konflikten im Mittleren Osten« kaum gewillt sein dürften, eine »kostspielige Sicherheitspartnerschaft« in Osteuropa einzugehen, habe sich Warschau für »ein starkes Deutschland« entschieden, weil Berlin »selbst mit freieren Zügeln innerhalb der Europäischen Union eingeschränkt genug« bleibe.

Dieser polnische Pragmatismus, der aus historischen Erfahrungen heraus auf die Vermeidung von offenen Konflikten mit seinen übermächtigen Nachbarstaaten abzielt, gelangt inzwischen auch beim Umgang mit der Ostseepipeline zur Anwendung: Der polnische Gasversorger PGNiG werde künftig 2,3 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases in Deutschland kaufen, meldeten polnische Medien kürzlich.

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