Katastrophengipfel

„Junge Welt“, 02.11.2011
Von Beginn an gescheitert: Die maßgeblich von Berlin durchgesetzten Beschlüsse des letzten EU-Treffens können eine Eskalation der Krise nicht einmal hinauszögern

Die Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou vom Montag abend, ein Referendum über die jüngsten Sparbeschlüsse seiner Regierung abzuhalten, hat die globalen Finanzmärkte und Europas Politeliten in helle Aufregung versetzt. Vor allem seitens der deutschen Regierung, die maßgeblich an der Durchsetzung des brutalen Kürzungsdiktats in Athen beteiligt war, wurde diese demokratische Selbstverständlichkeit mit »Verwunderung« (tagesschau.de) aufgenommen. Sollten die Referendumspläne Athens tatsächlich realisiert werden, dürften bei einer wahrscheinlichen Ablehnung des Brüsseler Sparterrors auch die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels zur Makulatur werden. Die Europäische Union ist dadurch akut von einem Desintegrationsschub bedroht, dessen Konsequenzen derzeit nicht absehbar sind.

Dabei haben die dramatischen Entwicklungen der letzten Tage bereits unter Beweis gestellt, daß die wesentlich von Berlin geformten Gipfelbeschlüsse unzureichend sind, um die Eskalation der Krise auch nur hinaus zu zögern. Besonders deutlich tritt dieses Versagen der Antikrisenmaßnahmen bei der geplanten »Hebelung« des Krisenfonds EFSF zutage. Die noch freien Mittel des EFSF von rund 250 Milliarden Euro sollen dazu aufgewendet werden, um Staatsanleihen von rund einer Billion Euro teilweise gegen Ausfall zu versichern. Durch diese Teilkasko-Kreditversicherung sollte ein Übergreifen der Schuldenkrise auf andere südeuropäische Länder verhindert werden, die nach dem »Schuldenschnitt« von 50 Prozent in Athen droht. Einer »Brandmauer« (Barosso) gleich sollten die Mittel des EFSF verwendet werden, um einen Anstieg der Zinslast in Spanien und Italien zu verhindern.

Doch nur wenige Tage nach den Gipfelbeschlüssen stiegen die Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen auf 6,06 Prozent, was eine längerfristig kaum tragbare Last für die hochverschuldete Volkswirtschaft darstellt. Italien befinde sich »in der Todeszone«, so kommentierte der Wirtschaftsblog Querschuesse.de diese dramatische Zuspitzung der Lage. Offenbar wird das Versicherungsmodell, bei dem rund 25 Prozent des Werts der Staatsanleihen gegen Ausfall abgesichert werden sollten, an den Märkten für Staatsanleihen nicht angenommen. Das liegt auch daran, daß der Schuldenschnitt Athens rein formell »freiwillig« ablief und deswegen keinen Versicherungsfall bei bereits bestehenden Kreditversicherungen (CDS, Credit Default Swaps) auf griechische Staatsanleihen auslöste. »Niemand, der alle Tassen im Schrank hat, wird jetzt noch CDS von Staatsanleihen als Sicherheit akzeptieren«, prognostizierte ein Finanzmanager gegenüber dem Finanzblatt Forbes. Die Kreditversicherung – die ohnehin die Funktionsweise hochspekulativer Hypotekenversicherungen imitiert – ist somit bereits gescheitert, bevor sie realisiert werden konnte.

Der Schuldenschnitt in Athen wurde überhaupt erst aufgrund der drastischen Kürzungspakete notwendig, die Griechenland in einer Wirtschaftsdepression versinken ließen und die Staatsschuld auf 160 Prozent des BIP katapultierten. Durch den Schuldenschnitt soll diese nun bis 2020 auf 120 Prozent des BIP gedrückt werden – auf diesen Niveau bewegten sich die Verbindlichkeiten Athens vor der Durchsetzung der »Sparmaßnahmen«. Eine ähnlich dramatische Entwicklung bahnt sich in Portugal an, wo auf Brüssler Geheiß im Gegenzug für Krisenkredite ebenfalls drastische Kürzungen umgesetzt werden. Lissabon mußte aufgrund der einbrechenden privaten und staatlichen Konsumausgaben jüngst die Rezessionsprognose für 2012 von einem Minus von 1,8 Prozent auf einen Einbruch von 2,8 Prozent korrigieren. Die Staatsverschuldung ist im zweiten Quartal 2011 auf 106 Prozent des BIP hochgeschnellt – nach 94 Prozent im Vorquartal. Obwohl diese brutale Kahlschlagspolitik offensichtlich gescheitert ist, setzten Paris und Berlin auf dem vergangenen Gipfel nun auch Rom unter Druck und verlangen eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild. Italien soll bis 2013 seinen Haushalt ausgleichen und bis 2014 die Staatsverschuldung von derzeit 120 auf 113 Prozent des BIP senken.

Schließlich scheinen auch die Bemühungen der Europäer um einen globalen Export der europäischen Schuldenkrise im Sande zu verlaufen. Klaus Regling, der deutsche Chef des EFSF, unternahm Ende Oktober eine Rundreise durch mehrere Schwellenländer, um diese zum Aufkauf europäischer Staatsanleihen zu bewegen. Zusagen für ein nennenswertes Engagement konnte er weder in Moskau noch in Peking oder Tokio erhalten. Im Gegenzug für Finanzspritzen sollen vor allem Rußland und China politische Zugeständnisse gemacht werden, wie etwa deren Anerkennung als vollwertige Marktwirtschaften. Diese machtpolitische Selbstverständlichkeit bringt aber deutsche Kapitalvertreter auf die Palme: »Die Grenze ist überschritten, wenn die Euro-Staaten sagen: Wir bieten euch eine politische Gegenleistung, damit ihr uns Geld zur Verfügung stellt«, polterte der Präsident des Kapitalverbandes BDI, Hans-Peter Keitel, gegenüber Spiegel online.

Die Betteltour Relings ist aber auch ein Eingeständnis des Scheiterns: Der Versuch, außereuropäischer Geldgeber zu mobilisieren, bedeutet, die EU kann der europäischen Schuldenkrise nicht mehr alleine Herr werden.

Nach oben scrollen