„Neues Deutschland“, 24.08.2011 (erschien leicht gekürzt)
Die konjunkturbelebende Schuldendynamik wurde verstaatlicht – und gelangt nun an ihre Grenze
Dank der staatlichen Konjunkturprogramme im Zuge der Finanzkrise wirkte die »auf Pump« generierte Nachfrage stimulierend auf die Wirtschaft. Inzwischen erlahmt diese staatliche Defizitbildung – und die Konjunktur geht in die Knie.
Das Börsenbeben der letzten Wochen wird keine Episode bleiben. Es markiert den Beginn eines abermaligen globalen Krisenschubs, der sich aufgrund der finanziellen Erschöpfung der wichtigsten kapitalistischen Volkswirtschaften und Währungsräume klar abzeichnet. Nicht umsonst werden in den Medien wahlweise die Schuldenkrisen in der Eurozone und den USA, oder die sich rasch eintrübenden globalen Konjunkturaussichten für die dramatischen Kurseinbrüche an den Aktienmärkten verantwortlich gemacht.
Dabei ist aber der innere Zusammenhang zwischen Staatsschuldenkrise und Konjunkturabschwung für das Verständnis der Krisendynamik entscheidend. Es ist kein Zufall, dass den Staaten und der Konjunktur zeitgleich die Puste ausgeht, bildeten doch die – kreditfinanzierten! – Staatsausgaben den wichtigsten Konjunkturmotor der vergangenen drei Jahre. An die drei Billionen Euro wendeten die Regierungen weltweit nach Krisenausbruch im Rahmen von Konjunkturprogrammen zur Ankurbelung der Wirtschaft auf, was in etwa 4,7 Prozent des Welteinkommens in 2009 entsprach. Systemstabilisierend wirkten auch die krisenbedingten staatlichen Mehrausgaben für soziale Sicherungssysteme oder die milliardenschweren ‚Bailouts‘ für strauchelnde Banken. In Wechselwirkung mit sinkenden Steuereinnahmen führten diese Mehraufwendungen zu einer regelrechten Explosion der Staatsverschuldung insbesondere in den Ländern, in denen zuvor Immobilienblasen geplatzt waren (siehe ND vom 18.05.2011).
Die konjunkturellen Auswirkungen auslaufender Konjunkturprogramme lassen sich sehr gut am Beispiel der USA nachvollziehen, die mit Gesamtaufwendungen von rund 800 Milliarden ende 2008 das weltweit größte Maßnahmenpaket zur Wirtschaftsbelebung schnürten. Nachdem die meisten Konjunkturmaßnahmen Mitte 2010 ausliefen, kann eindeutig eine Konjunkturabkühlung von 3,8 Prozent im zweiten Quartal, auf 2,5 Prozent im dritten Quartal und 2,3 Prozent im vierten Trimester 2010 konstatiert werden. 2011 befinden sich die USA in Stagnation, wobei inzwischen – auch aufgrund der im Zuge der Anhebung der Schuldengrenze beschlossenen Sparmaßnahmen – ein Abdriften der Vereinigten Staaten in die Rezession sehr wahrscheinlich ist. Die kreditfinanzierten Konjunkturprogramme führten somit zur Ausbildung einer Defizitkonjunktur, bei der ‚auf Pump‘ generierte Nachfrage stimulierend auf die Wirtschaft wirkte - sobald diese Defizitbildung erlahmt, geht auch die Konjunktur in die Knie.
Die staatliche Krisenpolitik hat das Weltfinanzsystem nach dem Platzen der Immobilienblasen in 2007/08 auch durch Staatsgarantien und den massenhaften Aufkauf ‚toxischer Wertpapiere‘ stabilisiert, die in den Bilanzen der Notenbanken geparkt wurden und diese zu ‚Giftmülldeponien des Kredits‘ (siehe ND vom 27.07.2011) wandelten. Schließlich führte die expansive, historisch einmalige Niedrigzinspolitik der Notenbanken zur Herausbildung der gerade kollabierenden Liquiditätsblase an den Weltfinanzmärkten, die in ihrer Aufstiegsphase ebenfalls kurzfristig Systemstabilisierend und konjunkturbelebend wirke.
Diese innigste Verflechtung zwischen Staat und Finanzmärkten resultiert aus der Tatsache, dass die Staaten im Endeffekt nun die konjunkturbelebende Verschuldungsdynamik aufrecht erhalten, die zuvor auf den Jahrzehntelang expandierenden Finanzmärkten betrieben wurde. Der Aufstieg der Finanzmärkte seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ging mit einer Expansion des Kredits wie auch der privaten Verschuldung insbesondere in den USA einher. Bevor die Staaten nun an ihr Schuldenlimit stoßen, haben die privaten Verbraucher in den USA, Irland, Spanien, Großbritannien und weiten Teilen Osteuropas mit ihrer schuldenfinanzierten Nachfrage die Wirtschaft am Laufen erhalten. Als globale Katalysatoren dieser finanzmarktgetriebenen Verschuldungsdynamik fungierten zusätzlich die Spekulationsblasen mit Aktien des High-Tech-Sektors (bis 2000) und auf den Immobilienmärkten (bis 2008). Die Staaten haben mit ihren Konjunkturprogrammen diese vermittels ausufernder Blasenbildung zuvor auf den Finanzmärkten betriebene Defizitkonjunktur de facto ‚verstaatlicht‘ – bis zum nun akut drohenden Staatsbankrott. Die staatliche Krisenpolitik befindet sich somit in einer Aporie, in einem unlösbaren Widerspruch, da sie zugleich sowohl weitere Konjunkturprogramme, wie auch Sparmaßnahmen durchführen müsste.
Es ist auch kein Zufall, dass dieser regelrechte Systemzwang zur Defizitbildung parallel zu den ungeheuren Produktivitätsschüben einsetzt, die ab den 80ern im Gefolge der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik und Informationstechnologie die gesamte kapitalistischen Warenproduktion erfassen. Der Kapitalismus ist zu produktiv für sich selbst geworden und der private oder staatliche Kredit bildet die letzte systemimmanente Möglichkeit, die bereits über den Kapitalismus hinausweisenden Produktionspotenzen zumindest zeitweilig noch innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu bannen. Frei nach Marx ließe sich formulieren: Die Produktivkräfte sprengen gerade die Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.