„Junge Welt“, 07.09.2011
Spannungen zwischen Deutschland und Südeuropa nehmen zu. Um BRD-Exportinteressen nicht zu gefährden, fordern Politiker Austritt von Schuldenstaaten aus Euro-Zone
Der Euro verliert nicht nur auf den Devisenmärkten, sondern auch innerhalb der politischen Klasse Berlins rapide an Wert. Inzwischen stellen auch prominente Politiker der deutschen Regierungskoalition die derzeitige Zusammensetzung des EU-Raums öffentlich in Frage. Der FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms plädierte am Samstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Da Athen seine Schuldenkrise nicht lösen könne, müsse geprüft werden, ob der »Weg über eine Umschuldung und einen Austritt aus dem Euro nicht für die Währungsunion und Griechenland selbst die besseren Perspektiven bietet«. Ähnlich äußerte sich der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gegenüber dem Tagesspiegel am Sonntag. Bosbach plädiert überdies für eine Aufhebung des Fraktionszwangs bei der entscheidenden Abstimmung über die Ausweitung des »Rettungsfonds« EFSF Ende September.
Bewußter Affront
Die jüngste Welle populistischer Empörung in Deutschland lösten Differenzen bezüglich der griechischen Haushaltssanierung zwischen Athen und der sogenannten Troika aus, in der sich Vertreter der EU, der EZB und des IWF finden. Die Troika überprüft regelmäßig die »Fortschritte« Griechenlands bei der Umsetzung der extremistischen Sparvorgaben, die Athen im Gegenzug für die Krisenkredite von Brüssel und Berlin aufoktroyiert wurden. Am vergangenen Freitag haben die Vertreter der Troika durch eine vorzeitige Abreise bewußt einen Affront herbeigeführt. Athen hatte sich geweigert, zusätzliche Kürzungsmaßnahmen zu ergreifen, um das abermals steigende Haushaltsdefizit zu verringern. Angesichts erneut anschwellenden Widerstandes gegen die Sparvorgaben erklärte Ministerpräsident Giorgos Papandreou, daß dies nicht durchsetzbar sei. Rund 76 Prozent der Griechen plädierten bei jüngsten Meinungsumfragen für Nachverhandlungen bei den drakonischen Konditionen für die »Hilfskredite« der EU.
Grund für die aktuellen Spannungen ist das voraussichtliche Verfehlen des diesjährigen Defizitziels von 7,6 Prozent durch Athen. Statt dessen könnte das griechische Haushaltsdefizit sich auf 8,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) summieren. Dabei hat Griechenland bislang die Sparvorgaben der Troika erfüllt. Gleichwohl weitet sich das Haushaltsdefizit Athens aufgrund der durch die extremen Kürzungen angeheizten Rezession immer weiter aus. Nach einem Einbruch von 4,5 Prozent des BIP in 2010 könnte der Rückgang in diesem Jahr sogar fünf Prozent betragen. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres brachen die Einnahmen des griechischen Staates um 6,4 Prozent ein, während die Ausgaben um 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum anstiegen. Allein die Staatszuschüsse für die Sozialversicherungen kletterten krisenbedingt um knapp 1,7 Milliarden Euro, wodurch beispielsweise die Einsparungen bei den öffentlichen Investitionsprogrammen von 1,58 Milliarden Euro aufgebraucht wurden. Insgesamt summiert sich das Haushaltsdefizit Griechenlands zwischen Januar und Juli 2011 auf rund 20 Milliarden Euro, nach nur zwölf Milliarden im Vorjahreszeitraum – also noch bevor die von Brüssel und Berlin durchgesetzten »Sparpakete« gegriffen haben.
Der Widerstand gegen den offensichtlich gescheiterten Sparterror formiert sich auch in Italien. Dort führten die Gewerkschaften am gestrigen Dienstag einen Generalstreik gegen die von der Regierung Berlusconi verabschiedeten Haushaltseinschnitte durch. Rom bemüht sich ohnehin derzeit, das Kürzungspaket aufzuweichen, das in Reaktion auf die steigende Zinslast für Staatsanleihen beschlossen wurden. In den meisten südeuropäischen Mitgliedsländern der Euro-Zone gewinnen aufgrund der globalen Konjunkturabkühlung die Befürchtungen überhand, durch harte Austeritätsprogramme eine ähnliche Depressionsspirale wie in Griechenland auszulösen. Streiks und Proteste flammten ebenfalls in Spanien auf. Zugleich deuten die seit September wieder deutlich anziehenden Zinsen für italienische und auch spanische Staatsanleihen darauf hin, daß die Weiterführung der staatlichen Defizitkonjunkturen an ihre systemischen Grenzen stößt.
Deutschlands Kalkül
Dieser jüngste globale Krisenschub führt die Euro-Zone an der Rand des Zusammenbruchs. Und er läßt die Interessendifferenzen innerhalb der Euro-Staaten eskalieren. Europas südliche Peripherie bemüht sich verzweifelt, eine deflationäre Depressionsspirale nach griechischem Muster zu verhindern. Die dominante europäische Großmacht Deutschland beharrt hingegen auf knallharten Sparprogrammen. Mit seinen durch rabiates Lohndumping erkauften Exportüberschüssen von zeitweise mehr als 100 Milliarden Euro jährlich hat die Bundesrepublik maßgeblich zur Verschuldung Südeuropas beigetragen. Seit der Einführung des Euro summiert sich Deutschlands Leistungsbilanzüberschuß gegenüber der Euro-Zone auf die gigantische Summe von 745,3 Milliarden Euro. Sowohl der Politik als auch den führenden Kapitalverbänden ist durchaus klar, daß diese europäische Transferunion aufgrund der Überschuldung der südeuropäischen Volkswirtschaften nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dieses Kalkül bildet das ökonomische Fundament der um sich greifenden Euro-Skepsis in Deutschland. Und deswegen mehren sich in Berlin die Rufe nach einer kostengünstigen Entsorgung derjenigen überschuldeten Volkswirtschaften, die nicht mehr in der Lage sind, Deutschlands Exportoffensive mit ausartender Verschuldung zu subventionieren.