Die Zeitbombe tickt

„Junge Welt“, 01.08.2011
Italien droht Verschärfung der Schuldenkrise. Zinsaufschläge bei Staatsanleihen. Anhaltende wirtschaftliche Stagnation macht Staatsbankrott mittelfristig wahrscheinlich

Die realwirtschaftliche Halbwertzeit europäischer Krisengipfel nimmt rapide ab, wie sich Italiens Finanzminister am vergangenen Donnerstag überzeugen konnte. Genau eine Woche, nachdem der Brüssler EU-Krisengipfel abermals eine Stabilisierung der Euro-Zone mittels milliardenschwerer Kreditpakete anstrebte, sind die ersten Vorboten eines erneuten Krisenschubs absehbar, der sich in deutlich steigenden Zinsen für die EU-Schwergewichte Spanien und Italien ankündigte. So mußte Rom bei der Ausgabe von Staatsanleihen im Wert von 7,96 Milliarden Euro deutlich höhere Zinsen hinnehmen als im Juni. Staatspapiere mit einer Laufzeit von drei Jahren wurden bei einem Zinssatz von 4,8 Prozent im Wert von 3,5 Milliarden Euro gezeichnet. Die Zinslast stieg somit für Italien binnen eines Monats um 1,1 Prozent. Die Zinsaufschläge gegenüber dem Juni betrugen bei den zehnjährigen Staatsanleihen 0,8 Prozent, die am vergangenen Donnerstag bei 5,77 Prozent notierten. Ab einem langfristigen Zinsniveau von rund sieben Prozent ist eine Haushaltskonsolidierung aufgrund der ausartenden Zinskosten kaum realisierbar.

Die sich abzeichnende Schuldenkrise Roms stellt auch die nächsten Kreditzahlungen Italiens an Griechenland in Frage, die im Rahmen der EU-Krisenmaßnahmen festgelegt wurden, meldete die Nachrichtenagentur Reuters in der vergangenen Woche. Demnach könnte Italien seine Beteiligung an der im September fälligen Tranche aufkündigen, wenn es selber eine höhere Zinslast zu tragen hätte als Griechenland. In einem solchen Fall sehen die konkreten Regelungen der europäischen Krisenmaßnahmen entweder eine Aufstockung der Griechenland-Kredite der übrigen EU-Staaten oder eine gesamteuropäische Entschädigung für Italien vor, bei der Rom die Zinsdifferenz erstattet würde. Beide Varianten würden aber nichts an der Tendenz ändern, daß mit zunehmender Krisendynamik die Reihen der europäischen Gläubigerländer, die überhaupt noch die Finanzierung der beschlossenen Krisenkredite gewährleisten können, sich zusehends lichten.

Dabei ist die enorme Staatsverschuldung Italiens in Höhe von rund 120 Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) keine neuartige Erscheinung, die ausschließlich auf die Krisendynamik zurückzuführen wäre. In den neunziger Jahren nahm die italienische Staatsverschuldung rapide auf mehr als 120 Prozent des BIP zu, um in den folgenden Jahren etwas abzusinken. Vor Krisenausbruch stand Italien mit rund 105 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung in der Kreide, bis die krisenbedingten Mehrausgaben und Einnahmeausfälle für einen raschen Anstieg der Verschuldung sorgen. Dennoch kann Italien kurzfristig dem Krisendruck standhalten, da ein Großteil der italienischen Schulden langfristig finanziert wurde und rund 55 Prozent dieser etwa 1900 Milliarden Euro an Staatsverbindlichkeiten sich in italienischer Hand befinden. Bis September will Rom mit der Ausgabe neuer Anleihen insgesamt rund 40 Milliarden Euro einnehmen, was selbst bei einem hohen Zinsniveau realisierbar sein dürfte.

Doch es ist insbesondere die anhaltende ökonomische Stagnation, die einen Staatsbankrott mittelfristig durchaus wahrscheinlich macht. Im vierten Quartal 2010 und in den ersten drei Monaten dieses Jahres wuchs Italiens BIP minimal um jeweils 0,1 Prozent. Dies ist zu wenig, um den Wirtschaftseinbruch von 2009 zu kompensieren. So befindet sich die Industrieproduktion rund 15 Prozent unter den Höchstwerten am Vorabend der Weltwirtschaftskrise, was etwa dem Produktionsausstoß des Jahres 1994 entspricht. Der Wirtschaftsblog querschuesse.de bemerkte hierzu, daß die italienische Industrieproduktion sich »unbemerkt von der Öffentlichkeit sogar etwas schlechter als in Griechenland entwickelt« habe. Nehme man den Industrieoutput de Jahres 1995 als Referenz, so liege der Produktionsausstoß in Griechenland derzeit 6,99 Prozent unter diesen Werten, in Italien seinen es aber 7,36 Prozent.

Der wirtschaftlichen Misere entspricht ein immer weiter ansteigendes Handelsdefizit Italiens, das 2010 27,4 Milliarden Euro erreichte und in den ersten vier Monaten dieses Jahres bereits auf 17,9 Milliarden anschwoll – und das zur Verschuldungsdynamik der italienischen Volkswirtschaft maßgeblich beiträgt.

An diesem fundamentalen ökonomischen Ungleichgewicht, das sich ebenfalls in einem Leistungsbilanzdefizit Italiens von rund 51 Milliarden Euro im vergangenen Jahr äußerte, wird auch das von der Regierung Berlusconi Mitte Juli verabschiedete Sparpaket im Umfang von 79 Milliarden Euro nichts ändern. Mittels dieses hastig in Reaktion auf steigende Zinslasten verabschiedeten Austeritätsprogramms soll das Haushaltsdefizit auf 3,9 Prozent des BIP in diesem Jahr abgesenkt, und 2014 ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden.

Damit schnappt auch in Italien die Krisenfalle zu, die nahezu allen bankrottgefährdeten Volkswirtschaften der südlichen Peripherie der Euro-Zone zum Verhängnis wurde, wie der italienische Oppositionsführer Pier Luigi Bersani gegenüber Medienvertretern ausführte: »Die von der Regierung verabschiedeten Maßnahmen werden das Wirtschaftswachstum bremsen. Eine Zeitbombe tickt, die 2013 explodieren wird.« Kurz zuvor forderte der für die Ratingagentur Fitch tätige Analyst David Riley im Corriere della Sera ein weiteres Sparpaket, falls die ohnehin mageren Wachstumsprognosen der Regierung Silvio Berlusconis von 1,1 Prozent für dieses Jahr nicht erreicht werden sollten: »Wenn sich dieser Wachstumsrhythmus nicht materialisiert, muß die Regierung womöglich weitere Maßnahmen bei Steuern und Ausgaben in Erwägung ziehen, um bis 2014 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.«

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