„Junge Welt“, 27.06.2011
Konflikt um Berg-Karabach. Vermittlung von Rußlands Präsidenten brachte keine Annäherung zwischen Aserbaidschan und Armenien
Rußlands Präsident Dimitri Medwedew investierte in den vergangenen Monaten viel Zeit und Energie, um den »eingefrorenen« Dauerkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan nach mehr als zwei Dekaden endlich zu entschärfen. Bei einer ganzen Reihe von trilateralen Treffen sollten die Staatschefs der verfeindeten südkaukasischen Republiken zur Unterzeichnung einer Grundsatzvereinbarung motiviert werden, die die Grundlagen eines weitgehenden Entspannugs- und Friedensprozesses umreißt. Bis 1994 tobte ein Krieg zwischen beiden Staaten um die von Armeniern bewohnte Region Nagorny Karabach (Berg-Karabach), die aber zum Territorium der aserbaidschanischen SSR gehörte. Er kostete 30000 Menschen das Leben und endete mit einer Niederlage Aserbaidschans. Seitdem hat Baku immer wieder gedroht, die abtrünnigen Gebiete notfalls mit Gewalt in den aserbaidschanischen Staatsverband einzugliedern. Bis heute ist das Gebiet zwischen beiden Ländern umstritten.
Auch der jüngste Gipfel in Kasan brachte nicht den erhofften Durchbruch. Die Staatschefs der ehemaligen Sowjetrepubliken – Armeniens Präsident Sersch Sargsjan und sein aserbaidschanischer Kontrahent Ilcham Alijew – konnten sich trotz wachsendem internationalen Druck nicht auf die Unterzeichnung des Grundlagenpapiers verständigen. Armeniens Außenminister, Edward Nalbandjan, erklärte nach dem Scheitern der Verhandlungen, daß Aserbaidschan noch zusätzliche Änderungen an dem Papier vornehmen wollte. Aus dem aserbaidschanischen Außenministerium hieß es postwendend, Armenien habe Aserbaidschan »maximale Zugeständnisse« abverlangt.
Die von Rußland wie auch dem Westen unterstützte Grundsatzvereinbarung sieht im ersten Schritt den Rückzug armenischer Einheiten aus der Pufferzone – dem besetzen aserbaidschanischen Territorium im Umfeld von Nagorny Karabach – vor, die dann durch UN-Friedenstruppen ersetzt werden sollen. Deswegen ist die Rückkehr der Flüchtlinge, die Etablierung eines armenischen Sicherheitskorridors, ein Interimsstatus für Nagorny Karabach, wie auch perspektivisch ein Referendum in dieser Enklave geplant.
Die von der russischen Diplomatie seit März 2011 intensivierten Friedensbemühungen finden in einer Periode verstärkter Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien statt. In den letzten Monaten hat es vermehrt Zwischenfälle an der Waffenstillstandslinie gegeben, begleitet von einer martialischen Rhetorik der politischen Führung beider Länder. »Unsere Geduld ist nach all den Jahren am Ende«, erklärte ein Mitarbeiter der aserbaidschanischen Präsidialverwaltung gegenüber Pressevertretern im Vorfeld des Gipfels von Kasan. Den zunehmenden militärischen Scharmützeln auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie fielen allein im vergangenen Jahr 30 Menschen zum Opfer.
Das militärische Kräfteverhältnis in der Region hat sich aufgrund der enormen Öleinnahmen zugunsten Aserbaidschans verschoben. Baku verfügt über einen Militäretat von der Größe des gesamten armenischen Staatshaushalts. Da Projektionen zufolge Aserbaidschans Öleinnahmen nach 2014 sinken sollen, könnte es nach Ansicht von Beobachtern in den nächsten Jahren versucht sein, eine militärische Entscheidung zu suchen. Am gestrigen Sonntag hielt Aserbaidschan eine pompöse Militärparade ab, bei der die neuste Militärtechnik vorgeführt wurde.
Das mit der Türkei verbündete Aserbaidschan sieht sich derzeit auch geopolitisch gegenüber dem verarmten Armenien im Vorteil. Bei etlichen Energieprojekten, wie etwa der Nabucco-Pipeline, ist Baku zu einem unverzichtbaren Partner des Westens avanciert. Armeniens wichtigster Verbündeter ist Rußland, das einen Militärstützpunkt im Land unterhält. Doch Moskau ist aufgrund geo- und energiepolitischer Interessen gleichzeitig um beste Beziehungen zu Aserbaidschan bemüht. So hatte Baku 2010 beispielsweise die modernsten S-300 Luftabwehrsysteme von Rußland erwerben können, die es auch bei der Militärparade am Sonntag vorführte.