Neues Deutschland, 18.05.2010
Parallelen zwischen den Pleitekandidaten in Euroland und den USA
Nicht erst mit dem Erreichen der gesetzlichen Schuldenobergrenze in den USA drängen sich Parallelen mit der Euro-Krise auf. Das Haushaltsdefizit beträgt mehr als zehn Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), und die Gesamtverschuldung wird 2012 auf mehr als 100 Prozent des US-BIP steigen.
Somit nähert sich Washington einem Verschuldungsniveau an, das auch viele europäische Pleitekandidaten aufweisen. Griechenland verzeichnete schon bei Ausbruch der Krise eine Staatsverschuldung in Höhe von gut 125 Prozent des BIP. Irland sowie Portugal sind ebenfalls dabei, einen Schuldenberg in Höhe ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung aufzutürmen.
Frappierend sind auch die Parallelen bei der Verschuldungsdynamik. 2007, vor der Weltwirtschaftskrise, hatte der irische Staat eine Verschuldung von gerade mal 25 Prozent des BIP. In Spanien lag die Staatsschuld knapp über 35 Prozent. Selbst in den USA lag eine moderate Verschuldung von etwas mehr als 60 Prozent des BIP vor.
Mehrere Faktoren führten dazu, dass scheinbar finanzstarke Staaten auf beiden Seiten des Atlantiks binnen weniger Jahre zu Pleitekandidaten mutierten. So hat die Politik die ungeheuren Kosten sozialisiert, die aus dem Platzen der Immobilienblasen in Irland, Spanien und den USA resultierten. In den Vereinigten Staaten kommen die milliardenschweren Hilfen für den Finanzsektor dazu. Und die irische Regierung erließ kurz nach Krisenausbruch ein Gesetz, das den Steuerzahler für die Verluste des Finanzsektors haftbar machte. Der spanische Staat wiederum pumpt Milliarden in die Sparkassen des Landes, die auf Bergen fauler Kredite und Hypotheken sitzen.
Die Folgen dieser platzenden Spekulationsblasen überstiegen bei Weitem die Krisenkosten, die andere Volkswirtschaften wie etwa Deutschland zu tragen hatten. Dabei wurden die heutigen Pleitekandidaten über Jahre als besonders dynamisch gehandelt, da die mit ausartender privater Verschuldung einhergehende Spekulationsdynamik die Konjunktur belebte. Griechenland bildet jedoch eine Ausnahme, da das dortige kreditfinanzierte Wachstum mittels staatlicher Verschuldung generiert wurde. Nach dem Zusammenbruch des finanzmarktinduzierten Booms hat die Politik in diesen Ländern nichts weiter vollbracht, als die gigantischen Schuldenberge vom Finanzsektor auf den Staat umzuschichten.
Ein weiteres Merkmal, das die heutigen Pleitekandidaten westlich und östlich des Atlantiks teilen, besteht in ihren bis zum Krisenausbruch beständig ansteigenden Leistungsbilanzdefiziten, die zuvorderst aus Handelsdefiziten bestanden. Diese ermöglichten es exportorientierten Volkswirtschaften wie Deutschland und China, an diesen Defizitkonjunkturen dank wachsender Handelsüberschüsse zu partizipieren, ohne selber eine Verschuldungsdynamik auszubilden. Der Euro wie auch die feste Bindung der chinesischen Währung an den US-Dollar verhinderten zudem, dass die zunehmenden Handelsungleichgewichte vermittels einer Währungsabwertung ausgeglichen werden konnten.
Ein wichtiger Unterschied zwischen den Schuldenstaaten besteht aber in den vielfältigen Möglichkeiten, die Washington dank der Funktion des Dollar als – wenngleich angekratzte – Weltleitwährung innehat. Die USA konnten mit gigantischen Konjunkturprogrammen sowie einer historisch einmaligen Geldschwemme einen ökonomischen Einbruch hinauszögern, wie ihn etwa Griechenland oder Irland aufgrund drakonischer Sparpakete derzeit erleben.
Doch auch Washingtons finanzpolitischen Spielräume werden enger, wie die aktuelle Entwicklung zeigt. Diese Entwicklung hatte der bekannte Ökonom Nouriel Roubini bereits auf dem Höhenpunkt der Griechenland-Krise im April 2010 prognostiziert: »Heute machen sich die Märkte Sorgen um Griechenland, aber Griechenland ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Risiko, dass in den nächsten zwei oder drei Jahren in den USA etwas Ernstes passiert, ist erheblich.«