„Neues Deutschland“, 09.02.2011
Der längst stattfindende Klimawandel verschärft die Knappheit bei Grundnahrungsmitteln
Der massive Preisanstieg bei Agrarrohstoffen hält weiter an. Ein Hauptgrund dafür ist der Rückgang der Ernteerträge – bei gleichzeitig steigender Nachfrage.
Nur knapp drei Jahre nach der globalen Nahrungsmittelkrise von 2008 verzeichnet die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) neue historische Höchststände. So hat der aus einer Zusammenstellung von Grundnahrungsmitteln errechnete FAO-Preisindex zwischen Dezember und Januar den stärksten je gemessenen Anstieg um 3,4 Prozent auf 230,7 Punkte verzeichnet.
Steiler Anstieg seit Sommer 2010
Der bisherige Höchststand dieses Indizes, in dem unter anderem Getreide, Milchprodukte, Öl und Zucker erfasst werden, wurde mit 224,1 Zählern im Juni 2008 erreicht. Damals brachen in Dutzenden von Ländern aufgrund der explodierenden Preise für Grundnahrungsmittel Hungerunruhen aus. Die Weltwirtschaftskrise ließ die Rohstoff- und Lebensmittelpreise dann kurzfristig absacken, doch seit Sommer 2010 explodieren diese regelrecht – der FAO-Preisindex stieg im Januar bereits im siebten Monat in Folge an.
Zu diesem rasanten Auftrieb trug die steigende Nachfrage in den Schwellenländern wie China bei, aber auch der Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von »Biokraftstoffen«. Während weltweit circa eine Milliarde Menschen Hunger leidet, werden gut fünf Prozent der global angebauten Nutzpflanzen zur Deckung von 0,3 Prozent des jährlichen Energieverbrauchs verwendet. Hinzu kommt eine der kapitalistischen Produktionsweise generell innewohnende Tendenz zur Verschwendung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Diese äußert sich beispielsweise in der Tatsache, dass allein in den USA circa 40 Prozent der produzierten Nahrungsmittel auf dem Müll landen. Zudem erfuhren fast alle Rohstoffe im Verlauf des vergangenen Jahres aufgrund der durch Konjunkturprogramme und eine expansive Geldpolitik reanimierten Weltkonjunktur einen gewissen Preisauftrieb. Doch die Preise für Lebensmittel stiegen bis zum vergangenen Sommer weitaus langsamer als die von anderen Energieträgern oder Rohstoffen: Mitte 2010 erreichte der FAO-Index gerade mal 160 Punkte.
Die eigentliche Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln setzte erst im Gefolge etlicher Wetterextreme ein, die im vergangenen Jahr zu erheblichen Ernteausfällen in mehreren Weltregionen führten. Während in Russland eine historisch einmalige Hitzewelle Unmengen von Bränden entfachte und zu Ernteausfällen von gut 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr führte, wurden nahezu zeitgleich weite Landstiche Pakistans von einer schweren Flutkatastrophe in Mitleidenschaft gezogen, die knapp eine Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zerstörte. Bereits im vergangenen August warnte die US-amerikanische Zeitschrift »Foreign Policy« aufgrund dieser Dürrekatastrophen davor, dass die »globale Lebensmittelsicherheit bis zur Belastungsgrenze angespannt« sei.
Die Kaskade extremer Wetterereignisse deckt sich auffällig mit den von der Klimawissenschaft aufgestellten Prognosen, die bei fortschreitender Erderwärmung von einer Zunahme extremer Wetterereignisse ausgehen. Aktuell reihen sich die gigantischen Überflutungen in Australien und in Sri Lanka in diesen Trend ein.
Rückgang bei globalen Ernteerträgen
Tatsächlich haben die besagten Wetterextreme auch auf globaler Ebene bereits zu erheblichen Ernteausfällen bei etlichen Grundnahrungsmitteln geführt. Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) zufolge dürften die weltweiten Ernteerträge bei allen Getreidearten in der Saison 2010/11 um circa 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgehen. Unter Berücksichtigung der steigenden Bevölkerungszahl ergibt sich sogar ein Rückgang der verfügbaren Getreidemenge pro Kopf um 5,1 Prozent. Die Ernteausfälle in Russland und etlichen postsowjetischen Republiken führten zu einem Einbruch der Weizenerträge von fast sechs Prozent. Die Hälfte des globalen Ernterückgangs bei Getreide in dieser Saison ist laut USDA auf die Hitzewelle in Russland, der Ukraine und Kasachstan zurückzuführen.
Die heftigen Preisausschläge bei Grundnahrungsmitteln in den vergangenen Monaten führt das US-Landwirtschaftsministerium vor allem auf die unelastische Nachfrage zurück. Es bedürfe sehr hoher Preissprünge um circa ein Viertel etwa bei Getreide, um die Nachfrage auch nur um einen Prozentpunkt zu drücken. Die »unsichtbare Hand« des kapitalistischen Weltmarkts ist somit gerade bemüht, den Armen der Welt das Essen abzugewöhnen.