„Neues Deutschland“, 19.01.2010
Die Rechtsregierung will die heimische Bourgeoisie stärken – zu Lasten der armen Schichten
Die stramm rechte ungarische Fidesz-Regierung um Ministerpräsident Viktor Orban befindet sich in der EU nicht nur wegen ihres umstrittenen Mediengesetzes unter Beschuss. Auch eine Sondersteuer stößt auf Kritik. Budapest verfolgt in der Wirtschaftspolitik strategische Ziele.
Etliche westeuropäische Großkonzerne wie Allianz, RWE, E.on und Deutsche Telekom hatten sich Mitte Dezember in einem Brandbrief an die EU-Kommission über eine von der ungarischen Regierung eingeführte Krisensteuer beschwert. Damit würde Ungarn an die 1,3 Milliarden Euro einnehmen. Brüssel kündigte darauf an, die bis Ende 2012 erhobene Sondersteuer auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht zu prüfen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gab den empörten Konzernen sofort Rückendeckung: »Abgaben, die vorrangig ausländische Unternehmen betreffen, sind für den europäischen Binnenmarkt grundsätzlich problematisch.« Gegen die Kritik wird in Ungarn jetzt mit harten Bandagen vorgegangen. Auf der konservativen Internet-Plattform »polgarinfo« wurde jetzt ein Boykott-Aufruf von Prominenten veröffentlicht. Die ungarischen Konsumenten sollten nicht mehr bei jenen 13 Firmen einkaufen, die »nach Brüssel und zu den westlichen Medien laufen, um ihre eigenen finanziellen Interessen zu schützen«.
Sondersteuer nur für bestimmte Branchen
Die ungarische Regierung agiert durchaus geschickt, da von der neuen Steuer nur Großunternehmen aus der Energiewirtschaft, der Telekommunikation, der Finanzbranche und dem Einzelhandel betroffen sind. In diesen Branchen ist eine Verlagerung der Unternehmenstätigkeit ins Ausland kaum möglich; die Unternehmen können sich der Abgabe also kaum entziehen. Allerdings gab die ungarische Tochter des russischen Ölkonzerns Lukoil wegen der Steuer ihre Lizenz für den Treibstoff-Großhandel zurück.
Die in Ungarn tätigen Einzelhandelskonzerne sollen eine Sondersteuer in Höhe von 2,5 Prozent des Nettoumsatzes rückwirkend für 2010 entrichten. Telekomkonzerne werden mit einer Erhöhung der bisherigen Steuerlast um 6,5 Prozent zur Kasse gebeten. Bereits Mitte 2010 führte Budapest zudem eine Bankenabgabe in Höhe von 0,45 Prozent der Bilanzsumme ein.
Bei der Ausgestaltung ihrer Krisensteuer scheinen sich Ungarns Rechtsausleger auch an der Unterscheidung zwischen dem »guten schaffenden« und dem »bösen raffenden« Kapital orientiert zu haben, wie sie auch in faschistischer Propaganda üblich ist: Nur der »produktive Kapitalismus« sei wertvoll, die Spekulanten hingegen gelangten an ihr Geld »auf eine Art und Weise, die notwendigerweise anderen schadet«, tönte Orban während einer Grundsatzrede Mitte 2010. In der Tat ist beispielsweise die Automobilbranche von der Krisensteuer ausgenommen. Im Gegenteil: Die deutschen Hersteller, die erst im vergangenen September Neuinvestitionen in Milliardenhöhe in Ungarn ankündigten, können in der Regel mit Staatssubventionen in Höhe von fünf bis zehn Prozent der Investitionssumme rechnen.
Eine »Flat Tax« zum Wohle der Spitzenverdiener
Dennoch sind fast nur Konzerne aus dem Ausland von diesen Sondersteuern betroffen. Es gibt nämlich nur wenige Großunternehmen, die sich im Besitz ungarischer Eigentümer befinden. Die Maßnahmen der Regierung könnten somit auch als ein nationalistischer Versuch gewertet werden, Handlungsspielräume zu gewinnen und eine einheimische Bourgeoisie in einzelnen Wirtschaftssegmenten zu etablieren. In dieses Bild passt auch ein von 19 Prozent auf 10 Prozent verminderter Körperschaftsteuersatz für Kleinunternehmen mit Gewinnen bis 1,8 Millionen Euro.
Mit dazu beitragen soll auch die Einführung eines einheitlichen Einkommensteuersatzes – einer sogenannten Flat Tax – von nur noch 16 Prozent zum Jahresbeginn. Zuvor waren Sätze von 17 bis 32 Prozent gültig. Allerdings bildet der Bruttolohn inklusive der »Lohnnebenkosten« dessen Berechnungsgrundlage, sodass der effektive Steuersatz nun bei 20,3 Prozent liegt. Die »Flat Tax« entlastet natürlich vor allem Spitzenverdiener massiv, während sich die Bezieher des Mindestlohns auf Mindereinnahmen von umgerechnet 7,26 Euro pro Monat einstellen müssen. Arbeitnehmer, die etwa den Durchschnittslohn von circa 733 Euro beziehen, dürften 14,52 Euro monatlich auf ihren Konten fehlen. Dagegen hilft nur, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzten, da die Rechtsregierung ihre Landsleute mittels Steuernachlässen zu einer höheren Gebärtätigkeit animieren will.
Klar wird dadurch: Die Niedrigsteuerstrategie dürfte mit erheblichen Ausgabenkürzungen verbunden sein. Die nationalistische Strategie in der Wirtschaftspolitik wird sich auf Kosten der ärmsten Bevölkerungssichten vollziehen.