Komorowskis Coup

„Junge Welt“, 17.06.2010
Polnischer Präsidentschaftsbewerber will Truppen aus Afghanistan bis 2013 abziehen. Wahlen am Sonntag

Der Präsidentschaftswahlkampf in Polen konnte bis vor kurzem als konfliktlos und fad bezeichnet werden. Nach der Tragödie von Smolensk, bei der Präsident Lech Kaczynski und ein Teil der politischen Elite des Landes bei einem Flugzeugabsturz zu Tode kamen, vermieden alle wichtigen politischen Lager scharfe Polemik und provokante Auftritte. Bei ihren Auftritten vor den am kommenden Sonntag stattfindenden Wahlen bemühten sich die Kandidaten nach Kräften, klare politische Positionierungen und etwaige Polarisierungen zu vermeiden. Statt dessen nahmen in den Kampagnen das Gemeinwohl des Landes und die Biografie der einzelnen Präsidentschaftsbewerber eine zentrale Stellung ein. Auch in Reaktion auf Flutkatastrophe in Mittel- und Südpolen erschallten aus den Wahlkampfzentralen vor allem Rufe zur nationaler Geschlossenheit und nicht etwa gegenseitige Schuldzuweisungen. Es schien tatsächlich so, als ob die Trauerzeit um Lech Kaczynksi in Polen noch fortwirken würde.

Die fehlende Polarisierung ist nicht zuletzt auch einer politischen Neuausrichtung Jaroslaw Kaczynskis – des Zwillingsbruders des verstorbenen Präsidenten – zuzuschreiben. Der Vorsitzende der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verzichtete auf jegliche antideutsche oder antirussische Polemik und bedankte sich sogar bei der russischen Führung für die Kooperation nach der Tragödie von Smolensk. Die geschichtspolitischen Verirrungen des polnischen Konservatismus ließ Kaczynski zumindest im Wahlkampf ebenfalls hinter sich, als er die sowjetischen Soldaten, die 1944 Polen befreiten, als opferbereite Kämpfer gegen das Dritte Reich bezeichnete. Auch bei den Themenfeldern Homosexualität und Europa vermied Kaczynski – im Gegensatz zu früheren Wahlkampagnen – jegliche Polarisierung.

Erst die blutige Realität in Afghanistan riß jüngst die politische Klasse Polens aus ihrer Wahlkampfroutine. Nachdem bei zwei Angriffen der Taliban gegen das 2 600 Mann zählende polnische Kontingent ein Soldat getötet und zwölf weitere verletzt wurden, rückte die unpopuläre Teilnahme polnischer Truppen an der NATO-Besatzungsstreitmacht am Hindukusch ins Zentrum des Wahlkampfs. Am Dienstag gelang dem Kandidaten der regierenden rechtsliberalen Bürgerplattform (PO), Bronislaw Komorowski, und seinem Parteikollegen und Regierungschef Donald Tusk ein spektakulärer Wahlkampfcoup, als beide ankündigten, auf einen schnellstmöglichen Abzug aus Afghanistan hinzuarbeiten. »Wir sind bei dieser Mission seit neun Jahren dabei, es reicht«, erklärte Komorowski im polnischen Fernsehen wörtlich. Polens Verteidigungsminister Bogdan Klich sprach gegenüber der Nachrichtenagentur PAP davon, bis 2013 die Truppen abzuziehen – doch zugleich bekräftigte Klich, den Abzug erst dann anzuordnen, wenn »die Vorherrschaft der Taliban« gebrochenen sei.

Mit diesem Wahlkampfmanöver scheint Komorowski bemüht, den Abstand in den Umfragen gegenüber Kaczynksi erneut zu vergrößern, der zuvor immer weiter abgeschmolzen war. In einer der letzten Umfragen für das polnische Staatsfernsehen vor den Wahlen am 20. Juni lag Kaczynski mit 36 Prozentpunkten nur noch knapp zwei Zähler hinter Komorowski. Seit der vorletzten, Mitte Mai von dem Meinungsforschungsinstitut TNS OBOP durchgeführten Wählerbefragung verlor der rechtsliberale Interimspräsident ganze 15 Prozent. Dennoch dürfte sich Komorowski bei einem eventuell anstehenden zweiten Wahlgang gegen Kaczynski durchsetzen, da Politiker der polnischen Sozialdemokraten bereits ankündigten, diesen dann zu unterstützen.

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