„Junge Welt“, 29.05.2010
Rumänien: Regierung besteht auf drastischen Einschnitten für öffentlich Bedienstete und Rentner. Gewerkschaften halten mit Aufruf zum Generalstreik dagegen
Etwa 50000 Menschen beteiligten sich am 19. Mai in der rumänischen Hauptstadt Bukarest an einer Demonstration gegen das von der Regierung geplante Sparpaket. Diese Proteste in Rumänien nach Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus zeigten Wirkung. Am Mittwoch gab sich Ministerpräsident Emil Boc bei einer Regierungserklärung alle Mühe, die Wogen zu glätten. Die angekündigten drakonischen Sparmaßnahmen, die Rumänien auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) umsetzen muß, sollen zumindest das offizielle Existenzminimum in dem krisengeschüttelten südosteuropäischen Land nicht tangieren. Laut Boc werden die Einkommen im öffentlichen Dienst nach den geplanten Kürzungen nicht unter den Mindestlohn von umgerechnet 150 Euro falle Auch die Mindestrente von umgerechnet 88 Euro soll Boc zufolge von den Kürzungen ausgenommen bleiben.
Wie in den osteuropäischen EU-Staaten inzwischen üblich, drohte der IWF der rumänischen Regierung mit dem Einfrieren der für Juni fälligen, 850 Millionen Euro betragenden Tranche eines Notkredits, falls die geforderten Sparmaßnahmen nicht umgesetzt würden. Rumänien mußte mit einem Kreditpaket im Umfang von 20 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott durch IWF und EU bewahrt werden. Im Gegenzug verpflichtete sich Bukarest zu einem strikten Sparprogramm. Das Haushaltsdefizit, das in diesem Jahr voraussichtlich nahezu sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen wird, soll bis 2011 auf 4,4 Prozent gedrückt werden. Schon ab Anfang Juni sollen die Löhne aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst um 25 Prozent gekürzt werden. Den Rentnern zwischen Walachei und Transsilvanien droht hingegen eine Kürzung ihrer Bezüge um 15 Prozent. Überdies fordert der IWF massive Entlassungen im öffentlichen Dienst, in dem mittelfristig mehr als 200000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.
Um den Druck auf die Parlamentarier zu erhöhen, kündigte der Regierungschef zudem an, die kommende Abstimmung über das Austeritätsprogramm an ein Mißtrauensvotum zu koppeln. Offiziell vertritt die Regierung den Standpunkt, daß die Sparmaßnahmen nur bis Jahresende notwendig seien, da es ab 2011 wieder Aussichten auf Wachstum gebe. Bereits am 11. Mai veröffentlichte der IWF eine entsprechende Prognose, der zufolge Rumänien im kommenden Jahr ein BIP-Plus von 3,6 Prozent verzeichnen werde. Angesichts der bisherigen »Exaktheit« der Vorhersagen des Währungsfonds dürfte auch diese höchstens einen gewissen propagandistischen Wert für die Regierung in Bukarest haben. Im März ging der IWF für Rumänien von einem Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent für 2010 aus. Dieser Wert wurde Mitte April auf 0,8 Prozent gesenkt. Mitte Mai wurde schließlich ein Rückgang von bis zu 0,5 Prozent prognostiziert.
Dabei hat die Bevölkerung Rumäniens bereits im vergangenen Jahr eine schwere Rezession überstehen müssen, die zu einem Rückgang des BIP um 7,2 Prozent führte. Während des – schuldenfinanzierten – Wirtschaftsbooms herrschte Arbeitskräftemangel, doch nun betrug selbst die geschönte offizielle Arbeitslosenquote im vergangenen April 8,07 Prozent. Auch in Rumänien entwickelte sich eine Defizitkonjunktur, bei der die Kreditaufnahme durch Konsumenten oder Hypothekennehmer die Nachfrage belebte und so zum Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre beitrug. Nun stöhnt das Land unter einer wahren Schuldenlawine. Inzwischen kann ein Viertel aller Kreditnehmer mit Darlehenssummen über 20000 Euro diese nicht mehr bedienen. Im Februar verzeichneten die Banken Zahlungsverspätungen von mehr als 90 Tagen bei Krediten im Volumen von 1,53 Milliarden Euro, was einem Anstieg dieser Ausfälle von 11,5 Prozent gegenüber dem Januar gleichkommt. Auch das rumänische Bankensystem befindet sich unter Kontrolle des europäischen Finanzkapitals, so daß die Bevölkerung allein im laufenden Jahr einen Schuldendienst von rund zehn Milliarden Euro an westliche Bankkonzerne zu leisten hat.
Die Perspektiv- und Ratlosigkeit der politischen Klasse offenbarte am prägnantesten Finanzminister Sebastian Vladescu, der am Dienstag schlicht erklärte, daß sein Land zu wenig Millionäre habe, um soziale Mindeststandards einhalten zu können: »Wir haben nicht so viele reiche Menschen, von denen wir den Armen gebenkönnten«, so Vladescu wörtlich. Der Chef der rumänischen Zentralbank, Mugur Isarescu, erklärte die gegenwärtige Kahlschlagpolitik für alternativlos. Je länger man die Kürzungen »verschiebt, desto größer die Schmerzen«, so Isarescu am Mittwoch.
Die Gewerkschaften des Landes versuchen mit einer breiten Mobilisierung dagegenzuhalten. Am Montag und Dienstag wollen nicht nur Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes ihre Arbeit niederlegen. Erwartet wird, daß sich bis zu einer Million Menschen an dem Ausstand beteiligen. »Wir wollen die Regierung unter Druck setzen«, erklärte Gewerkschaftsfunktionär Marius Petcuge gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Alle Versuche »eines konstruktiven sozialen Dialogs mit dieser Regierung sind gescheitert«. Noch wesentlich deutlicher wurde die rumänische Polizeigewerkschaft, die der Regierung in einer Erklärung mit Umsturz drohte: »Wir können auch das tun, was wir schon 1989 getan haben.«